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Face(less) II

Fotofroum Braunau
Eröffnung: 21. Oktober 2010
Dauer: 22.10.–21.11.2010
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
 
Leo Kandl, Paul Albert Leitner, Hanns Otte

Rede zur Eröffnung am 21.10.2010, Petra Noll:

In der zweiten Ausstellung zum Themen-Schwerpunkt „Porträt“ geht es um eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem klassischen Genre „Porträtfotografie“, das ursprünglich größmöglicher Authentizität verpflichtet war. Die hier vertretenen Fotografen verfahren mit dieser „dokumentarischen“ Fotografie insofern anders, als „Ähnlichkeit“ nicht ihr primäres Anliegen ist. Dabei gehen sie nicht völlig in die Abstraktion, wie es in der Ausstellung „Face(less) I“ der Fall war. So sind Körper und Blicke der Dargestellten oft abgewandt, das Gesicht manchmal verdeckt durch Brillen, Rauch oder Haare – eine Verweigerung, die oft mehr aussagen kann über eine Person als ein sogenanntes „authentisches“ Porträt. Die work-in-progress-Projekte der drei Fotografen sind inszenierte Fotografien, die als konzeptuell entwickelte Serien angelegt sind. Allen Fotografien liegt ein dialogisches Verhältnis von Porträtierten und Porträtierenden zugrunde. Die Spannung der Zusammenarbeit – wobei sich die Protagonisten oft vorher noch nicht lange kannten – bestimmt das Ergebnis. Jedes Porträt differiert in Ausschnitt, Perspektive, Haltung und Ambiente und trägt so dem Individualismus der Dargestellten Rechnung. Da die Fotografien weder spektakulär, indiskret oder formal standardisiert (z.B. auch keine Beschrän-kung auf das Gesicht) sind, ist es nicht der voyeuristische, nicht der – nach Roland Barthes – den Porträtierten zum Objekt machende Aspekt, der dominiert. Vielmehr liegt ein humanes Interesse zugrunde, eine Faszination am Menschen.
Leo Kandl beschäftigt sich bereits seit über 30 Jahren mit Porträt-Fotografie im öffentlichen urbanen Raum. Einfangen möchte er das Alltägliche, das Banale, die Nebenschauplätze des Lebens, die aber, im Ganzen gesehen, die Realität aus-machen. Waren es anfangs Fotos von Passanten, die er auf der Straße ange-sprochen hatte, und von denen er je vier Bilder in vier verschiedenen Kopfdrehungen machte, so handelt es sich bei der 1988 in Wien begonnenen work-in-progress-Serie „Free Portraits“, die damals noch „Wiener Modelle“ hieß, um Fotografien, deren Dar-steller er per Annonce in regionalen Zeitungen verschiedener Weltstädte gefunden hat. Dadurch hat er sich von vorneherein als Künstler und Fotograf definiert, ist somit aus seiner Anonymität in einer fremden Stadt herausgetreten und zum Teil des sozialen Systems geworden. Eine Anzeige lautete z.B. „Austrian photographer seeks everyday people in everyday settings for portraits of contemporary life“. Die „Free Portraits“ entstanden auf der Basis gegenseitigen Einverständnisses – ‘free’ gemeint als frei in Bezug auf die Inszenierung und die Offenheit des Projekts. Die Modelle konnten Ort, Kleidung und Haltung selbst wählen, denn Leo Kandl ist es vor allem wichtig zu zeigen, wie sich jemand in einem bestimmten Umfeld gibt. Darum wählte er auch meist nicht das für ein Porträtfoto klassische Hochformat, das mehr zentriert ist auf die Person, sondern öfter das Querformat, das mehr Ambiente zeigt und einen distanzierteren Blick ermöglicht. Zu der Serie entsteht in diesem Jahr ein zusammen-fassendes Buch.
*Paul Albert Leitner* arbeitet seit ungefähr 30 Jahren als vielreisender Fotograf in mehreren Genres,wobei Porträt bzw.Selbstporträt eine herausragende Rolle ein-nimmt. „Porträts von Künstlern und anderen Personen“ ist einer seiner großen Serien, die vor allem auf Reisen entstanden sind. Im Fotoforum wird eine Auswahl in Form von Diaprojektionen gezeigt. Paul Albert Leitner erwandert seine Motive, er sucht lange nach für ihn interessanten Personen, wobei der Zufall auch immer eine große Rolle spielt. Die Porträtierten können ihm zunächst unbekannte Personen auf der Straße sein, aber auch internationale Künstler, Kulturschaffende und ‘andere Perso-nen’, die er zum Teil schon vorher kannte. Seine Porträts entstehen nur mit der Einwilligung des Gegenübers. Jedem Foto wird Name, Beruf, Ort und Jahr zugeord-net. Die Inszenierung geschieht in beiderseitigem Zutun, wobei der Fotograf in erster Linie kompositorisch und lichttechnisch eingreift. Leitners Fotografien sind nie rational-dokumentarisch oder spektakulär-exotisch, vielmehr oft rätselhaft, ironisch, surreal, „schräg“. „So legt sich eine zweite Realität über die offensichtlich sichtbare und offenbart deren anderes Gesicht: ein komisches, grausames, begehrendes oder dekantes. Die durch Komposition, Fokus und Farbe eingetretenen scheinbaren Verzerrungen des Realen dienen der poetischen Vertiefung und Analyse von Welt“, so Gerald Matt, Direktor der Kunsthalle Wien, in dem Buch zur Ausstellung von Leitner im dortigen ‚project space‘ vor drei Jahren.
Hanns Otte zeigt hier erstmals Arbeiten aus seiner 2009 begonnenen Serie „Standpunkte“, Porträts von Menschen mit ihren Autos. Der Titel ist hier in zweifacher Bedeutung zu verstehen, zum einen im Sinne von Weltanschauung – die sich auch in der Beziehung zum Auto artikulieren kann –, zum anderen in Hinblick auf den Parkplatz. „Wo stehen Sie? Wo stehst du?“ ist eine Frage, die beide Inhalte zur Antwort haben kann. In seiner Auseinandersetzung mit dem Lebensraum des Menschen – Hanns Ottes Hauptthema ist der periphäre menschenleere urbane Raum – ist diese Serie eine mögliche Fortsetzung. Zum ersten Mal tauchen Menschen in seinen Fotografien auf und dies sogar in dominanter Position. –
Das „Auto“ ist häufig über seine Funktion als Transportmittel hinaus Projektionsfläche für Wünsche und Phantasien. Es fungiert als Status-, Konkurrenz- und Identifikations-objekt, Liebhaberstück, Lustobjekt und als eine Art „Heim“. Hanns Otte hat zunächst vor allem KünstlerInnen und Kulturschaffende porträtiert, Menschen, die von ihrem Selbstverständnis her sowie aus umweltpolitischen und gefahrenstechnischen Gründen in kritischer oder ironischer Distanz zu ihrem Auto stehen. Es fällt auf, dass die Porträtierten meist in statuarischer Haltung und Gebärde vor ihrem geschlossenen Fahrzeug stehen, häufig davon entfernt, nicht selten abgewandt – auch ein Stand-punkt! Seinen Standpunkt hat auch der Fotograf, der in seinem Kompositions-Verständnis direkt an seine Stadtraum-Fotografien anknüpft.

 
 
1) Leo Kandl, aus der Serie "Free Portraits – Tomeka", NYC 2000, C-Print
2) Leo Kandl, aus der Serie "Free Portraits – John", NYC 2000, C-Print
3) Paul Albert Leitner, aus der Serie "Porträts – Babak Zirak, Journalist, Photographer, Esfahan", Iran 2006, C-Print
4) Paul Albert Leitner, aus der Serie "Porträts – Wolfgang und Christoph Graf", Wien 2007, C-Print
5) Hanns Otte, aus der Serie "Standpunkte – Anita Barilitis, Fotografin", Wien 2002, C-Print
6) Hanns Otte, aus der Serie "Standpunkte – Hans Edgar Klein", Salzburg 2010, C-Print