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StillStand I

Fotoforum Braunau
Eröffnung: 3. April 2008
Dauer: 4.4.–4.5.2008
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
 
Robert F. Hammerstiel, Thomas Wrede, Robert Zahornicky

Katalogtext, Petra Noll:

Das übergeordnete Thema der beiden Ausstellungen 2008 im Fotoforum Braunau ist „Stillleben“, Der Begriff kommt aus dem 17. Jh. von holländisch „stilleven“ und bedeutet unbewegtes Modell (leven = Modell). Der deutsche Barock-Maler Joachim von Sandrart (1606-88) sprach 1675 in Bezug auf das Genre “Stillleben” von „still-stehenden“ Sachen. Das klassische Stillleben ist das „schöne“ Arrangement von „leblosen“ Objekten auf einer Art Bühne, zur Stille gebrachtes Leben, französisch: nature morte. Ich habe die beiden Ausstellungen, abgeleitet von dieser ursprünglichen Bedeutung, „StillStand“ genannt.
Das Stillleben ist ein in der zeitgenösssichen Kunst eher selten behandeltes Motiv, noch weniger Berücksichtigung findet es in der zeitgenössischen Fotografie. In der Fotogalerie Wien gab es 2004 einen dreiteiligen Ausstellungszyklus zum Thema Stillleben in der zeitgenössischen Fotografie, in dem das Innovative, das heute auch mit diesem Genre möglich ist, herausgearbeitet wurde.
Die drei hier in der ersten Ausstellung mit inszenierten Fotoarbeiten präsentierten Künstler – Robert F. Hammerstiel und Robert Zahornicky aus Wien sowie Thomas Wrede aus Münster – gehen weit über das Traditionelle des Genres “Stillleben” hinaus. Es geht nicht vordergründig um das dekorative Inszenieren von Gegenständen zum Erhalt eines ästhetisch angenehm wirkenden Arrangements. Für alle drei Künstler ist das Sujet ihrer künstlerischen Intention untergeordnet. Gemeinsam haben die drei Künstler, dass sie sich mit Sein und Schein, mit Wahrnehmung bzw. den Verhaltensmustern des Sehens auseinandersetzen.
Robert F. Hammerstiel, geboren 1957 in Pottschach/Niederösterreich und heute in Wien lebend, zeigt in seiner Serie „Made by nature – made in China“ scheinbar klassische Essen-Stillleben-Arrangements, appetitanregend, zum Anfassen animierend, ästhetisch. Bei genauerem Hinsehen entdecken wir, dass es sich nicht um echte Früchte und sonstige Lebensmittel handelt, sondern um realitätsgetreu nachgebildete Plastikimitate, massenproduziert in China. – Frühe (gemalte) Stillleben galten als künstlerisch vollendet, wenn die auf ihnen abgebildeten Gegenstände so echt wie möglich wirkten. Der illusionistische Effekt des trompe l’oeil wurde aus Freude am Verwechseln, aber auch aus reiner Lust am Malen ohne inhaltliche Schwere eingesetzt. Mit den Mitteln der Täuschung arbeitet auch Robert F. Hammerstiel , wenn auch mit anderer Intention, denn hier ist kein idyllischer Ort inszeniert. Suggestiv, ästhetisch und verführerisch wie in der Werbung sind Frucht- und Gemüse-Imitate arrangiert. Sie versprechen lustvolles Genießen, das aber auf Grund ihrer Plastik-Identität versagt bleiben muss, so wie die meisten Werbeversprechen zu hoch gegriffen und damit unerfüllbar bleiben. – Diese Werkgruppe der Stillleben ist Bestandteil seines künstlerischen Werkes, in dem er die Mittel untersucht, mit denen versucht wird, Sehnsüchte zu wecken, bzw. welche Sehnsüchte befriedigt werden sollen. Es ist auch eine Auseinandersetzung mit Bild und Abbild im Sinne des Magrittschen “ceci n’est pas une…”. Es sind nicht nur keine echten Früchte usw.. , weil es sich um fotografische Abbilder handelt, sondern auch, weil die Modelle von vorneherein aus Plastik sind. Aber Robert F. Hammerstiel spielt auch mit der Uneindeutigkeit. Nicht jedem Betrachter ist klar, dass es sich nicht um echte Lebensmittel handelt, die hier abgebildet sind. Alles kann heute in Plastik oder anderen Materialien nachgebildet werden. Wir wissen oft nicht genau, was echt ist oder nur Imitat, was Realität und was Kulisse, was Natur und was Nachbildung. Wir fühlen uns unsicher in einer Welt, in der wir keine genauen Zuordnungen machen können. – Ein Sujet der Stillleben-Malerei ist das Vanitas-Stillleben mit Vergänglichkeitssymbolen wie Totenschädel, Uhr usw. . Im weitesten Sinne sind auch Robert Hammerstiels Stillleben Vanitas-Stillleben: die unverrottbaren Plastikobjekte kennzeichnen unsere Angst vor der Vergänglichkeit des Lebens.
Robert Zahornicky, geboren 1952 in Wien und heute in Pressbaum bei Wien lebend, zeigt Arbeiten aus drei Serien der Werkgruppe “Wilderness”. Auch seine Fotografien sind inszeniert, auch er spielt mit der Uneindeutigkeit. Nicht auf den ersten Blick zu sehen ist, dass die Bilder alle einen anderen Realitätsgrad haben. Die unterschiedlich konzipierten Serien sind bewusst vermischt gehängt, um ein Verwirrspiel zu stiften. Mit seinem Sujet, jeweils einer Pflanze vor weißem, neutralem Hintergrund, entfernt sich Robert Zahornicky von der klassischen Darstellung schön arrangierter Blumensträuße in einer Vase, obwohl er, ebenso wie diese, den Hintergrund neutral lässt. In seiner ersten Serie hat er ortsansässige echte Pflanzen mit Erdballen ausgegraben und im Atelier vor weißem Hintergrund fotografiert. Die Auswahl war subjetiv, nicht nach den üblichen Kriterien von Schönheit wie Farbenpracht, Formvollendetheit oder Seltenheit und nicht ausgerichtet auf eine schöne Repräsentation. Die zweite Serie schaut beim groben Hinsehen aus wie die erste, aber Pflanze und Erdballen sind jeweils aus einem anderen Zusammenhang genommen worden und zu einem neuen Arrangement zusammenkomponiert worden, Vortäuschung von Wirklichkeit. In der dritten Serie, die aus gehäkelten Blumen besteht, wurde eine ganz neue Realität geschaffen.
Zahornicky geht es nicht um das, was man im ersten Moment zu sehen glaubt, sondern um das, was man sich im Denken erarbeitet,.
Thomas Wrede, 1963 in Westfalen geboren, lebt in Münster. Er zeigt Arbeiten aus der Serie “Domestic Landscapes”, häusliche Landschaften. Seine in verschiedenen Zimmern von deutschen Privatwohnungen aufgenommenen Fotografien überschreiten die klassische Stillleben-Komposition in Richtung Interieur. Er hat Fototapeten mit Landschaftsmotiven mit dem Mobiliar von Innenräumen kombiniert. Die sich vor den Landschaftsaufnahmen befindlichen Objekte wirken, als wären sie Teil einer echten Landschaft. Ein Telefonregal scheint an einem See zu stehen, ein Schreibtisch an einem Palmenstrand, eine Lampe beleuchtet einen schneebedeckten Berg. In dieser Arbeit geht es ebenfalls um Wirklichkeit und Schein, um optische Täuschung und visuelle Manipulation, denn die fotografierte Landschaftstapete wirkt wie eine echte Landschaft – ein räumliches Denken, das einen anderen Raum jenseits des Dargestellten mit einbezieht. Innen und außen, Zwei- und Dreidimensionalität vermischen sich. Raumgrenzen sind uneindeutig. Durch die Fotografie einer Fotografie sind wir zusätzlich irritiert. Mit dieser Arbeit bringt Thomas Wrede die Thematik Raum in das Stillleben.
Thomas Wrede beschäftigt sich auch in seinen anderen Fotoarbeiten mit den verschiedenen Ebenen von Wahrnehmung, beispielsweise mit dem Bild im Bild wie hier oder mit der vermeintlichen Realität im Gegensatz zu einer kreierten Künstlichkeit.
Die drei Positionen zeigen, wie weit man sich von einem Genre entfernen kann. Wenngleich auch klassische Stillleben-Elemente zitiert werden – wie opulente Arrangements, Trompe l’oil-Effekte, also Illusion als künstlerisches Prinzip usw… – sind die Stillleben der drei Künstler mehr Teil eines künstlerischen Gesamtkonzepts als eine Neubelebung des Genres. Alle drei Künstler hinterfragen neben ihren ganz spezifischen Anliegen auch die Authentizität von Fotografie, ein Medium, das früher wie kein anderes für größtmögliche Wirklichkeitsabbildung eingesetzt wurde und dem man heute – vor allem bei inszenierter Fotografie wie hier oder auch bei am Computer bearbeiteter Fotografie – gar nichts mehr glauben kann. Petra Noll, Kuratorin

 
 
1+2) Robert F. Hammerstiel, aus der Serie "Made by Nature – Made in China", 2004–2006,
C-Prints auf Aluminium, Kassettenrahmen, Acrylgläser, je 100 x 120 cm
3)  Thomas Wrede, "Nordseemöwe vor Manhattan", aus der Serie "Domestic Landscapes", 2000,
Farbfotografie hinter Diasec, Acrylglas auf Aluminium Dibond, 120 x 108 cm
4) Raumansicht_Thomas Wrede
5) Robert Zahornicky, aus der Serie "Wilderness", 1996–2001, Farbfotografie auf Diasec, 80 x 60 cm
6) Raumansicht_Robert Zahornicky