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DAS DING DINGT

Galerie im Stadtmuseum Neuötting
Ludwigstr. 12, 84524 Neuötting/DE, T +49 8671-8837113
www. museum[at]neuoetting.de
31.3.–14.5.2006
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
KünstlerInnen: Sepp Auer/AT, Franz Bergmüller/AT, Heiko Bressnik/AT, Uwe Bressnik/AT, Bernhard Eberle/DE, Enzo/IT, Undine Goldberg/DE, Robert F. Hammerstiel/AT, Emmerich Hörmann/DE, Rudolf Huber-Wilkoff/DE, Andreas Ilg/DE, Horst M. Jaritz/AT, Stephan Kern/DE, Johannes Muggenthaler/DE, Susanne Nietmann/DE, Martin Noll/DE, Alois Riedl/AT, Annerose Riedl/AT, Michael Sardelic/AT, Ursula Zeidler/DE
Vernissagenrede am 30.3.2006, Petra Noll:

In dieser Ausstellung geht es um Dinge, die zum Thema in der Kunst geworden sind.
Der Begriff „Ding“ ist vielschichtig: In germanischer Zeit ist „Ding“ (thing) eine Gerichtsverhandlung. Wir verwenden Redewendungen wie u. a. „gut Ding will Weile haben“, „über den Dingen stehen“, „nicht mit rechten Dingen zugehen“, „alle guten Dinge sind drei“. Ein Substantiv ist ein Ding-Wort. Tod und Ewigkeit sind die letzten Dinge. „Gib mir ... äh.... mal das Dings da“, sagen wir, wenn uns das richtige Wort fehlt. Das Wesen der Dinge haben viele Philosophen untersucht. Der vorherrschende Ding-Begriff definiert Ding als die Verbindung von Stoff und Form, Heidegger führt hier Dinge des Gebrauchs wie Krug und Schuhe als Beispiele an. „Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur Dinge“, auf diesen elementaren Nenner hat es Novalis, Schriftsteller der Romantik, gebracht.
In dieser Ausstellung geht es in erster Linie um die vom Menschen für den alltäglichen Gebrauch hergestellten Dinge: Waschbecken, Glühbirne, Sessel, Pfanne, Tasche, Besen, Hemd, ... u.v.m. Der Titel der Ausstellung stammt aus dem von Martin Heidegger 1954 verfassten Vortrag über das Ding. „Das Ding dingt“, diese für Heidegger typische Konstruktion aus einem Substantiv und dessen Verbalisierung, soll aber in Bezug auf diese Ausstellung nicht bedeuten, dass hier Ideen von Heidegger illustriert werden. Vielmehr assoziiert dieses „dingt“ Bewegung, einen Seins-Zustand, der dem Ding nicht grundsätzlich, d.h. ohne menschliches Zutun, eigen ist. Auch in der Kunst werden die Dinge grundsätzlich als Stillleben „dingfest“ gemacht: sie werden auf Leinwand gemalt, in der Skulptur und mit der Kamera festgehalten. Lebendigkeit und damit Bewegung erhalten sie allein durch unsere Gefühle und Projektionen sowie durch die phantasievollen Transformationen der Künstlerinnen und Künstler. Seit den Stillleben der Renaissance ist die Darstellung von alltäglichen Dingen eigenständiges Thema in der Kunst. Höhepunkte der „Ding-Kunst“ gab es vor allem im 20. Jahrhundert, allen voran Marcel Duchamp mit seinen Ready mades. Er stellte unveränderte Fundstücke wie das Urinoir in den Museumsraum, damals um 1914 ein ungeheuerer Angriff auf die Aura in der Kunst. Eine wichtige Ausstellung, die sich mit den „Dingen in der Kunst des 20. Jahrhunderts“ beschäftigte, fand im Jahr 2000 im Haus der Kunst in München statt.  Zwei Dinge passieren, wenn ein alltägliches Ding aus seiner Funktion und der von uns gegebenen Ordnung in die Kunst, einem System geistiger Auseinandersetzung, transportiert wird. Erstens wird ihm mehr bzw. andere Hinwendung zuteil. Seine Bedeutung wächst über sein bloßes Dasein und seine Zweckbestimmtheit hinaus. Heidegger hat gesagt, dass die Kunst die Dinge uns wieder nahe bringe (aber er meinte nicht Ready mades). Ihr Wesen wird erfahrbar gemacht, sie bekommen etwas Geheimnisvolles, ja eine Aura, die sie durch unseren Pragmatismus im Alltag oft verloren haben. Zum anderen erfahren wir durch die in der Kunst auf besondere Weise verarbeiteten Dinge auch mehr über unser Verhältnis zur Welt, unsere Wünsche, Gewohnheiten, Geschmacksvorstellungen. Ein Ding wird nur zur Kunst, wenn an ihm der subjektive Eingriff des Künstlers spürbar wird durch eine poetische Transformation, durch gesetzte Irritationen, durch Verfremdungen. Selbst die eigentlich unangetasteten Ready mades lassen den Künstler dahinter spürbar werden. Horst Jaritz stellt seine Rosen-Fundstücke nicht nur „so“ aus, sondern als assoziative Ding-Reihung, Gertrude Stein zitierend, bei der die Wiederholung nicht Stillstand bedeutet, sondern – wenn auch minimal – Veränderung.
Reale Dinge verwendet auch Sepp Auer, aber er zitiert sie fragmentiert und in andere Materialien – wie Beton ‑ integriert, womit er mit Humor festgelegte Vorstellungen von Formschönheit, handwerklicher Vollendung, Material-Aufwand und Präsentation von Kunstwerken in Frage stellt Einige hier ausstellende Fotografen haben Dinge weitgehend so festgehalten, wie sie sie vorgefunden haben. Enzo findet besondere Ding-Konstellationen im Alltag, die viel über Eigenarten und Angewohnheiten des Menschen aussagen wie hier bei den Besen in Burano. Ähnlich geht es Ursula Zeidler. Sie wird angezogen durch Dinge, die durch menschliche Eingriffe in neue, oft komische Konstellationen geraten sind. Diese Dinge sagen mehr über den Menschen aus als es seine Präsenz selbst oft vermag.
Robert F. Hammerstiel fotografiert Dinge – meist sogenannte „unnütze“ wie die Ausstattung von Aquarien durch pseudoantike Architekturen. Er inszeniert sie undramatisch und ästhetisch. Sie sind Projektionsflächen unserer Wünsche, Gefühle und Sehnsüchte. In einem Video präsentiert Undine Goldberg Designerkleidung. ironisch reflektiert sie unsere Abhängigkeit von Markenartikeln und die Macht, die die Dinge dadurch bekommen.
Die meisten hier ausstellenden Künstlerinnen und Künstler aber arbeiten mit Mitteln der Verfremdung. Sie verändern Material, Größe, Erscheinung von alltäglichen Dingen. Durch diese Irritation erscheinen die Dinge in einem ganz neuen Licht. Der bildende Künstler und Musiker Uwe Bressnik vereint wesensfremde Dinge wie eine Bratpfanne und eine Schallplatte zu phantastisch-surrealen Objekten. Dieser Un-Nützlichkeitseffekt zeigt uns die Dinge von ihrer menschlichen, poetischen Seite. Bernhard Eberle macht aus Karton-Abfall verschlossene Taschen, die nur vielleicht etwas enthalten. Wertloses ist zu einem Ding mit Seele geworden. Das ist ebenfalls ein poetischer Zugang. Rudolf Huber-Wilkoff zeigt u.a. einen Erdinger-Kronkorken in Beton, überdimensional vergrößert und das Logo zu dem Wort „Ding“ verändert. Wir sind so von der Werbung manipuliert, dass wir trotz der Verfremdung das Produkt erkennen. Dies Thema berührt auch Johannes Muggenthaler. Er spricht zudem das Ausstellungsthema direkt an. Wodurch wird ein Ding lebendig? Durch unsere Gefühle und Wünsche, die wir in es hineinlegen. Durch eine Markenbezeichnung wird ein Ding fast zur Person. Das Puma-Logo auf dem Hausschuh spricht auf humorvolle Weise von unserer Abhängigkeit. Andreas Ilg hat aus Überraschungseiern Kindergewehre nachgebaut. Knallbunt und spielerisch kommen Tötungsapparate daher. Die Wirkung ist krasser durch diese Irritation als durch naturgetreue Imitation oder ein Ready made. Annerose Riedls Arbeiten sind skulpturale Stillleben; sie verfremdet die Dinge, indem sie sie in eine wesensfremde Materialität versetzt und lässt uns dadurch vertraute Dinge anders wahrnehmen. Dreidimensionale Arbeiten haben per se etwas Dinghaftes an sich. Die von Stephan Kern ausgestellten Skulpturen eröffnen die Möglichkeit, in ihnen bekannte Dinge zu sehen, während die Objekte und Bilder von Alois Riedl Resultate einer seit den 70er Jahren bis heute immer stärker fortschreitenden Abstraktion von Alltagsdingen sind.
Durch die klare, symbolfreie Darstellung verweisen die von Martin Noll sehr konkret vor neutralem Hintergrund gemalten Alltagsdinge in erster Linie auf sich selbst, Assoziationen werden möglich durch die surreale Konfrontation von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben, aber gleichwertig behandelt werden. Ganz anders Susanne Nietmann, die in ihren Arbeiten Doppeldeutigkeiten und hintergründige Symbolik einsetzt. Belangloses wird mit Tiefsinnigem, das es zu entschlüsseln gilt, konfrontiert. Dinge müssen nicht immer verfügbar, können auch abwesend sein. Können wir sie überhaupt erfassen? Mit der Thematik „Zerstörung, Abwesenheit, Hülle“ beschäftigt sich Heiko Bressnik, der Gegenstände unterschiedlicher Materialien wie Radiergummi, Ziegelsteine, Flaschen usw... erst zermahlt und aus den gewonnenen Pigmenten ein zweidimensionales Leinwandbild fertigt. intensiver kann man den Dingen kaum auf den Grund gehen. Michael Sardelic hat Attrappen bzw. Platzhalter von Dingen (wie z. B. Bücher, Fernseher) in Möbelhäusern fotografiert und als Inkjetprints auf Kunststoff gebracht. Sie spiegeln vor, Dinge zu sein, ahmen diese aber nicht realitätsnah nach, sondern sind nur leere Hüllen, also doppelte Täuschungen. Die Abwesenheit des Dings ist im Text von Emmerich Hörmann allein schon durch die Abwesenheit eines Bildes gegeben. So spukt das Ding in seinem Kopf herum und veranlasst ihn zu allerlei vorder- und hintergründigen Ding-Fragen. „Inhalt“ heißt eine Arbeit von Rudolf Huber-Wilkoff: ein leerer Kasten, eine Hülle, selbst ein Ding, das nur vielleicht ein weiteres Ding beherbergt – wie die Taschen von Bernhard Eberle. Das Ding dingt: Franz Bergmüller lässt in seinen Fotoobjekten die Dinge tatsächlich in Bewegung kommen, wenn auch der Mensch den Anstoss geben muss. Aber sie bekommen Charakter und ein dynamisches Eigenleben skurrilen Ausmaßes. Der Mensch ist nicht mehr Herr in seinem Haus. Die Dinge regieren. Die Dinge „dingen“.

 
 
1) Sepp Auer
2) Franz Bergmüller
3) Heiko Bressnik
4) Uwe Bressnik
5) Bernhard Eberle
6) Enzo
7) Undine Goldberg
8) Robert F. Hammerstiel
9) Rudolf Huber-Wilkoff
10) Andreas Ilg
11) Stephan Kern
12) Johannes Muggenthaler
13) Martin Noll
14) Alois Riedl
15) Annerose Riedl
16) Michael Sardelic
17) Ursula Zeidler