Skip to main content

Objektkunst – Aspekte von Skulptur

SchlossÖkonomie Eggenfelden-Gern/DE
25.6.–25.7.1999
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
KünstlerInnen: Sepp Auer/ AT, Willi Baumeister (1927–97))/DE, Heiko und Uwe Bressnik/AT, Allan McCollum/US, Martin Gostner/AT, Sabine Groß/DE, André Hasberg/DE, Ottmar Hörl/DE, Rudolf Huber-Wilkoff/DE, Andreas Ilg/ DE, Stephan Kern/DE, Anton Kirchmair/DE, Vollrad Kutscher/DE Franziska Lankes/DE, Pepi Maier/ AT, Josef Michael Neustifter/DE, Alois Öllinger/DE, Dagmar Pachtner/DE, Marius PfannenstielDE, Josef Sailstorfer/DE, Leo Schatzl/AT, Ignaz Schick/DE, Cecile Schuck/DE, Peter Weidl/DE, Fabio Zolly/AT
Dokumentationstext, Petra Noll:
Die Ausstellung zeigt die Vielfältigkeit des Mediums Objekt. Als Objekte werden hier dreidimensionale Kunstwerke aller Materialien und Stile in vorwiegend handlicher Größe verstanden. Es werden auch Grenzbereiche beschritten, z.B. werden Fotos und Bilder von Objekten, die das Problem der Dreidimensionalität reflektieren sowie Video- und Computerskulpturen gezeigt. Zu den Künstlern, die Realobjekte in ihre Kunstwerke integriert bzw. Um- und Nachbildungen von Fundstücken (dadaistische oder surreale Dingmetamorphosen) gefertigt haben, gehören: Sepp Auer setzt sich in seinem Objekt „Begrenzte Lebensdauer“ – er hat vor zwei Jahren eine einschaltbare Glühbirne in einen Betonsockel integriert – mit der Thematik Autonomie/Funktionalität von Kunst auseinander. Ist das Objekt Kunst, solange die Glühbirne brennen kann, oder wird es erst zur Kunst, wenn sie kaputt ist? Ein witziges und zugleich tiefgründiges Objekt, bei dem Material und Handwerk nicht mehr wichtig sind. Uwe Bressniks Bricolage „Erde, Wasser, Luft“ ist ein mehrteiliges Ready made aus für Weiblichkeit stehenden Bügeleisen sowie dem Männlichen zugeordneten Hanteln. Dazu gibt es ein Video mit einer Anleitung, wie man aus den Gegenständen die drei Elemente (Erde: Auto, Wasser: Schiff, Luft: Flugzeug) bauen, also eine „komplette“ Welt erschaffen kann. Ignaz Schick, Musiker und Künstler, verwendet Realobjekte, Langspielplatten, die er ihrer ursprünglichen Funktion beraubt, indem er sie verkratzt, beschraubt, durchlöchert oder in mehreren Lagen als Skulptur auf einem laufenden Plattenspieler montiert. Das war ursprünglich ein Angriff auf die Politik der Schallplattenfirmen, die avantgardistische Musik vielfach ignorieren, ist aber auch allgemeiner interpretierbar in Hinblick auf die Diskussion über Wert, Funktion und Originalität von Kunst. In Pepi Maiers „Stock im Stock“, einer Intarsienarbeit, bei der er einen realen Spazierstock mit Gummifuß in einen Holzbalken eingefügt hat und später oberflächenplan abgeschnitten hat, geht es um Funktionalität. Der im Alltag vereinbarte Zweck eines Stockes wird im Kunstkontext aufgelöst, ein zweckfreies, autonomes Werk ist entstanden. Marius Pfannenstiel hat einen nachgebildeten Spazierstock – normalerweise dem Menschen eine zuverlässige, handfeste Stütze – durch eine Rolle nicht nur unbrauchbar gemacht, sondern auch ein aggressives Objekt geschaffen, das einen Sturz geradezu bedingt. Dieses skurrile Objekt ist ein humorvoller Angriff auf menschliche Logik, Sinn, Menschenverstand und festgelegte Zwecke. Pfannenstiels Objekte haben stets mit der abgründigen Rückseite der Dinge zu tun, bewirken Fremdheit mit einem im Grunde vertrauten Gebrauchsgegenstand. Sabine Groß ist eine Konzeptkünstlerin in der Tradition der 1970er-Jahre, aber ironischer und humorvoller. Sie zeigt ein Objekt mit Socke und Schrift. Verschiedenen Strumpflochgrößen werden jeweils andere menschliche Eigenschaften zugeschrieben. Diese scheinbar logische, aber letztlich unbegründbar bleibende Persönlichkeitsanalyse, die sie auch in anderen Objektinstallationen realisiert, nimmt Bezug auf die fragwürdigen Psychotests der Freizeitmagazine. André Hasberg hat mit seiner auf einem Schubkasten montierten Chaise longue, einer handwerklich sehr aufwendigen und diffizilen Arbeit, ein zwar benutzbares, aber durch den ironischen Pfiff künstlerisches Objekt geschaffen. Von allen Realobjekten, die die Aufmerksamkeit von Künstlern erregten, steht das Sitzmöbel an erster Stelle. Rudolf Huber-Wilkoff zeigt das Spiegelobjekt „Was ist mein Urteil wert?“. Das soll sich derjenige fragen, der in den Spiegel schaut: Kategorisierung, Bewertung und Qualitätskriterien für Kunst werden hier in Frage gestellt. Huber-Wilkoffs Silizium-Skulpturen sind entstanden aus Restmaterialien der Computerchip-Industrie – und sind dennoch ästhetische Objekte. Andreas Ilg hat mit seiner installativen Arbeit „American Spirit – Unendliche Wieten“, einem wandbezogenen Collageobjekt aus 220 gleichnamigen Zigarettenschachtel, ein Raumschiff („Enterprise“) gestaltet und ironisch Bezug genommen auf Amerika, das mit seinen sozialen Problemen und der Doppelmoral im Umgang mit Gewalt, Erotik, Alkohol, Rauchen und Entertainment alles andere ist als das Land der unbeschränkten Möglichkeiten.
Auseinandersetzung mit Form, Proportion und der Beziehung von Skulptur und Raum: Willi Baumeister (1927–1997) schuf aus Bronzeblechen zusammengeschweißte abstrakte Plastiken. Für ihn waren die Ästhetik der Form, die von allen Seiten stimmige Proportion, die Überschaubarkeit ohne große Verzierung, die Kontrastierung entgegengesetzter Formen sowie die handwerklich solide Ausführung wichtig. Von Stephan Kern stammen die große Eisenskulptur vor dem Rossstall und die Eisenbank mit einer Reihung objekthafter Teile aus Eisen-, Bronze- und Aluminiumguss. Ortsbezogene Arbeiten, das Ordnen von Einzelteilen von Gruppen (das Beziehung und Abstand bedeuten kann), die Kontrastierung von unterschiedlichen Materialien, Formen und Oberflächenbehandlungen charakterisieren seine Arbeiten. Bei Kern kann optisch Schweres in Wirklichkeit leicht sein und umgekehrt. Durch Farbe verliert das Material seine typische Oberfläche. Josef Sailstorfer zeigt eine zweiteilige Skulptur aus schwarzem Syenit (Granit). Seine Skulpturen sind immer linear-strenge, durchkonstruierte, abstrakt-konkrete Arbeiten, die häufig das Thema „Treppe“, wie auch hier, zum Thema haben. Er beschäftigt sich formal mit dem Kontrast von Offenheit und Geschlossenheit. Er öffnet, entmaterialisiert den Stein, indem er ihn zersägt, zerteilt, spaltet, durchbohrt. Cecile Schuck zeigt objekthafte abstrakte Kleinplastiken aus Bronzeguss, gestaltet aus einer Vielfalt organischer Formen, die sich nicht den Gesetzen von Symmetrie, Geometrie und Konstruktion unterwerfen, sondern auf dynamisch-sinnliche Weise Assoziationen an Elemente und Dinge aus der Welt der Natur wecken. Joseph Michael Neustifter arbeitet gegenständlich, meist szenisch, narrativ. Auch durch die integrierten Texte sind seine Arbeiten symbolisch, allegorisch und mit gesellschafts- bzw. zeitpolitischem Bezug. Die hier ausgestellten Bronzeskulpturen stehen zwischen Abstraktion und Figuration. Franziska Lankes’ Thema ist der menschliche, meist weibliche Körper, abstrahiert und reduziert auf die Torsoform. Weder vom Material – Eisen gerostet – noch von der Körperhaltung her entspricht diese expressive fragmentarische Figur dem klassisch-akademischen Schönheits- und Formideal, sondern besticht durch Natürlichkeit, Lebendigkeit und Offenheit.
Allan McCollum zeigt das Foto des von ihm in Gips abgegossenen Kadavers eines beim Vesuvausbruch in Pompeji umgekommenen Hundes („Souvenir photograph“). Den Abguss hat der immer mit (meist industriell gefertigten) Multiples arbeitende Künstler in vielfacher Ausführung in einer raumgreifenden Installation präsentiert. Ihm geht es um das Problem der Einzigartigkeit bzw. Originalität des Kunstwerks. Rudolf Huber-Wilkoff zeigt ein Foto von „in der Luft sitzenden“, ursprünglich zur Weiterverwendung vorgesehener Modellfigürchen, Objekten, die sich in dieser Form nur mit dem Medium Fotografie darstellen lassen. Von Uwe Bressnik stammt ein Foto aus einer vierteiligen Serie mit vom Feuerzeug behandelten Miniaturfiguraen aus Überraschungseiern, von Heiko Bressnik ein „Objekt-Bild“ aus „Fundfarben“. Sie entstehen, indem er Objekte, wie hier einen Radiergummi, aber auch Bälle, Knochen, Gummihandschuhe usw. zermahlt. Mit diesen „Pigmenten“ der zerlegten Objekte schafft er Leinwandbilder, die eben diesen Radiergummi, nur größer und flacher, zeigen. „Ich versuche,... das vorher scheinbar Unmögliche. Radikale Abstraktion (monochromes Tafelbild) mit (Mega-)Gegenständlichkeit (jede Faser eines Objektes wird verwendet) an einem Bild zu vereinigen.“ Leo Schatzl arbeitet zum Thema „Sehen“ bzw. „(Un-)Sichtbarkeit“ und beschäftigt sich mit der Metamorphose der Realität durch Mediatisierung. Er hat in seinem Mini-Objekt „pre-apparatus“ die getreue Nachbildung einer Gurke aus Plastik auf einem Gestell inszeniert. In dem „Vor“-Apparat ist das Objekt noch unverändert. Fabio Zolly zeigt zwei Textilien einer Monteursjacke mit Siebdruck und ein T-Shirt mit aufgedrucktem Copyright-Stempel und dazugehörigem Video. Zolly verbindet Mode und Kunst – Kunst ist hautnah tragbar und der traditionelle Betrachter wird zum Kunst-User. Er nimmt Bezug auf die in der Mode üblichen Schriften und Logos, die in der Kunst Autorenschaft und Originalität bezeugen. Mit dem Copyright-Stempel nimmt er ironisch Stellung zu der Auffassung, dass nur das signierte Kunstwerk Wert hat.
Im Zeitalter virtueller Wirklichkeiten sind Leichtigkeit, Leere, Instabilität Kennzeichen vieler Skulpturen. Martin Gostner: Wie eine Wolke hängt sein großer Wattedolden von der Decke. Er ist leicht, weich, amorph in der Form, schwebt und repräsentiert damit das absolute Gegenteil von der traditionellen Vorstellung von Skulptur. Das Material ist für Gostner Thema, dennoch steckt auch ein inhaltliches Konzept hinter dem Kunstwerk: die Auseinandersetzung mit Geschichte und Erinnerung. Die Erinnerung ist weich, unpräzise, formbar – je nach den subjektiven Vorstellungen, dem Wissen, den Verdrängungen und dem Grad des Vergessens. Anton Kirchmair strebt kontinuierlich fort von optischer physikalischer Schwere von Skulptur, auch im großen Format. Die Verwendung von leichten, meist armen Materialien wie Pappe, Pappelholz und hier Segeltuch kommt dieser Absicht entgegen. Es entstehen dünnwandige Körper, zarte, puristisch-ästhetische Gebilde, die an die Form von Booten oder Schoten erinnern, hier in fragilen Glaskästen platziert, die – in äußerster Materialreduziertheit – nur von einfachen Klebebändern zusammengehalten werden. Vollrad Kutscher zeigt einen Geldturm aus 2000 Pfennigen (Filiale zu dem Geldhaus aus 40000 Stücken 1996/97). Durch die virtuelle Begehbarkeit der einzelnen Stockwerke des Gebäudes per Computer bzw. CD-Rom ist das Objekt entmaterialisiert. Diese Arbeit mit dem Titel „Filiale. Gesellschaft zur Verwendung und Erhaltung des Pfennigs“ nimmt ironisch Bezug auf Frankfurt, einem der führenden Finanzplätze der Welt. Der Computer verknüpft spielend Fakten und Fiktionen zum Thema „Kunst und Geld“.
Peter Weidl hat mit dem Element „Kette“ Transparenz in die Skulptur gebracht. Durch das Kettenglied aus Eisen ist freie Sicht möglich, Licht und Luft dringt durch die Skulptur. Ihm ist aber nicht nur die Entmaterialisierung ein Anliegen. Hinter der jahrelangen Beschäftigung mit der Kette steht auch ein inhaltliches Konzept, die Kette als verbindungs-, Einengungs- und biologisch-genetisch als Wachstumselement. Dagmar Pachtner hat in ihrem zweiteiligen Objekt „Ein Weltbild“ das für Immaterialität stehende Medium Licht (Neon) verwendet, das in Kontrast zu den schweren Erdtafeln steht. Kultur und Natur, Künstlichkeit der Technik und Lebendigkeit des organischen Materials, Zukunft und Vergangenheit stehen hier einander gegenüber. Die Dimension Zeit spielt eine Rolle. Alois Öllinger beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Schale, einer zwar symbolbeladenen Form (Mandorla), die aber durch ihre Öffnung in erster Linie Leere, also das Gegenteil von skulpturenspezifischem Volumen und Offenheit und künstlerische Freiheit symbolisiert.
Ottmar Hörl hat 1998 die großangelegte Installation „Welcome“ mit 4000, vor allem schwarzen und weißen Plastikgartenzwerge auf dem Max-Joseph-Platz in München vor der Oper realisiert. Ein Relikt dieser Aktion – Hörls Stärke liegt in den Installationen im kunstfreien öffentlichen Raum – sind die hier präsentierten Zwerge. Zu Hörls skulpturalem Konzept gehört das Prinzip der Serie (82 Mill. Unschuldsseifen; Fotoserie von sämtlichen Kühen in Passau; als ästhetische Skulptur präsentierte gelbe Mülltonne u.a.). Dabei verwendet er Materialien aus industrieller Fertigung. Mit seinen Installationen legt er die Strukturen unserer materiellen und sozialen Umwelt bloß, die Zwerge sind als Angriff auf die Bürgerlichkeit zu verstehen.
 
 
1) Sepp Auer, "Begrenzte Lebensdauer", 3.9.1997, Beton, Glühbirne, 24 x 16 x 12 cm
2) Uwe Bressnik, aus der Reihe "Beschleunigte Bilder, Soap operas I–III", 1990, Gaze, Eisen, ca. 35 x 35 cm
3) Martin Gostner, Ohne Titel, 1992, Wattezapfen, Ex. Nr.: E, Watte, Kunststoff, Länge: 210 cm, Durchmesser: 45 cm
4) Allan McCollum, "Souvenir photograph" (The dog from Pompei), 1995, C-Print, 25 x 20 cm
5) Sabine Groß, Ohne Titel, 1995, Socke, Holzkasten mit Glas und Beschriftung, 4/11, 21,5 x 26 x 26 cm
6) Ottmar Hörl, aus der Installation "Welcome" in München 1998, Plastik, Höhe: je 37 cm
7) Toni Kirchmair, Ohne Titel, 1998, Glas, Klebestreifen, Segeltuch, Länge: 206 cm, Durchmesser: 35 cm
8) Franziska Lankes, Ohne Titel, 1998, Eisenguss, gerostet, Höhe: ca. 35 cm
9) Vollrad Kutscher, "Kerzenmadonna", 1995, Höhe: 11 cm; "Schwarze Madonna v. Passau", 1995, Holz, bemalt, Höhe: 30 cm; "Reisemadonna", 1994, Höhe: 14 cm
10) Pepi Maier, "Stock im Stock", 1990, Holz, Gehstock, Höhe: 100 cm
11) Dagmar Pachtner, "Ein Weltbild", 1996, Neonkubus und Erdtafel-Stapel, je 59 x 59 x 59 cm
12) Marius Pfannenstiel, Ohne Titel, 1998, Eisen, Auflage: 12, Höhe: 93 cm
13) Leo Schatzl, "Pre-apparatus", 1996, Plastik, Gestell, 15 x 11 x 7 cm
14) Fabio Zolly, "Copyright by Fabio Zolly", 1999, T-Shirt mit Stempel-Aufdruck (p2 for Art ed. Palmers), Gummi, Plastik
15) Ignaz Schick, bearbeitete LPs: "Kratzen", 1990; "Käseplatte", 1991; "Nuts", 1998; "Volksplatte", Prototyp 1998; "Eccentric Turntables", 1999