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LANDSCAPE_CONTEMPORARY

Haus der Fotografie – Dr. Robert Gerlich-MuseumHaus der Fotografie – Dr. Robert Gerlich-Museum
Burg 1, 84489 Burghausen/ Deutschland
16.7.–27.8.2011
Zur Ausstellung ist ein Leporello erschienen.
KünstlerInnen: John Goto/GB, Andreas Gursky/DE, Robert F. Hammerstiel/AT, Gudrun Kemsa/DE, Andrew Phelps/US/AT, Michael Reisch/DE, Günther und Loredana Selichar/AT, Kamen Stoyanov/BG/AT, Javier Vallhonorat/FR, Thomas Wrede/DE
Vernissagenrede am 26.7.2009, Petra Noll:

Diese Ausstellung zeigt an ausgewählten Künstlerpositionen aus ganz Europa, wie das klassische Medium Landschaft heute noch zeitgemäß reflektiert werden kann. Präsentiert sind Foto- und Videoarbeiten, die sowohl Natur- als auch Stadtlandschaften zum Thema haben.
Wenn das Genre „Landschaft“ auch heute noch von der zeitgenössischen Foto- und Videokunst aufgegriffen wird, dann kann es nicht mehr um vordergründig ästhetische, geografische oder historische Aussagen, nicht mehr um Manifestierungen romantischer Vorstellungen vom Einssein des Menschen mit der Natur. gehen. Was mich bei der Auswahl der Künstlerinnen und Künstler in erster Linie interessiert hat, ist deren Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Phänomen, dass Landschaft heute zunehmend eine künstliche ist. Diese Tatsache ist eine Folge aus der fortschreitenden Zerstörung von Natur, die durch künstliche Natur ersetzt wird – durch Kulturlandschaften, die pflegeleicht, kontrolliert und begrenzt gehalten werden können, sowie durch virtuelle Bilderbuchlandschaften.
Künstliche Natur bestimmt also unseren Lebensraum in zunehmendem Maße. Die konstruierte bzw. die künstlich generierte Natur ist fast schon authentischer geworden als die reale. Wir existieren in einer Welt aus zweiter Hand und nehmen dies kaum wahr. Dieser Wandel in der Naturauffassung lässt Rückschlüsse auf den Menschen, seine Sehnsüchte, Wünsche und Ängste zu.
Die hier vertretenen künstlerischen Positionen sind keine reproduktiv-dokumentarischen Darstellungen von Landschaft; vielmehr wird hier Landschaft konstruiert, verfremdet und abstrahiert. Die Künstlerinnen und Künstler arbeiten mit den Mitteln der Irritierung und Täuschung. Formal schlägt sich dies nieder z. B. in der Verwendung von vorgefertigten virtuellen Bildern aus unserer neuen Realität, dem Internet; diese zitiert Robert F. Hammerstiel in seinen Foto- und Videoarbeiten aus der Welt des Computerspiels „Second Life“. Tiefgreifende digitale Veränderungen an realen Landschaftsfotografien nehmen John Goto und Michael Reisch vor. Javier Vallhonrat und Thomas Wrede bauen Miniaturmodelle von menschlichen Bauwerken nach und integrieren sie in reale Landschaftsbilder. Andrew Phelps und Kamen Stoyanov haben reale urbane Kulissenlandschaften aus dem Entertainmentbereich fotografiert. Das Video von Loredana und Günther Selichar ist nur eine Simulation des Realen.
Andreas Gursky, der sein Foto der Niagara Fälle koloristisch digital nachbearbeitet hat, erreicht eine bewusst irritierende Übersteigerung von Landschaft. Wie Gursky verwendet auch Gudrun Kemsa die Panoramakamera, die ihr die Möglichkeit gibt, räumliche Strukturen bildnerisch umzusetzen. Nun möchte ich auf das Inhaltliche eingehen: Wenn von den hier präsentierten Künstlerinnen und Künstlern landschaftliche Idyllen oder pathetische Naturschönheit zitiert wird, dann sind immer Brüche mit eingeschlossen, die die Idee von Harmonie als Utopie entlarven. John Gotos arkadische Ideal-Landschaften liegen bewusst im Grenzbereich von Pathos, Kitsch und Sentimentalität. Gebrochen wird diese Scheinidylle dadurch, dass er moderne, mit Freizeitaktivitäten beschäftigte Menschen in diese Landschaften platziert hat. Diese fiktiven Szenarien reflektieren ironisch die utopisch-romantische Sehnsucht der Menschen nach einem schöneren Leben in heiler Welt. Andreas Gursky zitiert, wie bereits erwähnt, das Sublime der Natur in seinem großformatigen Panorama-Bild von den Niagara-Fällen, denen sich ein im Verhältnis kleines Touristenboot nähert. Gurskys Bilder sind immer Daseins- und Zustandsbeschreibungen des Lebens. Den Menschen im Vergleich zu den tosenden Fällen soll aber nicht dessen Ausgeliefertsein an die Natur thematisieren; der Mensch ist fähig, der Naturgewalt zu trotzen. Traumhaft schöne Landschaften zeigen auch die Arbeiten von Robert F. Hammerstiel. Der Bruch aber liegt in der Künstlichkeit: Es sind von – nach kollektiven Vorstellungen von Idylle – konstruierte Landschaften, die er aus dem Computerspiel „Second Life“, in dem sich Menschen als Avatare eine zweite, „schönere“ Existenz aufbauen können, genommen hat. Hier können sie sich vermeintlich Träume erfüllen, die ihnen im wahren Leben versagt bleiben. Die der Fotoserie “Instant vacations” beigefügten Texte stammen aus Interviews; hier formulieren User, warum sie in einer künstlichen Welt viel glücklicher sind als in der realen. Die künstliche Welt ist zur Realität geworden.
Auch die Fotoarbeiten von Michael Reisch zitieren auf den ersten Blick Naturschönheit. Die Irritation kommt hier durch das Überperfekte, das die Natur als Konstrukt entlarvt. Reisch hat aus Fotografien realer Landschaften digital jegliche erzählerischen Momente, Verweise auf konkrete Orte und menschlich-zivilisatorische Eingriffe entfernt sowie die Farbskala homogenisiert. Entstanden sind „bedrohlich schön“ wirkende Landschaften, die auf den Verlust von Idylle verweisen. Auch Andrew Phelps arbeitet in seiner Serie „Baghdad Suite“ mit den Mitteln der Täuschung und Irritation. Seine fotografierten Stadtlandschaften sind reine Kulissen, eine absurde temporäre Szenerie desolater Häuserfassaden mitten in der Wüste von Arizona, die scheinbar die Geschichte der kriegszerstörten Stadt Bagdad erzählt bzw. das verschobene Bild repräsentiert, das sich Amerikaner vom Irak machen. Erst im letzten Bild zeigt sich die Stadt deutlich als Kulisse.„Bambini città“, eines der ausgestellten Stadtlandschaften von Kamen Stoyanov, zeigt ebenfalls eine Art Kulissenstadt, einen Kindervergnügungspark, das sehr subtil vor Augen führt, wie Eingriffe der Konsum- und Entertainment-Industrie schleichend die sozialen Lebensräume verändern können. Urbane Landschaften zeigen auch die Fotografien von Gudrun Kemsa. Ihr geht es nicht um die Wiedergabe einer bestimmten Landschaft, auch wenn ihre Fotoserie, fotografiert mit der Panoramakamera, “Venice Beach” heißt. Bei ihr ist das Genre Landschaft Mittel zum Zweck der Auseinandersetzung mit kunst-bzw. fotoimmanenten Problemen wie Licht, Raum und Zeit. Fragmentarische Ausschnitte, gleißende Lichtverhältnisse und starke Schwarzwerte führen die Bilder an die Grenze der Abstraktion. Auch für Loredana und Günther Selichar ist Landschaft nur der Anlass zu einer Auseinandersetzung mit Raum, Wahrnehmung und Malerei. In ihrem Video sehen wir, wie Insekten auf die Scheibe eines fahrenden Autos prallen, immer mehr, bis die Scheibe bedeckt ist und das Ganze aussieht wie ein gestisch-abstraktes Gemälde von Jackson Pollock. Und dazu noch eine Täuschung, die nicht sichtbar ist: der Insektenaufprall ist nicht zufällig, sondern inszeniert.
Thomas Wrede baut Landschaften. Er arbeitet mit den Mitteln der Täuschung. In seiner Serie „Real Landscapes“ hat er kleine Modelle von Häusern in reale Landschaften gestellt und sie mit geringem Abstand von oben fotografiert. Diese Landschaften wirken idyllisch und bedrohlich zugleich. Man erkennt nur schwer die Konstruktion dieser Bilder. In diesen Arbeiten geht es um Realität und Abbild, um Natürlichkeit und Künstlichkeit, um Illusion und Wahrheit, um die verschiedenen Ebenen von Wahrnehmung.
Das sind auch die Themen von Javier Vallhonrat, der in seiner Brücken-Serie ebenfalls mit Modellen arbeitet. Er hat aber noch einen zusätzlichen Aspekt hinzugefügt. Seine Fotografien von Brücken in den Schweizer Bergen sind zum einen real vor Ort fotografiert, zum anderen hat er sie als Modelle gebaut und fotografiert. Unklar bleibt, welche die realen und welche die konstruierten sind.

Die ausgestellten Arbeiten zeigen Landschaften nur in zwei Fällen mit Menschen. Und dennoch geht es besonders um die Menschen, um ihre Sehnsüchte und Träume. Die Arbeiten thematisieren den noch immer aktuellen Wunsch der Menschen Harmonie und Naturschönheit, aber sie entlarven auch die Idylle als bloßes Konstrukt, als Kulisse, als Scheinglück.

 
 
1) John Goto, Sporta, aus der Serie High Summer, Pigment Inkjet Print auf Bütten, 35,9×53,9 cm, 2000/01
2) Andreas Gursky: Niagara Falls, C-Print, 155×125 x 6,2 cm, 1989, © Andreas Gursky/VG Bild-Kunst, Bonn 2009
3) Robert F. Hammerstiel: Black Desire 74, 165, 27 – Little Home, aus der Serie Landmarks, C-Print, 45×60 cm, 2009
4) Gudrun Kemsa: aus: Venice Beach, 03, C-Print, 25×60 cm, 2009
5) Andrew Phelps: aus: Baghdad Suite 06, C-Print, 50×60 cm, 2007
6) Michael Reisch: Landschaft, 1/002, Lambda C-Print, 124×177 cm, 2004
7) Günther und Loredana Selichar: Still aus GT Granturismo, Digital Video 5‘10, 16:9, 2001 (VKB, Wien 2007)
8) Kamen Stoyanov: Bambini Città, C-Print auf Aludibond, 80×100 cm, 2005
9) Javier Vallhonrat: Maqueta 4, aus: ETH 2000, C-Print, Diasec, 120×180 cm, 2000
10) Thomas Wrede: Haus unter roten Wolken, aus der Serie Real Landscapes, C-Print, 95×150 cm, 2005