Skip to main content

ZONEN_PREKÄR

KUNSTSAELE Berlin
Bülowstraße 90, 10783 Berlin
16.7.–27.8.2011
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen mit Beiträgen von Petra Noll, Matthias Reichelt und Michaela Schweighart, Format: 148×210 mm, 80 Seiten, Farbabbildungen, dt./engl.
ISBN 978-3-902725-31-8. Finissage + Katalogpräsentation: 27.8. 2011
Zur Eröffnung am 15.7. sprachen: Wilhelm Pfeistlinger, Botschaftsrat für kulturelle Angelegenheiten und Direktor des Österreichischen Kulturforums Berlin, Ludwig Seyfarth, Kunstkritiker, Berlin, und Petra Noll, Kuratorin, Wien
Schirmherrschaft: Dr. Ralph Scheide, Botschafter der Republik Österreich in Berlin.
Gefördert von: Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Wien; Österreichisches Kulturforum Berlin
KünstlerInnen: Clemens Fürtler/AT, Eva Grubinger/AT, Robert F. Hammerstiel, Helmut und Johanna Kandl, Dariusz Kowalski, Almut Rink, Isa Rosenberger, Kamen Stoyanov, Jun Yang, Fabio Zolly

Die Zone – das ist ein sehr kompliziertes System… Fast könnte man den Eindruck haben, sie sei launisch, aber sie ist so, wie wir sie selbst durch unseren Zustand gemacht haben… (aus: Stalker von Andrej Tarkowskij, 1979).

Vorwort Katalog, Petra Noll:

Das brisante Konstrukt Zone steht im Mittelpunkt der hier vorgestellten künstlerischen und theoretischen Positionen. In den konzeptuell entwickelten Arbeiten von KünstlerInnen aus Österreich geht es um die Auseinandersetzung mit räumlich definierten Zonen, verstanden als abgesonderte, manchmal eingegrenzte, in jedem Fall aber von ihrer Funktion her speziell benannte Areale, in denen eine andere Ordnung, ein anderes Recht herrscht als in deren Umgebung. Der Fokus liegt dabei auf einem spezifischen Merkmal der Zone, ihrer Ambivalenz. Sie trägt zwei Dimensionen der Realitätserfahrung in sich: Einerseits bedeutet die Zone Schutz und Sicherheit vor Bedrohung von außen, andererseits Beschränkung und Ausgrenzung. Die Zone bietet folglich immer etwas und nimmt gleichzeitig etwas weg; sie bedingt somit eine prekäre Situation für die sich in ihr aufhaltenden Menschen. Die Thematik ist aktueller denn je, da sie eng verbunden ist mit dem Phänomen „Sicherheit“, das dominant Denken und Handeln der Menschen am Anfang des jetzigen Jahrhunderts bestimmt. Verunsicherung und Angst aufgrund massiver ökonomischer, sozialer, politischer und ökologischer Bedrohungen prägen die heutigen Gesellschaften. Seit der Ost-Öffnung vor 20 Jahren und der damit verbundenen Migrationen haben sich Sicherheits- und Existenzängste sowie Identitätsprobleme in Europa – und speziell auch in Österreich bzw. Wien an der Grenze zum Osten – verstärkt. Die Öffnung nach außen hat restriktivere Abgrenzungsmaßnahmen im Inneren bewirkt. Aktuell spiegeln sich diese Sicherheitsängste an dem europaweit geführten, hochproblematischen Diskurs über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengen-Raum, der sich, bedingt durch die Arbeitsmarktöffnung für Osteuropäer sowie die Auswirkungen der Revolutionen in der arabischen Welt, zugespitzt hat. Die Sehnsucht nach existentieller Sicherheit kommt aber nicht allein von „innen“, sie ist ebenso Leitmotiv von ImmigrantInnen: Ganze Staaten werden zu Zonen mit prekären Lebensverhältnissen für zahlreiche Menschen; diese sind weniger durch einen Ausnahmezustand geprägt wie die zu speziellen Zwecken eingerichteten Zonen, sondern der hier herrschende Zustand des Überlebenskampfes ist zum Alltag geworden (Helmut & Johanna Kandl). Bei den hier vertretenen KünstlerInnen handelt es sich nicht nur um gebürtige ÖsterreicherInnen, sondern auch – analog zum multikulturellen Status von Wien – um hier ansässige KünstlerInnen aus anderen, in erster Linie osteuropäischen Nationen. So wird das für Österreich brisante Thema Zonen_prekär intern und gleichzeitig grenzübergreifend verhandelt. Die KünstlerInnen untersuchen in vielschichtigen Strategien und Medien die Auswirkungen der Erfahrungen unterschiedlicher Zonen auf die Menschen sowie das Verhältnis der Menschen zueinander. Einige befassen sich mit öffentlichen Zonen wie beispielsweise Transit- und Verkehrszonen, politischen Zonen, aber auch Sport- und Freizeitzonen (Clemens Fürtler, Eva Grubinger, Isa Rosenberger, Fabio Zolly). Hier wird das (temporäre) Zusammensein unter einem Zweck „von oben“ ver- und geordnet: Menschen – mit Ausnahme derer, denen eine „Zugangsberechtigung“ fehlt – wird ein „sicherer“ Aufenthaltsort bzw. der reibungslose Ablauf einer Tätigkeit geboten oder sie werden aus Sicherheitsgründen davon abgehalten, eine Gefahrenzone zu betreten. Andererseits werden sie dadurch an übergeordnete Machtorgane ausgeliefert, die sie kontrollieren, disziplinieren und reglementieren und – im Fall von Lagern oder Ghettos – oft auf das nackte Leben reduzieren. In der heutigen Zeit werden im öffentlichen Raum zunehmend Überwachungstechniken wie Videokameras, Spionspiegel usw. eingesetzt, bei denen Menschen dem voyeuristischen Blick unsichtbarer Beobachter ausgesetzt sind; durch diese werden Zonen gebildet, von denen eine erhebliche psychische Bedrohung ausgehen kann (Dariusz Kowalski). Durch Eingriffe der Werbe-, Konsum- und Entertainment-Industrie im urbanen Raum entstandene Zonen können den natürlichen Lebensraum des Menschen, sein Verhalten und seine Identität sukzessive gravierend verändern (Kamen Stoyanov). Einige der KünstlerInnen beschäftigen sich mit dem privaten Territorium, der individuell eingerichteten Zone (Robert F. Hammerstiel, Almut Rink, Jun Yang). Sie ist Projektionsraum menschlicher Sehnsüchte – auch wenn diese durch die Werbeindustrie und die Globalisierung gesteuert und vereinheitlicht werden und das private „Paradies“ dadurch zur Kulisse erstarrt. Auch die private Zone ist von Ambivalenz geprägt. Einerseits bietet diese kleine überschaubare, vertraute Welt Geborgenheit und Schutz vor drohenden Gefahren. Andererseits bedingt sie eine Abschottung vom Außen, von der Gesellschaft, von den „anderen“, dem Fremden, dem „Chaos“, dem nicht Einschätzbaren. Für die Menschen bedeutet dies eine gebrochene Situation zwischen Frieden und Furcht, Freiheit und Isolation, Glück und Distanz, Sehnsucht und Realität.
Die Beschreibung der künstlerischen Arbeiten befindet sich im Katalog.

 
 
1) Helmut & Johanna Kandl, Danke, Schriftarbeit auf Papier, 2 x 10 m, 2011.
Jelica, the flower girl, bestehend aus: H&J Kandl, Jelica, 2011, Video
Jelica Obodan Chu Chu, Video, 10:23
Helmut Kandl, Womit handelst du?, Video, 11:53, 2011
Johanna Kandl, Ohne Titel (Die wertvollsten Unternehmen),  
Tempera/Holz, 100 x 150 cm, 2011
2) (li:) 4. Isa Rosenberger, Novy Most, Installation: Modell (Spanplatten, Stühle),
ca. 300 x 300 x 240 cm, 2008/2011 und Videoloop, 17 Min., Ton, 2008
3) Clemens Fürtler, Bildmaschine 02/1, Öl auf Leinwand, 105 x 160 cm, 2011
Bildmaschine 02, Polaroids, je ca. 28 x 25 cm, 2011        
Bildmaschine 02, Objekt: Eisen, Holz, Styrodur, Faller-Schienen,
LEDs, Spionspiegel, 100 x 100 x 100 cm, 2007
4) (hinten:) Almut Rink, Heimvorteil, Installation: Fototapete, ca. 300 x 230 cm, 2011 Pokal; Videoloop, 4 Min., Farbe, Ton, 2000
5) Eva Grubinger, aus: Spartacus, Piezo-Pigmentdrucke auf Baumwollfaserpapier, kaschiert auf Kappa-Pappe, 80 x 120 cm, 2007/08, Auflage: 5, Courtesy: Galerie Engholm, Wien
6) Kamen Stoyanov, Subway Yard Bratislava, Digitalprints auf Baryt, je 93 x 120 cm, 2007 und Texttafel. Guys this is not LA, but it is a cool place too, Leuchtkasten, 120 x 80 cm, 2010. Synchronisation, Leuchtkasten, 80 x 120 cm, 2010
7) Jun Yang, Paris Syndrome, Farbfotografien auf Dibond, je 50 x 50 cm, 2007
Courtesy Galerie Martin Janda, Wien
8 Dariusz Kowalski, Interrogation Room, Projektion: Videoloop 8 Min., Ton, 2009;
Monitor: Videoloop 2, 4 Min., 2009
9) Robert F. Hammerstiel, Private Territory II, Installation: Kunstrasen, Zaun, Alarmanlage, 2011. Make yourself at home I, Videoloop, 40 Min., Ton, 2011.
Playground III, Videoloop, 50 Min., Ton, 2007. Make yourself at home II, Ready made-Video,
2:40 Min., Ton, 2011
10) Fabio Zolly, Do not cross‚‚11, Installation: Absperrbänder, Ständer, 2011
Copyright, Objekt, graviertes Messing, ca. 25 cm Durchmesser, 1998
E.W., mugshot, 2011