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INFINITE NATURE – ARTIFICIAL SCENERY

FLUSS – NÖ. Initiative für Foto- und Medienkunst
Schloss Wolkersdorf, Schlossplatz 2, 2120 Wolkersdorf
info[at]fotofluss.at, www.fotofluss.at
13.3.–3.4.2011
KünstlerInnen: David de Beyter/FR, Regula Dettwiler/CH/AT, Robert F. Hammerstiel/AT, Stefan Lux/DE/AT, Hanns Otte/AT, Michael Reisch/DE, Reiner Riedler/AT, Almut Rink/DE/AT und Julia Willms/DE/NL
Vernissagenrede am 12.3.2011, Petra Noll:

Die künstlerischen Positionen dieser Ausstellung thematisieren die Tatsache, dass wir heute zunehmend von künstlicher Natur in unterschiedlichster Ausprägung umgeben sind. Infinite Nature – Natur kann unendlich und beliebig künstlich produziert und reproduziert werden. Natur als Massenprodukt aus zweiter Hand… Die konstruierte bzw. die künstlich generierte Natur ist fast schon authentischer geworden als die reale. Sie ist ein typisches Phänomen unserer Zeit. Die Grenze zwischen Natürlich- und Künstlichkeit verschmilzt immer mehr: Künstliches sieht aus wie „echt“, Natürliches wirkt künstlich.Die Mediatisierung unseres Lebens macht es zudem noch schwerer, einen unbefangenen Blick auf die Natur zu erleben. Von der Werbe-, Tourismus- und Entertainment-Industrie wird uns auf suggestive Art eine „ideale“ Natur vermittelt, die unsere – aufgrund der bedrohlich und unsicher erlebten Gegenwart verständlichen – Wünsche nach Idylle, Harmonie, Geborgenheit, aber auch Abenteuer und Exotik stimuliert. Dabei verlernen wir immer mehr, Natur als eine unserer ursprünglichsten Sehnsüchte zu sehen.
Die in dieser Ausstellung vertretenen KünstlerInnen aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Österreich untersuchen in ihren Arbeiten auf sehr unterschiedliche Weise den durch die Naturimitation veränderten Naturbegriff und die aus den neuen Verhältnissen resultierende verschobene Wahrnehmung, die veränderten Existenzbedingungen und Identitätsfragen.
Einige der hier ausstellenden KünstlerInnen beschäftigen sich mit der Möglichkeit, Landschafts-Images am Computer mittels digitaler Bildbearbeitung nach subjektiven bzw. kollektiven Vorstellungen von Idylle herstellen, unendlich reproduzieren und sogar perfektionieren zu können. Internetspiele und andere Softwares bieten fertige virtuelle Landschaften an, die mit Mausklick abrufbar sind. Von Almut Rink (geb. in Erfurt/D., lebt in Wien) sehen wir ein Landschafts-„Tutorial“-Video. Alls Tutorial bezeichnet man eine schriftliche oder filmische Gebrauchsanleitung für ein Computer-Programm. Almut Rink zitiert und transformiert die Bildschirmsprache eines Landschafts-Rendering-Programms. In einem ununter-brochen gesprochenen Ein-Personen-Text werden Anleitungen eines 3D-Benutzerhandbuchs und eigene Kommentare verbunden. Eine in der Form des Wortes “Me” gestaltete Landschaft, entsteht und vergeht wieder; dies greift das Objekt “Me, eroded” auf. Auch das Subjekt, die Identität, ist etwas von der Außenwelt Konstruiertes, etwas sehr Fragiles.
Auch Robert F. Hammerstiel (geb. in Pottschach/A, lebt in Wien) beschäftigt sich mit am Computer hergestellten Landschaften: Im Online-Computerspiel „Second Life” wird reales Leben simuliert; auch Landschaften können vom User bestellt oder konstruiert werden. Die Fotoserie „Waste Land“ zeigt künstlich konstruierte Landschaften, die sich durch den Rechenprozess erst langsam aufbauen. Landschafts- und Architekturbausteine fliegen durch den Raum: Die Idylle, die den fertig gebauten Landschaften eigen ist, erfährt durch diese surrealen Konstellationen einen Bruch. – Eine üppige Unterwasservegetation simulieren die mit “Endlos”- Landschaftsdrucken, Industriefolien aus dem Zoohandel, ausgekleideten Aquarien – Becken ohne Wasser, ohne Leben, bloße Surrogate von Natur. Regula Dettwiler (geb. in Oberkulm/CH, lebt in Wien) hat sich in der aus mehreren Filmen bestehenden Videoarbeit “My Garden” aus einem Computer-Gartenprogramm einen eigenen Garten zusammengestellt. Vieles ist mit dem Programm möglich, beispielsweise kann man den Garten von verschiedenen Richtungen sehen, ihn virtuell begehen oder per Mausklick die Blumen blühen lassen und erleben, wie er in zwei Monaten grünt und blüht – Natur ist letztlich nur unsere Vorstellung!
Michael Reischs (geb. in Aachen/D., lebt in Düsseldorf/D.) Landschaftsfotografien irritieren: man weiß nicht sofort, ob oder ob überhaupt etwas mit ihnen geschehen ist. Reisch löscht digital aus Fotografien realer Landschaften alle erzählerischen Elemente, alle Verweise auf konkrete Orte sowie auf kulturelle bzw. menschliche Spuren. Außerdem verstärkt er die Landschaftsformen zu skulpturalen Gebilden – die Landschaft als Modelliermasse. Seine Bilder zeigen homogenisierte Landschaften in einer hyperperfekten Schönheit, die Natur als bloßes menschliches Konstrukt entlarven und auf den Verlust von Idylle verweisen. Reiner Riedler (geb. 1968 in Gmunden/A., lebt in Wien) zeigt eine Wandtapete, eine große Fotoarbeit und eine digitale Präsentation seiner letzten Arbeiten aus der Serie „Fake Holidays“, die sich mit von der Entertainment-Industrie geschaffenen, künstlich kreierten Freizeitparadiesen beschäftigen, in denen Erlebnis und Abenteuer als Ware angeboten werden. In diesen oft aufwändig konstruierten Welten vermischen sich Realität und Simulation, „echte“ und „künstliche“ Natur zu hyperrealen Kulissenlandschaften. In ihrer Fotoarbeit „Monet’s Garden“ befasst sich Regula Dettwiler mit Indoor-Landschaften in Shopping Malls, konzipiert nach kollektiven Vorstellungen von Erholung. Hier hat sie an Sonntagnachmittagen wenige Protagonisten gewählt und sie durch die Malls verfolgt. Es ist nicht mehr nötig, weit fort zu fahren, um besondere Naturerlebnisse zu genießen; der Supermarkt erfüllt alle nur erdenklichen Wünsche nach Natur. Hanns Ottes (geb. in Salzburg/A., lebt dort) Landschaftsfotografien zeigen die Kulturlandschaft ‚Großglockner-Hochalpenstraße’ und ihre Umgebung, denen der Mensch in besonderem Maße seine Handschrift eingeschrieben hat, um sie touristisch nutzbar zu machen. Diese Arbeiten – fernab sowohl von paradiesischer Verklärung der Alpen als auch von mahnender Kritik am Tourismus – zeigen, dass das Aufeinanderprallen von Natürlichem und Künstlichem sich als Zustand der „Normalität“ gefestigt hat. David de Beyters (geb. 1985/F., lebt in Paris/F.) Fotografien sind Interventionen in Landschaften durch oft bedrohlich wirkende Inszenierungen. Er stellt Modelle von imaginären Situationen her, baut diese real in Landschaften ein und hält dies in Fotografien fest. Es handelt sich um Untersuchungen der komplexen Beziehung zwischen dem Natürlichen und dem Konstruierten/Künstlichen, zwischen Fiktion und Realität, zwischen urbanem Lebensraum und Landschaft. Regula Dettwilers Arbeit “Rüdiger” ist das Foto eines von ihr Blatt für Blatt umhäkelten Gummibaums (der typischen Zimmerpflanze der 50er und 60er Jahre) – ein ironischer Kommentar zu unserem Hang zur Dekoration bzw. zur Verkünstlichung von Natur. Stefan Lux’ (geb. in Münster, lebt in Wien) Video-Collagen sind hergestellt aus manuell und digital erzeugten Elementen. Es überlagern sich konstruierte und rekonstruierte gefilmte und fotografische Situationen. Dadurch entstehen Brüche in der Einheit von Zeit und Raum. Verschiedene Wirklichkeitsebenen sorgen für Irritation. In den beiden Videos „Wind“ und „2 Birken“ wird das Spannungsfeld zwischen Naturnachahmung, Mimikry und Neukonstruktion eines autonomen Bildes, das wiederum Bezug nimmt auf Natur, ausgelotet. Julia Willms (geb. in Wilhelmshaven/D., lebt in Amsterdam/NL) hat ihren Ausstellungsraum als Modell nachgebaut. Hierein hat sie einen Bonsai platziert, der den Parkettboden durchbricht. Von dem Modell ist ein Film mit Blick durch die Tür auf den Baum entstanden. Der Sound besteht aus Knacken und Brechen. Willms arbeitet mit den Mitteln der Illusion. Kurz glaubt man, einen ausgewachsenen Baum im Raum zu sehen, der tatsächlich den Boden durchbricht, bald entpuppt sich dieser aber als gezüchteter, zurechtgestutzter Bonsai – eine Auseinandersetzung mit Simulation, Künstlichkeit und veränderter Wahrnehmung. Die Auseinandersetzung der Künstler und Künstlerinnen dieser Ausstellung spielt sich weniger auf der Ebene der extremen Konfrontation oder des utopischen Entwurfs von Welt ab, sondern ist vielmehr oft humorvoll, ironisch, irrititierend, surreal ausgerichtet – in dem Wissen, dass die Inszenierung unserer Welt und damit auch der Natur zur Normalität geworden ist.

 

 
 

 

 

 
 
1) Reiner Riedler, Astronaut, Topkapi Palace Hotel, Türkei 2006, aus der Serie Fake Holidays, Fototapete, 206 x 260 cm, 2011
2) Julia Willms, Im Exil, ortsspezifische audiovisuelle Installation: Raum-Modell mit Bonsai und Video (Beamerprojektion), ca. 5 Min, 2011
3) Hanns Otte, aus: Grossglockner High Alpine Road, C-Print, 2001-2004
4) Regula Dettwiler, Ohne Titel (Rüdiger), C-Print, 150 x 150 cm, 2010 (Foto: Gregor Ecker)
5) Stefan Lux, „2 Birken, Video, 2’44’’, 2009
6) Almut Rink, Reverse Engineering – A landscape Tutorial“, Video, DVD, 4:3, Farbe, 11’, Ton, 2008
7) Michael Reisch, Landschaft, 1/022, Lambda C-Print, 124 x 200 cm, 2002  
8) Robert F. Hammerstiel, aus: Waste Land, C-Print auf Acrylglas, Acrylglasbox, 45 x 70 x 4 cm, 2011
9) David de Beyter, aus: Campagne Urbaine, C-Print,  60 x 75 cm, 2008
10) Ansicht Raum Hammerstiel/Reisch/Beyter