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Was geht ab II?

Fotoforum Brauan
Eröffnung: 12. Oktober 2012
Dauer: 13.10.–11.11.2012
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
 
Patrizia Gapp, Ruth Kaaserer, Didi Sattmann

Katalogtext, Petra Noll:

Auch die zweite Ausstellung 2012 zum Thema „Jugend“ beschäftigt sich mit den Lebensentwürfen, Wünschen und Ansichten Heranwachsender. Die Situation der heutigen Jugend ist – analog zur allgemeinen Lage der Gesellschaft, die mehr denn je geprägt ist von sozialer, politischer, ökonomischer und ökologischer Unstabilität – eine prekäre, fragile. Die sich rasant verändernde Zeit – was heute cool ist, ist morgen schon out – sowie der immense Stress und Leistungsdruck geht auch an der Jugend nicht spurlos vorüber. Für Selbstreflexion, Visionen und kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen bekommen junge Leute heute kaum mehr Anerkennung. Heute wird – vor allem in den westlichen Industrieländern – in erster Linie Leistung und die Konzentration auf die eigene Karriere honoriert und damit Angepasstheit gefördert und Widerspruch schwer gemacht. Die Schwelle zum Erwachsensein ist zudem grundsätzlich eine Zeit der Gefühlsschwankungen, bestimmt von körperlicher und geistiger Undefiniertheit, Zweifel, Unsicherheit sowie Rat- und Perspektivlosigkeit, andererseits aber auch von Freiheitsgefühl, Unbeschwertheit, Selbstbewusstsein und dem Gefühl „alles ist möglich“. Dieser Schwebezustand führt einerseits oft zu extremer Abgrenzung und Rückzug, auf der anderen Seite zu einer verstärkten Suche nach Geborgenheit und Halt in Freundschaften, Familie, Musik u.a. Die KünstlerInnen thematisieren dieses Gespaltensein und die Widersprüchlichkeit, die den Weg zur eigenen Persönlichkeit prägen. Sie haben alle einen engen Kontakt zu den Jugendlichen hergestellt und sie in ihre Inszenierungen mit eingebunden. Dadurch bekamen nicht nur die Jugendlichen eine Chance zur Selbstreflektion, sondern auch die KünstlerInnen erfuhren, wie die Mädchen und Buben ihre Jugendzeit erfahren und was bestimmend für ihre Zukunft ist.
Von Patrizia Gapp gibt es einige Fotoserien zum Thema „Jugend“. Für die Werkserien Adoleszenz I und II (2005/2009) hat sie über einen längeren Zeitraum an unterschiedlichen Orten Mädchen und junge Frauen zwischen 12 und 16 Jahren, die sie auf der Straße und in Schulen angesprochen hat, porträtiert. Gemeinsam wurden Orte und Outfit für die Inszenierung ausgewählt. Aus diesem wechselseitigen Engagement und der langsam gewachsenen Vertrautheit sind sehr intime Porträts entstanden, die die für diesen Lebensabschnitt typische Ambivalenz der Gefühle in subtiler Weise charakterisieren: In ihnen liegt gleichermaßen Schüchternheit und Koketterie, Rückzug und Neugierde, Leichtigkeit und Schwere, Unsicherheit und Selbstbewusstsein. Häufig verweisen gekauerte oder zurückgenommene Körperhaltungen sowie eine fragend-unschuldige Mimik darauf, dass die Mädchen ihren Körper und ihre Identität „noch nicht im Griff“, sich noch nicht gefunden haben. Alles bleibt offen in diesen bewusst unspektakulär inszenierten Porträts – der Weg ist noch nicht festgelegt, die Entscheidungen sind noch nicht endgültig getroffen. Durch die Zurückhaltung in der Angabe des Ambientes – manchmal sind die Mädchen nur vor neutralem Hintergrund platziert – wird deutlich, dass es Gapp in der Serie vor allem um Gedanken und Gefühle der Mädchen geht.
Ruth Kaaserer porträtiert in dem Video In Watte (2001) die Cousinen Maria und Birgit, zwei Teenager, die in dem niederöster-reichischen Straßendorf Etsdorf leben. Die Künstlerin bietet ihnen eine Plattform – die Mädchen agieren vor und hinter der Kamera, vor der sie sich nach eigenen Vorstellungen präsentieren und dabei eine intensive Reflektion ihrer Person und Identität ermöglicht wird. Aus einer stetig vertrauter werdenden Beziehung und gegenseitiger Inspiration zwischen Künstlerin und Porträtierten ist ein aus mehreren Szenen an verschiedenen Plätzen bestehendes, sehr authentisches Porträt geworden. Geprägt wird es von ganz „normalen“ Gesprächssituationen sowie unaufgeregten Bildern vom ländlichen Ambiente und von Personen des Umfelds der Mädchen. In Gesprächen schildern sie einerseits ihre Gefühle gegenüber ihrem Heimatort, der ihnen Geborgenheit und Sicherheit in der Familie bietet, andererseits machen sie sich Gedanken über die Zukunft, das Weggehen, das Erwachsenwerden – Gedanken zwischen Planung und Offenheit. Dabei wirken sie nachdenklich und unbekümmert zugleich; sie fühlen sich wie in Watte gehüllt. Noch dominiert die Freude auf den Sommer und die Freizeitaktivitäten – und doch: Sie wissen schon genau, dass sie einmal keine Arbeit haben möchten, bei der sie in einem Büro sitzen und immer dasselbe tun müssen.
Didi Sattmann zeigt Arbeiten aus der 1995-1997 für das WienMuseum entstandenen Fotoserie Coole Kids, mittlerweile ein Klassiker der Dokumentationsfotografie. Er hat Teens und Twens der Wiener Jugendkultur-Szene in Hip-Hop- und Techno-„Locations“ wie dem „Arena“ und dem „Flex“, bei Open-Air-Festivals, bei der„Free Party“am Ring oder auch am Donaukanal beim Sprühen porträtiert. Sattmann wollte nicht nur eine urbane Jugendkultur – wie sie auf Grund der Globalisierung überall auf der Welt ähnlich ist – dokumentieren, sondern er war in erster Linie an den Begegnungen mit jungen Menschen interessiert, an den hinter der Fassade von schrillen Stylings und Outfits verborgenen Wünschen, Vorstellungen und Schicksalen, die sich ihm erst nach einer intensiven Kennenlernphase langsam erschlossen. Denn hinter der nach außen hin oft provozierenden Fassade stecken nicht immer Selbstbewusstsein und Coolness, sondern sehr oft auch Ängste, Einsamkeit und Depressionen. (...)„Ich spürte hier bei den jungen Leuten vor allem positive Signale auf dem unsicheren Grat zwischen Rebellion und Anpassung, auf der Suche nach Identität, nach Spiritualität und nach sinnvollen Ritualen am Weg zum Erwachsenen, fühlte ihre Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung und Zugehörigkeit. Ich verspürte auch manchen stummen Aufschrei und selten den lauten Protest, wie damals bei den 68ern. (...) ich konnte mich sehr gut in diese jungen Menschen hineinversetzen (...)“ (D.S.).

 
 
1) Patrizia Gapp, aus: Adoleszenz I/II (2005/2009), C-Print, 100 x 100 cm
2) Patrizia Gapp, aus: Adoleszenz I/II (2005/2009), C-Print, 100 x 100 cm
3) Ruth Kaaserer, aus: In Watte, 2001, Video, 21 Min., Ton
4) Ruth Kaaserer, aus: In Watte, 2001, Video, 21 Min., Ton
5) Didi Sattmann, aus: Coole Kids, 1995–1997, C-Print
6) Didi Sattmann, aus: Coole Kids, 1995–1997, C-Print