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DAS GLÜCK LIEGT AUF DER STRASSE – der urbane Raum

Galerie im Stadtmuseum Neuötting
28.3. bis 10.5.2015
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
KünstlerInnen: alien productions/AT, Michael Bachhofer/AT, Hubert Blanz/DE, Elisabeth Czihak/DE/AT, Robert F. Hammerstiel/AT, Paul Horn & Lotte Lyon/AT, Helmut Kandl/AT, Gudrun Kemsa/DE, Michael Michlmayr/AT, Michael Wesely/DE, Ursula Zeidler/DE, Fabio Zolly/AT
Vernissagenrede am 27.3.2015, Petra Noll:

Diese Ausstellung befasst sich mit dem urbanen Raum als Projektionsfläche der Sehn-süchte, Hoffnungen und Wünsche der Menschen. Aufgrund der zunehmenden Verstädterung der Weltbevölkerung rücken heute urbanistische Fragestellungen immer mehr in den Fokus. Diese Ausstellung beschränkt sich auf Fotografie und Video, um zu betonen, dass sich parallel zur Entstehung der Fotografie im 19. Jh. auch die moderne Metropole entwickelt hat. Die Fotografie hat unsere Wahrnehmung und Vorstellung von Stadt und Architektur mehr als jedes andere Medium geprägt. Die Stadtfotografie hat sich von einem anfänglich rein doku-mentarisch orientierten zu einem komplexen Genre entwickelt. Auch das bewegte Bild, das Video, spielt in diesem Zusammenhang schon lange eine nicht mehr wegzudenkende Rolle.

Der Lebensraum „Stadt“, vor allem die Metropole, versteht sich einerseits als Ort, an dem sich soziale, kulturelle, wirtschaftliche und politische Kräfte konzentrieren und ein überaus großes kreatives, Innovation verheißendes Potential darstellen. Die Stadt verspricht eine flexible Lebensgestaltung, ein aufregendes Leben in ständiger Bewegung und mit einer Vielfalt von Angeboten in allen Bereichen. Städten liegt ein international geprägtes Gesell-schaftsgefüge zugrunde, das vielschichtige Synergien möglich macht. Die Stadt bietet ein Höchstmaß an Möglichkeiten für die Menschen: Das Glück liegt auf der Straße... Andererseits kulminieren die Probleme, die die aktuelle Urbanisierungsgeschwindigkeit mit sich bringt. Soziale und ökonomische Prekarität und damit verbundene Diskriminierung und Ausgrenzung sind häufig die damit verbundenen Auswirkungen. – Städte sind keine statischen Gebilde, sondern Lebensräume, deren Hauptcharakteristikum die permanente Transformation ist. Seit dem Ende der 1990er-Jahre gibt es den Begriff der „Smart City“, mit dem heute zahlreiche Städte weltweit werben. Das weit gefasste Konzept zielt darauf ab, Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, umweltfreundlicher, sozialer und leistbarer zu gestalten. Die Idee klingt gut. Tatsächlich ist das Label „Smart City“ zum Mode- und fragwürdigen Werbebegriff geworden, der Städte gegeneinander ausspielt („wer ist smarter?“), Anmaßung herausfordert sowie meist weitaus stärker für ökonomisches Wachstum und technologische Errungenschaften als für den Nutzen der StadtbewohnerInnen steht. Viele von diesen haben sich unter dem Slogan „Recht auf Stadt“ in den letzten zehn Jahren weltweit zu vielfältigen Bündnissen formiert mit dem Ziel, aktive und gleichberechtige Teilhabe für alle BewohnerInnen bei der Gestaltung der urbanen Gesellschaft zur erreichen.

Die Arbeiten der ausstellenden KünstlerInnen reflektieren kritisch den Lebensraum „Stadt“. Einigen geht es um die Auseinandersetzung mit Raum, Zeit und Licht, signifikanten Faktoren des urbanen Lebens. Andere haben die Menschen in ihrem Lebensumfeld gesucht oder analysieren deren architektonische Eingriffe. Die KünstlerInnen gehen technisch unterschiedlich vor; die einen verlassen ihr Atelier nicht und konstruieren analog oder digital ganz neue Bildwelten, um hiermit neue Aussagen über die Stadt zu machen, die anderen gehen zu Fuß durch die Städte und präsentieren weitgehend unbearbeitetes Material von realen Gegebenheiten. Paul Horn & Lotte Lyon beschäftigen sich mit räumlichen Strukturen und Fragen nach der Mitgestaltung von Stadt. „Wem gehört die Stadt?“ „Wieviel Mitgestaltung ist möglich?“Aus Recycling- bzw. Fundmaterialien („Neufundland“) haben sie Stadtlandschafts-Modelle gebaut und fotografiert. Die schnell als Fakes auszumachenden Cities sind weniger nach den Gesetzen von Effizienz und Funktionalität entstanden, sondern betonen das Chaotische und Individuelle, das erst die Spannung im Stadtleben bewirkt. Weitere KünstlerInnen bedienen sich Materialien aus dem Internet: Die Künstlergruppe alien productions hat sich den Traum von ihrer Idealstadt erfüllt und 1999 alien city ins Netz gestellt, die sie trotz der Virtualität als real verstanden wissen möchten. Alien City ist aus Netz-Bildern zahlreicher realer Städte aus unterschiedlichen Zeiten zusammengesetzt und erlaubt den Usern, mitzugestalten. Dadurch befindet sich die Stadt in einem ständigen Transformationsprozess, Cha-rakteristikum jeder Stadt, und ist offen und grenzenlos. In der Ausstellung wird Alien City in einem Video vorgestellt. Auch Robert F. Hammerstiel beschäftigt sich mit der Idealstadt. Das Video Smart City wurde in der interaktiven Stadt „Megapolis“ im Netz aufgenommen, wo sich User eine Mega-City bauen können. Hier wird mit der Sehnsucht des Menschen gespielt, sich Ersatzwelten zu schaffen, die Glück, Idylle, Orientierung und Sicherheit verheißen. Tatsächlich sind die Konstruktions-Elemente vorgefertigt und begrenzt. Smart City ist letztlich nur Kulisse und Illusion – so wie die Kinderstadt „Minopolis“, die Hammerstiel in einer Fotoserie zeigt; hier agieren Kinder nach von Erwachsenen vorgeprägten Vorstellungen von Konsum, Karriere und Stadtgestaltung. Michael Bachhofer bedient sich Fotos von Google Maps und Earth, die es ihm ermöglichen. jederzeit zumindest gedanklich in Städte zu reisen. Diese begreift er als Superorganismen. In einem größeren Projekt untersucht er verschiedene Metropolen weltweit – hier seine Lieblingsstadt Tokio – in Hinblick auf ihre Strukturen und Entwicklungen. Die Internetbilder hat er zu Montagen zwischen Realität und Fiktion gefügt, z.B. Bilder aus vier Jahreszeiten, die neue Aussagen zum Thema Stadt ermög-lichen. Auch Hubert Blanz beschäftigt sich mit Systemen und Architekturen der Stadt – gleichermaßen fasziniert von deren funktionaler und gestalterischer Potenz wie auch kritisch reflektierend. In Roadshow hat er 100e Screenshots von Satellitenbildern realer Straßennetzwerke in verschiedenen Städten zu irritierenden Labyrinthen montiert, in denen die Straßen ins Nichts laufen – ein visionäres Bild einer möglichen Entwicklung von Stadt, in der die Orientierung schwer werden könnte. In The Fifth Face bedient er sich realer Fotos, die er aber zu ebenso fiktionalen Gebilden montiert. Hier thematisiert er Raummangel in Megacities (5. Fassade), Überwachungsproblematik und Überpopulation. Auch Michael Michlmayr geht grundsätzlich von realen Fotos aus. Er fotografiert Menschen im urbanen Raum zeitversetzt mit einer fix montierten Kamera aus der Vogelperspektive und montiert die Einzelbilder digital nahtlos zu einem Tableau. Dadurch wird Gleichzeitigkeit von Ereignissen und Handlungen suggeriert; tatsächlich aber handelt es sich um fiktive Szenarien. In Skyscrapers hat er zeitversetzt fotografierte Stockwerke von Wolkenkratzern vervielfacht und übereinander gestapelt, so dass neue Gebäude entstanden. Neben fotoimmanenten Problemen geht es hier um Massenpopulation und Hochhaus-Architektur in Metropolen – Faszination und kritische Distanz inbegriffen. Gudrun Kemsas Video Look around! wurde in ober- und unterirdischen Räumen am Potsdamer Platz in Berlin, einem der bedeutendsten großstädtischen Bauvorhaben nach der Wende, gedreht. Die nächtliche Kamerafahrt führt in gleich-bleibender Geschwindigkeit und mit fließenden Übergängen durch eine Licht-Glas-Stahl-Architektur des 21. Jhs. In der Überwindung räumlicher Grenzen erscheint der Raum unendlich. Die statische Architekur wird scheinbar in Bewegung versetzt, Zeitabläufe ergeben sich durch sich verändernde Lichtsituationen oder durch die Bewegung der Menschen, die den Bildraum wie eine Bühne betreten und verlassen. Michael Wesely zeigt eine auf realen Fotos beruhende, über zwei Jahre dauernde Langzeitbelichtung; auch er wählte den Potsdamer Platz nach der Wende, den Platz als Baustelle. Unzählige Bauphasen überlagern sich in einem Foto und wirken dadurch, als seien sie gleichzeitig entstanden. Fotografie rückt ins Filmische und Zeit wird als chronologische Größe in Frage gestellt. Die fragmentarischen Bilder aus unterschiedlichen Zeitebenen enthalten Reste des Realen, sind aber letztlich fiktiv – eine originäre Verhandlung des Transformatorischen von Stadt. Mit Transformation beschäftigt sich auch Elisabeth Czihak, auch wenn ihre Fotos der Realität Momentaufnahmen sind. Sie zeigen einen in der Gegenwart liegenden Zwischenzustand – vor allem Baustellen, neu errichtete Wohnblock und Abrisssituationen – , aber lassen auch die Vergangenheit sowie die zukünftige Entwicklung erahnen. Sie sprechen sowohl von Instabilität und Verlust gewohnter Ordnungen und Sicherheiten durch Veränderungen wie auch von einer Energie für Innovation, die die Städte treibt. Die Serie Chinoiserie widmet sich speziell den chinesischen Megacities wie Beijing, die aktuell eine Vorreiterrolle in Bezug auf Urbanisierungsgeschwindigkeit besetzen. Auch Helmut Kandl ist im Stadtraum unterwegs, ihn interessiert, wie sich politische, ökonomische und soziale Veränderungen auf die Menschen auswirken. Das Video Womit handelst du? zeigt Menschen in verschiedenen Städten, die Tätigkeiten mit geringer Einkommenssicherheit ausüben. Akrobaten, Straßenmusiker, Händler usw. stellen sich dem Kampf ums Überleben, der oft absurde Züge annimmt. Kandls Blick als Sohn von Kleingewerbetreibenden ist ein verständnisvoller, komplizenhafter. Gleichzeitig übt er Kritik an den auf Effizienz, Tempo und Gewinn ausgerichteten Großfirmen. Ursula Zeidler ist ebenfalls in Städten unterwegs. Sie zeigt uninszenierte Fotografien anonymer Menschen. Dabei bewegt sie sich im Milieu der emotionalen und existentiellen Prekarität: Sie ist interessiert an den meist unbeachtet bleibenden Menschen am Rande der Gesellschaft – Obdachlose, Bettler, aber auch „nur“ einsame Menschen, die verloren, in sich zusammengesackt oder mit ihren Kopfhörern in einer eigenen kommunikationslosen Welt versunken sind. Die Authentizität der Fotos resultiert aus deren Sich-unbeobachtet-Fühlen. Fabio Zolly nimmt öffentliche urbane Räume „in Besitz“, indem er Areale mit Absperrbändern mit dem Aufdruck DO NOT CROSS – COPYRIGHT BY FABIO ZOLLY abtrennt und fotografiert. Oder er setzt seinen Copyright-Stempel. Zolly thematisiert damit die Problematik, dass in den Städten das „Allgemeingut Raum“ häufig durch ökonomische Verwertung und Kommerzialisierung be-schnitten wird. Wem gehört die Stadt? Die Absperrbänder und Copyright-Stempel verstehen sich als ironische, die seinen Originalitätsanspruch eher konterkarieren als bestätigen und den menschlichen Drang nach Markierung hinterfragen.

 

 
 
1) alien productions
2) Michael Bachhofer
3) Hubert Blanz
4) Elisabeth Czihak
5) Robert F. Hammerstiel
6) Paul Horn & Lotte Lyon
7) Helmut Kandl
8) Gudrun Kemsa
9) Michael Michlmayr
10) Michael Wesely
11) Ursula Zeidler
12) Fabio Zolly