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Es lebe die neue Maschinenkunst!

Galerie im Stadtmuseum Neuötting
Ludwigstr. 12, 84524 Neuötting/DE, T +49 8671-8837113, museum[at]neuoetting.de
5.5.–17.6.2012
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
KünstlerInnen: Alfred Bachlehner/AT, Patrick Baumüller/AT, Uwe Bressnik/AT, Bernhard Buhmann/AT, Peter Fritzenwallner/AT, Robert F. Hammerstiel/AT, Andreas Ilg/DE, Claudia Larcher/AT, Walter Mirtl/AT/BE, Martin Osterider/AT, David Moises/AT, Leo Peschta/AT, Leo Schatzl/AT, Andrea Sodomka/alien productions/AT, Toni Wirthmüller/DE
Vernissagenrede am 4.5.2012, Petra Noll:

Diese Gruppenausstellung beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine in der aktuellen Kunst. Seit den Maschinenentwürfen des Renaissance-Künstlers und Erfinders Leonardo da Vinci haben KünstlerInnen immer wieder aktuell auf die Errungenschaften der Technik ihrer Zeit reagiert und seit dem Beginn der Industrialisierung am Anfang des 20. Jahrhunderts auch die damit zusammenhängenden ethischen Fragestellungen thematisiert. Gerade heute, in einer Zeit der zunehmenden Dominanz von Maschinen in Alltags- und Arbeitswelt, ist die Thematik brisanter denn je. Der Ausstellungstitel ist der 1. Internationalen Dada-Messe von 1920 („Die Kunst ist tot. Es lebe die neue Maschinenkunst Tatlins“) entlehnt. Der russische Künstler Wladimir J. Tatlin (1885-1954) gilt als Begründer der Maschinenkunst. Eines seiner wichtigsten Werke ist das 1919 geschaffene Modell für einen 400 Meter hohen, nicht realisierten Turm, eine gigantische „Maschine“, die als spiralförmig gewundene Stahlkonstruktion konzipiert wurde, durch die ein schräger Mast führt, um den sich drei gläserne Körper drehen. Das Kunstwerk sollte die Dynamik der Revolution widerspiegeln. Auch der Futurismus (1. Manifest 1909) war geprägt von vorbehaltloser Technikgläubigkeit, von der Ästhetik der Maschinen, ihrer Dynamik, Kraft, Leistungsfähigkeit und Geschwindigkeit. Der Schweizerische Bildhauer Jean Tinguely beschäftigte sich seit 1935 mit Bewegung und Maschine; er schuf humorvolle und poetische Maschinen aus Schrott. Höhepunkt war sein selbstzerstörerisches kinetisches Objekt „Hommage to New York“ (1960), mit dem er spektakulär die „Schönheit des Untergangs“ zelebrierte, die Ambivalenz im Konstrukt „Maschine“ thematisierte. Die Beziehung des Menschen zur Maschine ist eine gebrochene. Einerseits erweitern Maschinen die Möglichkeiten der Menschen: Sie dienen als unersetzliche Helfer in der Alltags- und Arbeitswelt, in Medizin, Sport, Kommunikation, Wissenschaft und Fortbewegung und werden zunehmend auch im privaten Bereich eingesetzt. (Roboter-) Maschinen übernehmen nicht nur schwierige Aufgaben, sondern lösen diese auch in einem Bruchteil der vom Menschen benötigten Zeit. Sie sind Ausdruck unserer immerwährenden Sehnsucht nach Innovation und letztendlich nach dem künstlichen Menschen. Am Anfang des 21. Jahrhunderts ist die Verbindung zur Maschine enger denn je. 'Faszination Technik', die Freude an der Ästhetik und Kraft von Maschinen – der Körper muss durch ihre Präsenz nicht „verloren“ sein, sondern es eröffnen sich vielmehr neue Artikulationsmöglichkeiten.  Andererseits wirft der Gebrauch von Maschinen ethische und existentielle Fragen auf, die sich aus der Schnittstelle Mensch-Maschine ergeben: die Maschine, die den Menschen gefährdet, vereinnahmt, abhängig macht und ihn im schlimmsten Fall ersetzt; die Maschine, die das Leben „unpersönlich“, hektisch und monoton macht, die Tiere und Lebensmittel  brutal "verwertet", die die Umwelt zerstört und verpestet, die uns – aktuell im atomaren Bereich – Angst macht vor Kontrollverlust und die als Kriegsmaschine zerstörerisch wirkt. In den frühen Spielfilmen "Metropolis" (Fritz Lang, 1927) und „Moderne Zeiten“ von und mit Charlie Chaplin (1936 zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise) wurde schon früh die Gefahr des Verlusts von Individualität durch maschinelle Arbeitsabläufe kritisiert. Die KünstlerInnen dieser Ausstellung setzen sich kritisch mit dem positiven wie negativen Potential der Maschine auseinander – Arbeiten zwischen Poesie, Magie, Witz, Ironie, Absurdität und Phantastik. Sie zeigen sich als kritische Beobachter und Darsteller der Realität, aber auch in vielen Fällen als neugierige ErfinderInnen eigener, meist low-tech-Maschinen, die sie bauen, malen oder auch am Computer konstruieren. Oder es werden in der Alltags- und Arbeitswelt im Gebrauch befindliche Maschinen und Apparaturen zu gänzlich anderen, meist sehr "lebendigen" – beweglichen und Geräusche verursachenden – "Wesen" umgestaltet.  Sie führen zum Teil skurrile Tätigkeiten aus und stellen damit Sinn und Funktion der "echten" Maschinen in Frage: Es lebe die neue Maschinenkunst! Einige zeigen sich als sensible Beobachter und Darsteller der Realität, wie beispielsweise 
Alfred Bachlehner. Seine figurativen Bilder aus der Serie Zwangsläufig sind auf der Basis von historischen und aktuellen Spiel- und Dokumentar-Filmen zum Thema “Maschine” entstanden und deuten kritisch auf das Inhumane bzw. Menschenunwürdige der monotonen und von Zeitdruck geprägten Arbeit speziell an Fabrik-Maschinen sowie auf die Massenproduktion von Lebensmitteln hin. 
Martin Osterider setzt sich in seiner Foto-Serie Aufgestellt vor Ort mit der omnipräsenten urbanen Automatenkultur am Beispiel Japan auseinander; er thematisiert die Ambivalenz, die in diesen Maschinen steckt. Einerseits bieten sie rund um die Uhr jeden erdenklichen Service an, andererseits besteht dieser oft aus den absurdesten Funktionen und Angeboten. 
Toni Wirthmüller beschäftigt sich mit menschlichen Befindlichkeiten wie Schmerz und Verwundbarkeit, aber auch mit Sinnlichkeit, Schönheit und Erotik. In seiner Fotoserie Transmission hat er Fotos von Maschinen und Geräten in einer alten Getreidemühle mit fragmentarischen Körperteilen, meist Händen, kombiniert. Im Kontrast der harten, scharfen Maschinen und Geräte wirkt das menschliche Fleisch noch verwundbarer. Einige der Künstler/innen präsentieren sich als Erfinder/innen von Maschinen, die sie mit viel Experimentierfreude bauen, malen oder am Computer konstruieren. Diese haben nichts gemein mit der Rationalität, Effizienz und Perfektion von Arbeitsmaschinen, hierbei geht es vielmehr um ein poetisches Spiel mit Sinn und Unsinn von Funktionen.
 Patrick Baumüller verwendet alltägliches Material und konstruiert bewusst “low-tech”-Apparaturen. Das sind, wie die Arbeit Kreisfarbkehr, unpathetische “Wunderwerke” von meditativer Poesie, die im Kontrast stehen zu den funktionalen, effektiven und lärmenden Maschinen unserer Alltags- und Arbeitswelt. Von ihm stammt auch die Serie Speaker’s Corner, u.a. die Maschine Lauter Sprecher, die bei der Vernissage die Rede gehalten hat. 
Uwe Bressnik hat ein DJ-Set (Bressniks 1210) aus natürlichen Materialien wie Holz, Reisig, Wurzeln, Steinen, Beeren usw… nachgebaut, eine poetische Maschine, die zwar keine Musik abspielen kann, diese aber in den Köpfen doch assoziiert – eine witzig-ironische Arbeit, die über die Möglichkeiten und Wirkungen technischer Medien versus jenen von Imagination und sinnlicher Erfahrung reflektiert. 
Die wundersamen und rätselhaften gemalten Flugmaschinen von Bernhard Buhmann (Ikarus und Jetset) sind fantastische Konstrukte aus vielerlei sonderbarem Räderwerk und Apparaturen, die Funktion und Leistung von üblichen Maschinen in Frage stellen. Peter Fritzenwallner hat für sein Video The Jackson Complex eine skurril-witzige, sehr poetische und bewusst auf einfachen Mechanismen beruhende apparative Kettenreaktion gebaut. Während er schläft, beginnen Maschinen zu arbeiten, die ihn immer mehr mit Farbe zuschütten – eine ironische Auseinandersetzung mit dem Dasein des Künstlers sowie dem Kunstbetrieb, aber auch mit Funktion und Bedeutung von Maschinen. 
In Walter Mirtls Videos stehen maschinenähnliche, zum Teil computerkreierte, sich ständig bewegende Gegenstände im Mittelpunkt, begleitet von repetitiven eindringlichen, maschinenhaften Geräuschen. Die surrealen Bildkonstellationen schaffen rätselhafte, auch bedrohliche Situationen. Walter Mirtls Maschinen leisten nichts im herkömmlichen Sinn und dennoch sind diese Clips auch eine Hommage an deren Ästhetik, Dynamik, Kraft und Geschwindigkeit.
 Leo Peschtas Chronograph, griech. “Zeitschreiber”, ist eine Maschine, die Raumgeräusche aufnimmt. Jede Minute bewegt sich ein „Zeiger“ um ein paar Grad weiter und dreht dabei mit einer Fräse eine Vertiefung in die Basisholzplatte. Die Tiefe der Einbuchtung ist abhängig vom Geräuschpegel im Raum. Durch das Fräsen wird mit der Zeit das Fundament der Maschine zerstört. Von Peschta sind auch die Beat machines (BM mkII), kleine Schlagzeug-Computer. Sie erzeugen gemeinsam Musik, indem sie auf den Untergrund, auf dem sie angebracht sind, schlagen und diesen so zum Klingen bringen. 
Leo Schatzl zeigt Foto- und Videoarbeiten, in denen er sich auf ironisch-skurrile Weise mit Fortbewegungsmaschinen – in erster Linie mit dem Statussymbol “Auto” – bzw. mit den damit verbundenen Vorstellungen von Geschwindigkeit, Mobilität, Schönheit und Repräsentation beschäftigt. In der Ausstellung wird die u.a. die Videoedition Farrago mit mehreren Filmen des Künstlers zum Thema ‘Maschine’ gezeigt; z.B. das Video Maschinenkampf: Hier hat Leo Schatzl mit anderen Beteiligten auf einem Schrottplatz in Linz einen Wettkampf zwischen zwei gigantischen, aus Schrott selbstgebauten, ferngesteuerten, “Kampfmaschinen” durchgeführt – ein augenzwinkerndes Statement zu Maschinenkult und Machismo. Eine weitere Gruppe von Künstler/innen haben Maschinen, Apparaturen oder Roboter, aus der Alltags- und Arbeitswelt zu anderen “Wesen” umgestaltet. Sie führen zum Teil skurrile Tätigkeiten aus und stellen damit Sinn und Funktion der “echten” Maschinen in Frage: 
Robert F. Hammerstiel lässt einen Staubsauger-Roboter (Home Run – Heribert ist Goldes wert) kursieren. Diesen hat er zusammen mit dem Techniker Martin Beha zum Sprechen gebracht. Er gibt moralische Belehrungen bzw. Werbesprüche zu den Themen ‚Ordnung’ und ‚Sauberkeit’ zum besten. Hier, wie auch in dem Video von der Installation What more do you want? II, wo auf einem umzäunten Kunstrasenstück ein Rasenroboter rotiert, scheint alles in bester Ordnung zu sein – und doch liegt in diesem automatisierten, einsamen Kreisen der Roboter etwas beunruhigend Trauriges, Vergebliches – wie bei einem menschlichen Wesen im Kreislauf des Lebens. 
Urps macht der silberne Panzer von Andreas Ilg und spuckt anstelle eines Geschosses buntes Plastikpielzeug aus. Was zunächst nach harmloser, fröhlicher Spielzeugwelt und Spaßkultur aussieht, entpuppt sich beim zweiten Blick als Kritik an Sinnlosigkeit und Gewalt des Krieges. Andreas Ilg arbeitet gern mit diesem Kontrast von Form und Inhalt und erreicht hiermit Verunsicherung und eine daraus resultierende Reflexion. 
Für die Serie Liebherr hat Claudia Larcher Digitalfotografien von Baumaschinen auf Leinwand übertragen und dann mit der Nähmaschine gestickt. In der gängigen Vorstellung stehen Näharbeiten für eine weibliche Technik und für kleinbürgerliche Glücksvorstellungen. Das Motiv der Baumaschinen ist dagegen “männlich” konnotiert. In diesen Arbeiten führt die Künstlerin viele Klischees zusammen, verdichtet und verschiebt Realitäten und Vorstellungen und schafft somit einen neuen Blick auf die Wirklichkeit.
 David Moises baut aus Ready-mades des Alltags Geräte, vor allem Vehikel – vom fliegenden Teppich bis zum motorisierten Steckenpferd. Die ursprüngliche Funktion wird verändert, ad absurdum geführt oder auch ganz neu definiert und damit Funktion und Technikwahn in Frage gestellt. Der Geheilte Heimtrainer ist der Umbau eines ursprünglich zum Radeln auf der Stelle angelegten Fahrrad-Ergometers. Dieser wurde so umgebaut, dass mit Pedalkraft ein Generator angetrieben wird, der den Strom für einen Motor liefert, der das „Fahrrad“ bei starker Anstrengung ein kleines Stückchen vorwärts bewegt. Entstanden ist somit ein skurriles Hybrid, der funktioniert, obwohl er gar nicht sollte. 
Andrea Sodomka bzw. das Künstlernetzwerk alien productions sind mit zwei Sound-Installationen und dem Dokumentationsvideo einer Installation/Performance vertreten. Dies sind nicht nur – wie das Dokumentationsvideo der Installation Arbeitsmuster von alien productions zeigt – jeweils sehr komplexe multimediale Events, sondern es werden auch Arbeitsbedingungen von Menschen an Maschinen thematisiert. Die Sound-Arbeit Ordnung der Lust von Andrea Sodomka basiert auf Aufnahmen von Geräuschen automatisierter moderner Melkmaschinen und macht in ihrer akustischen Härte deutlich, dass das Lebendige zunehmend maschinell organisiert wird. – The Mix von alien productions ist ein Musikstück, das auf Geräuschen von zehn computergesteuerten Küchenmixern beruht. Mit der Arbeit soll das Serielle der alltäglichen Arbeitsläufe thematisiert werden. 

 

 

 


 
 
1) Alfred Bachlehner, aus der Serie Zwangsläufig, 2012, Mischtechnik auf Leinwand, je 60×80 cm
2) Patrick Baumüller, Ventilato, Klebefolie, 2012, 32×31 cm
3) Uwe Bressnik, Bressniks 1210, 2000, Holz, Steine, Beeren, Schwämme, Wurzeln, Reisig u.a., 200×70×75 cm
4) Andreas Ilg, Urps, 2010, Panzer, Farbe, Kleinplastikteile, 120×40× 30 cm
5) Peter Fritzenwallner, The Jackson Complex, 2012, Videoloop, 4:13 Min., Ton
6) Robert F. Hammerstiel, Home Run (Heribert ist Goldes wert), 2012, Roboter-Staubsauger, elektronisches Audiosystem (Martin Beha), 34,5 cm
7) Walter Mirtl, Sechs Videoloops, Ton: Spack, 2012, 2 Sek., Darkcell, 2012, 4 Sek., Terre++, 2012, 18 Sek.,caution[blckobj], 2012, 2 Sek., Gas, 2012, 9 Sek., work less– produce more, 2011, 4 Sek.
8) David Moises, Der Geheilte Heimtrainer, 2004, Heimtrainer, Generator, Motor, Einzelstück + 1 AP, 120×70×50 cm (Leihgabe der Stadt Wien, MUSA)
9) Leo Peschta, Der Chronograph, 2010, Metall, Micro Controller, Elektronik, 30×30×20 cm
10) Leo Schatzl, Whity, 2006*, Ausschneidebogen/ Papiermodell, ca. 30×20×15 cm
11) Martin Osterider, Aufgestellt vor Ort, 2002, C-Prints, je 40×30 cm
12) alien productions, Embedded Systems. The Mix, 1997. Installationsrelikt / Objekt, 2 Grafiken. Klanginstallation für zehn modifizierte, durch Computer-Relais gesteuerte Standmixer, davon vier mit integrierten Lautsprechern. Erstinstallation: Radiokulturhaus Wien, A, (Recycling the Future 4), 4. – 7.12.1997
13) Toni Wirthmüller, aus: Transmission, 2011, C-Prints, je 20 × 30 cm
14) und 15) Ausstellungsansichten