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How long is now?

HAUS DER FOTOGRAFIE – Dr. Robert-Gerlich-Museum, Burghausen
Burg 1, 84489 Burghausen/ Deutschland
25.5. - 27.7.2014
KünstlerInnen: Michael Aschauer, Boris Becker, Stéphane Couturier, Stefanie Hilgarth, Anna Jermolaewa, Martin Klimas, Brigitte Kowanz, Michael Michlmayr, Jeff Nixon, Stephan Reusse, Julia Rohn, Liddy Scheffknecht, Werner Schrödl, Jutta Strohmaier, Hiroshi Sugimoto, Martin Walde, Flora Watzal und Michael Wesely
Die im Jahr 2013 im FOTORAUM Wien gezeigte Ausstellung “How long is now?” zum Thema Zeit wurde in leicht veränderter Form im Haus der Fotografie in Burghausen gezeigt.
In der Ausstellung wurden Arbeiten aus der Sammlung Andra Spallart sowie von zusätzlich eingeladenen KünstlerInnen gezeigt.
Vernissagenrede am 24.5.2014, Petra Noll:

Mit dieser Ausstellung wird eines der wichtigsten Themen der Fotografie verhandelt – die Zeit. Der Titel –_How long is now?_ inkludiert die Schwierigkeit, das Phänomen Zeit bzw. Dauer zu begreifen und darzustellen: Wir glauben zwar zu wissen, was Zeit ist, aber wenn wir versuchen, sie objektiv zu bestimmen und ins rechte Verhältnis zu unserem subjektiven Zeitempfinden zu setzen, wird es schwierig – und das, obwohl Zeit – neben Raum – eine grundlegende Kategorie unserer Wahr-nehmung und Realitätseinschätzung ist. Ich möchte zwei unterscheidungen von Zeit hervorheben: die Dingzeit – hier ist Zeit erfahrbar an der Entwicklung und Veränderung bzw. Bewegung von Dingen und Ereignissen. Und zweitens die Erlebniszeit, das subjektive Zeit-Erleben des Individuums, das Zeitgefühl. So gibt es hier zum einen Arbeiten, die es sich zum Thema gemacht haben, Zeitabläufe bzw. das Verstreichen von Zeit zu visualisieren, und andere, bei denen die Darstellung der Intensität von Gefühl und Stimmung im gegenwärtigen Augenblick der hauptsächliche Aspekt ist.
Es gibt auch Arbeiten, in denen sich beide Kategorien überlappen (Couturier, Strohmaier, Rohn).

Auch das Medium Video, das für lineare zeitliche Abläufe durch Bewegung steht, wird hier in seiner Struktur gebrochen, es entstehen auch hier Raum-Zeit-Konstrukte zwischen Realität und Fiktion. Von Jutta Strohmaier sind eine Fotoarbeit (hinter Bühne) und zwei Videos (Box) zu sehen. Ihre Arbeiten entstehen auf der Basis von dokumentarischen Materialien räumlicher Situationen, die am Computer bearbeitet werden. Das Resultat sind nicht nur poetisch-meditative, sondern auch wissenschaftlich-analytische Zeitbilder sowie auch subtil humorvolle Arbeiten wie die Fotografie „45 steps, 5 trees, 1 pole and almost stepping into dogs dropping“. Es ist ihr Anliegen, das Verstreichen von Zeit zu visualisieren bzw. fühlbar zu machen, wie in dem Video „At Times“, wo auf einem Dach Schwalben beim Füttern ihrer Jungen beobachtet, wobei nur die Schatten der Vögel sichtbar sind. Hier scheint Zeit gleichzeitig zu verstreichen und stillzustehen. In ihrem Video „Geteilte Zeit“ hat sie eine Kreuzung mit einer computergesteuerten Kamera 2 Tage lang fotografiert und die Fotografien digital aneinandergefügt, dadurch fließen die Fotos zu einem dauerhaften Prozess zusammen und machen Bilder aus unterschiedlichen Zeitabschnitten gleichzeitig sichtbar. Stéphane Couturier geht es um die Analyse des sich ständig im Wechsel befindlichen urbanen Raums. Er zeigt in seinem Video (Raum 1, Bühne) von 2007-2008 einen Verkehrsknotenpunkt an einer Schnellstraße in Brasilia. Es handelt sich um ein Konstrukt zwischen Realität und Fiktion, denn er hat zwei dokumentarische Videos einer Kurvenfahrt übereinandergelegt und damit neue Konstellationen von Raum und Zeit geschaffen. Durch den Loop wird die Zeit ins Unendliche gedehnt, eine Endlosschleife ohne Anfang und Ende, wir werden vorangetrieben ohne Fluchtmöglichkeit. Das Video vermittelt Stimmungen zw. Meditation und Beängstigung, unterstrichen von obsessiver Musik. Flora Watzal geht in ihren Videos oft an die Grenzen der Sicht- und Lesbarkeit, stört mit Verschiebungen und Fragmentierungen die Ordnung von Raum und Zeit und damit die Wahrnehmung. Das Spezifische des Mediums Video – die Darstellung von bewegten Körpern im Raum und im Verlauf der Zeit – wird in der hier ausgestellten Arbeit „Von links nach rechts, von oben nach unten“ Arbeit ad absurdum geführt. Hier bleiben vier Personen fast unbewegt. Ihre Körper sowie die Einrichtungsgegenstände und Raumteile eines Wohnzimmers verschieben sich mit teilweise komischen Effekten, geraten immer mehr in Aufruhr und fügen sich an anderer Stelle wieder zusammen. Im ersten Fall, der Visualisierung von Zeitabläufen, handelt es sich um Arbeiten, in denen diese Thematik von Brüchen und Hinterfragungen begleitet ist. So werden meist illusionistische Raum-Zeit-Konstellationen und Konstrukte geschaffen, durch die sich Zeit als etwas Relatives zeigt. Das Prozessuale von Zeit darzustellen, ist eine besondere Herausforderung vor allem in der Fotografie, die per se immer nur ein Schnitt durch eine Bewegung, ein Ausschnitt aus der Zeit ist.
Michael Wesely visualisiert mit extremen Langzeitbelichtungen biologische Prozesse sowie alltägliche Situationen – gerne zeitorientierte Orte und Situationen wie Bahnhöfe und Sonnenauf- und untergänge oder Baustellen in ihren Veränderungen (Potsdamer Platz, 2 Jahre Belichtung, Rio Amazonas = 10 Min.). Durch die sich in einem Foto überlappenden Bilder wird Raum und Zeit verdichtet. Die auf Grund der Langzeitbelichtungen entstehende Unschärfe thematisiert Zeit auch als etwas Verschwindendes. Auch bei Michael Michlmayrs Fotografien handelt es sich um Verdichtungen von Raum und Zeit. Die scheinbar realen urbanen Szenarien eines Tableaus entpuppen sich bei genauem Hinsehen als Montagen aus zeitversetzt aufgenommenen Fotos von je einer Situation. Durch die Parallelschaltung verschiedener Ebenen wird Gleichzeitigkeit von Ereignissen und Handlungen suggeriert und Zeit als inhomogene, nicht lineare Größe entlarvt. Zudem ist es eine Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsgehalt fotografischer Bilder. Auch in der auf einer Installation basierenden 6-teiligen Serie „Oculus“ (lat. Auge) von Liddy Scheffknecht geht es um die Darstellung zeitlicher Abläufe im fotografischen Bild. Aus einem mit weißem Papier bedeckten Fenster wurde eine Ellipse geschnitten und im Innenraum davor eine Lampe platziert. Durch das eintretende Sonnenlicht wurde die Ellipse zu verschiedenen Tageszeiten an unterschiedlichen Stellen und in variierenden Formen auf den Boden gestrahlt. Nur um 17.01 Uhr formierte sich ganz kurz ein runder Lichtkreis unter der Lampe und erzeugte die Illusion, dass sie nun eingeschaltet worden wäre. – Desweiteren zeigt sie das Objekt „Bubblegum“– ein aufgeblasener Kaugummi wurde vor dem Zerplatzen für “alle Ewigkeiten“ konserviert. Die Themen von Werner Schrödl sind Dauer und Flüchtigkeit. Mit der Wirklichkeit ein experimentelles Spiel treibend, hat Schrödl 1995 entstandene Fotos in der Whyte Avenue, einem Prostituiertenviertel in Brooklyn, später mit Miniatur-figuren besetzt und wieder fotografiert. In diesen Mini-Modellwelten werden aus einmalig festgehal-tenen Zeitmomenten „dauerhafte“ Situationen, wie sie sich immer wieder ähnlich abspielen bzw. abspielen könnten. Durch fiktionale und inszenatorische Elemente wird aber gleichzeitig auch konstatiert, dass in einer unstabilen Welt nichts gewiss, nichts von Dauer ist. Die Anordnung der Bilder ist nicht willkürlich, sondern zeichnet Straßenverläufe nach. Martin Walde geht es um transformatorische Zustände und damit um Zeit. „Yellow“, 2006, ist eine Fotomontage einer Straße in Wien mit einer eingezeichneten Figur. Diese befindet sich auf der Kippe von Stillstand zu Bewegung, Erscheinen und Verschwinden, zwischen Tatenlosigkeit und möglicher Aktion. Die Zeit steht still in dieser in übernatürliches Gelb getauchten rätselhaft-poetischen Parallelwelt. Die Wahrnehmung von Realität, Zeit und Raum ist erheblich irritiert. Martin Klimas zeigt zwei Fotografien von einer Tulpe in einer Porzellanvase sowie von zwei Kung-Fu-Kämpfern aus Porzellan in teilweise zerstörtem Zustand. Die Blumenvase wurde mit Stahlkugeln beschossen, die Kung-Fu Kämpfer wurden auf den Boden geworfen. Dann wurden sie jeweils in dem kurzen Moment des Aufpralls mit einer Hochgeschwindigkeitskamera fotografiert. Scheinbar wird jeweils der Zeitverlauf von der Unversehrtheit eines Objekts bis hin zu seiner Zerstörung gezeigt. Tatsächlich sehen wir aber den kurzen Moment vor der kompletten Zerstörung. Michael Aschauer zeigt eine Meereslandschaft. Auch ihm geht es um die Visualisierung von Zeitabläufen im fotografischen Bild. Er hat eine Line-Scan-Kamera (Film wird an Schlitz vorbeigezogen und durch diesen hindurch belichtet) auf dem Berg Oros Harasson auf der griech. Insel Syros installiert und eine Langzeitaufnahme über 7 Tage von jeweils 6-18 Uhr des Punktes, wo die Sonne im Meer versinkt, aufgenommen. Das scheinbar endlose Panorama entpuppt sich als Konstrukt, denn von 25 Bildern pro Sekunde hat er nur je eine Pixelspalte aufgezeichnet und automatisch zu einem Bild montiert. Die Relativität von Zeit wird deutlich. – Die drei ausgestellten Bilder zeigen jeweils 10 Minuten eines Tagesverlaufs, das Künstlerbuch alle 7 Tage. Die Fotoarbeit von Stefanie Hilgarth eine Zeit-Raum-Studie, ist während mehrerer Zugfahrten entstanden; jede Serie repräsentiert eine Fahrt. Bei jedem Zugstopp hat Hilgarth mit einer handy-Kamera ein Foto aus dem Zugfenster hinaus aufgenommen. Es gab mehr oder weniger starke Reflexionen, die Innen- und Außenraum überlagerten. Diese Überlagerungen hat sie mit Tipp-Ex auf den Fotos weggestrichen, wodurch eine Multiplizierung der Zwischenräume zu entstehen scheint. So wird letztlich nur der Raum gezeigt, der abseits des Geschehens im Zugabteil liegt. Alles andere verschwindet hinter einer matten weißen Oberfläche. Stephan Reusse fotografiert mit thermografischen Apparaturen für das menschliche Auge unsichtbare Wärmeabstrahlungen von Körpern und Dingen in einem Farbspektrum von Weiß bis Blau (Blau = kalt). In Cold Boxes, insgesamt vier Fotografien, sind die Abstrahlungen in Form der Umrisse der Kisten demnach blau. Die kalten Boxen wurden in einen wärmeren Raum gestellt und drei Minuten danach fotografiert. Je schneller bei einer Veränderung fotografiert wird, desto deutlicher zeigt sich die Abstrahlung, die „Aura“. Das Flüchtige wird festgehalten und Zeit auf ungewöhnliche Weise sichtbar gemacht. Jeff Nixon zeigt die Fotografie „Moon and Half Dome“, aufgenommen in Yosemite Valley, Kalifornien (1998). Es handelt sich um eine 38 Jahre später erfolgte Nachfotografie des gleichen Motivs von Ansel Adams (Hasselblad), das hier auch ausgestellt ist. Nur alle 19 Jahre steht der Mond in Yosemite Valley an der von Adams fotografierten Stelle. Während es Adams mehr um die Komposition ging, interessierte Nixon der wissenschaftlich-experimentelle Beweis, dass sich auf der Basis von gleichen Verläufen von Zeit Zustände wiederholen. Einige der hier präsentieten Arbeiten beschäftigen sich mit dem vom Menschen eingesetzten Zeitsystem einem Grundwert der menschlichen Existenz, und seinen Apparaturen. Es gibt dem Menschen Ordnung und Orientierung, aber bedeutet auch Einschränkung. Innerhalb ihrer Auseinandersetzung mit Qualität, Erscheinung und Darstellung von Licht ist auch Zeit ein zentrales Thema im Werk von Brigitte Kowanz. Für die Visualisierung von Zeit durch (künstliches) Licht hat sie unterschiedliche formale Lösungen gefunden. Uhren und Kalenderobjekte bilden hier eine große Werkgruppe. Die Fotoserie „Kalender“ basiert auf im öffentlichen Raum installierten Objekten aus übereinander gelagerten Neonziffern, bei denen in regelmäßigem Takt abwechselnd alle Ziffern oder nur ein Tag eines Monats voll beleuchtet wird. Dieser Lichtkalender verweigert sich nicht der Funktionalität, entlarvt aber gleichzeitig das menschliche Zeitmess-System als willkürliche Größe. Mit subtilem Humor reflektiert Anna Jermolaewa in dem Triptychon Good Times, Bad Times unsere Zeiteinteilung und -messung, Die Fotoarbeit versteht sich als Metapher für die Relativität von Werten und Systemen respektive für die Willkürlichkeit und Künstlichkeit unseres Zeitsystems. Für ihre Arbeiten ist sie in der Welt des Alltäglichen, der kleinen Dinge und Situationen zu Hause. Jermolaewas Protagonisten sind Puppen, Spielzeugfiguren und Tiere, wie hier die Tauben, für die es auf den waagerecht stehenden Zeigern einer Uhr deutlich gemütlicher ist als auf den senkrechten – drei in der Realität entdeckte und voller Symbolik steckende Bilder! Zeitgefühl, die von jedem Individuum auf unterschiedliche Weise mental erlebte Zeit wird in manchen Arbeiten zu einer besonders intensiven Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen. Hier werden Orte der Stille, der Raum- und Zeitlosigkeit gezeigt – Orte, die einerseits Gedanken an die Endlichkeit der Existenz aufwerfen und damit Verunsicherung bewirken können, die andererseits aber auch ein Aufgehobensein in der Unendlichkeit von Raum und Zeit fühlbar machen können. In Julia Rohns Video „Schmelze“ geht es um Transformation und Veränderung von Materie, ein Eiswürfel schmilzt. Die Bewegung beim Auftauen ist minimal, der Zustand vom Erscheinen zum Verschwinden ein 60 Minuten andauernder, von nichts (wie beispielsweise von Sound) abgelenkter Prozess, der, gibt man sich ihm in seiner extremen Dauer hin, eine meditative Erfahrung, ein Gefühl für das Verstreichen von Zeit bewirken kann. Bei Boris Beckers großformatiger Fotografie handelt es sich um einen detailgetreuen, tiefenscharfen Ausschnitt aus der Realität. Ohne weißen Rand wirkt das Bild „grenzenlos“. Ein Gefühl von Ort- und Zeitlosigkeit wird vermittelt, zumal auch keine Bezüge durch beispielsweise Horizontlinie, Personen oder Dinge gegeben werden. Auch bei dem Titel handelt es sich nur um eine Serien-Nummer. Durch diese Abstraktion ist das Bild autonom geworden und somit offen für Fragestellungen zur Repräsentationsfähigkeit bzw. Bildinformation von fotografischen Bildern. Hiroshi Sugimoto fotografiert seit über 30 Jahren weltweit Meereslandschaften in ähnlicher Weise und Stimmung und reflektiert hiermit über Raum, Zeit, Ursprung und Existenz. Durch die ruhige Komposition sowie die Reduktion auf Schwarzweiß und das kleine Format repräsentieren sie einen überzeitlichen Bewusstseinszustand. Die Zeit scheint stillzustehen in diesen „Denkbildern“, die einerseits ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit, ein Einssein mit der Natur vermitteln, andererseits aber die Relativität von Zeit spürbar machen – das Unbegreifliche, das auch Verunsicherung hervorrufen kann.

 
 
 
Ausstellungsansichten
(Nr. 3: © Michael Michlmayr)