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MODERN TALKING I

Fotoforum Brauanu
Eröffnung: 5.Juni 2015
Dauer: 6.6.–5.7.2015
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
 

Hubert Blanz, Robert F. Hammerstiel und Eva-Maria Raab

Rede zur Eröffnung am 5. Juni 2015, Petra Noll

Die beiden Ausstellungen des Fotoforums Braunau 2015 beschäftigen sich mit dem Thema Kommunikation. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat der menschliche Dialog aufgrund der Prägung durch neue, sich rasanter denn je entwickelnde, vor allem digitale Kommunikationssysteme, durch Werbemechanismen, aber auch durch den Boom von Talkshows, die nicht selten mit banalen Konversationen aufwarten, eine andere Qualität bekommen. Durch die Online-Kommunikation haben sich neue soziale Verhaltensweisen, Verständigungsrituale und Gruppendynamiken entwickelt. Soziale Netzwerke sowie handy- und sms-Kultur lassen Raum, Zeit und Wirklichkeit zu anderen Größen werden. Dem Vorteil, sich permanent umfassend informieren und unterhalten zu können und bis in den letzten Winkel erreichbar zu sein, stehen eine verwirrende Informationsdichte, die permanente Einforderung nach Präsentation und Kommentierung (gefällt mir), die Reduktion auf Kurznachrichten, die Unverbindlichkeit im Netz sowie die ständige Präsenz am Mobiltelefon gegenüber. Diese Faktoren wirken sich massiv auf unsere Wahrnehmung, Identität und Realitätseinschätzung sowie auf die „reale“, unmittelbare Kommunikation aus. In der Individualkommunikation sind nicht selten schwindende Sprachunfähigkeit, standardisierte Phrasen, Aufmerksamkeitsstörungen, Verständigungsschwierigkeiten und letztlich Schweigen die Folge. Mit ihren Arbeiten reflektieren die KünstlerInnen kritisch die Phänomene der heutigen Kommunikation in einer global vernetzten Gesellschaft.

Hubert Blanz, in Hindelang (DE) geboren, lebt und arbeitet in Wien. Er zeigt im 2. Stockwerk die Video-/Audioinstallation public tracks (öffentliche Spuren). Blanz’ Foto- und Videoarbeiten sind grundsätzlich Konstruktionen. Er arbeitet mit aus der „echten“ sowie aus der virtuellen Realität entnommenen Versatzstücken, die er multipliziert, verschiebt und/oder fragmentiert bzw. abstrahiert. Es entstehen Bilder zwischen Realität und Fiktion, die einen neuen Blick auf die Wirklichkeit eröffnen. Auch bei der Arbeit public tracks handelt es sich um eine Montage. Die hier gezeigte Audio-/Videoinstallation (Video 4:3, 11 Min), die aus Fotoarbeiten animiert und somit ins Dreidimensionale weiterentwickelt wurde, beschäftigt sich mit dem Kommunikationsverhalten der Facebook-Generation, deren ober-flächlichen Freundschaften, dem lockeren Umgang mit Öffentlichkeit und Privatheit sowie mit den Formen der Selbstdarstellung. Ausgangspunkt sind die Kontakte eines, aus dem großen Pool der facebook-Community herausgegriffenen, aktiven und gut vernetzten Users auf Facebook: Eric Themal, Österreicher, zur Entstehungszeit des Videos (2010) 33 Jahre alt, 1483 Freunde und Profi-Snowboarder – und auch heute noch in facebook aktiv mit mittlerweile 2764 Freunden. Seine komm-unikativen Aktivitäten mit Online-„Freunden“ und „Freundesfreunden“ wurden von Blanz netzwerkartig zu abstrakten, ästhetischen und visionär wirkenden Bildern verbunden. Entstanden ist eine Art „virtuelles Porträt“ des Profilinhabers, das scheinbar dessen Beliebtheit, Kontaktfreudigkeit und reges Kommunikationsverhalten visualisiert. Tatsächlich wird aber durch die Vermischung und Fragmen-tierung von Informationen sowie durch die Reduktion der Botschaften auf grafische Strukturen, Buchstaben und Daten sowie der geposteten Fotos auf Farben, Umrisse und Flächen auf ein Kommunikations- und Kontaktdefizit hingewiesen. Die Abstraktion thematisiert die Austauschbarkeit und Oberflächlichkeit der Postings. Charakter und Individualität des einzelnen Users sowie die Einmaligkeit von Ereignissen verlieren sich im Netz und in der Beliebigkeit. Auch die permanent gesprochenen Eigennamen der User geben ihnen auch nur bedingt eine Identität zurück.

Robert F. Hammerstiel thematisiert in den im 1. Stock präsentierten Foto- und Videoarbeiten die Kommunikations- und Orientierungsprobleme des Menschen in einer immer komplexer werdenden Welt. Verlorenheit, Angst vor dem Ungewissen, fehlende Nähe und Verständigungsprobleme sowie die manipulierende Wirkung der Werbung prägen nur allzu häufig das menschliche Miteinander. Das Video mit dem ironischen Titel Alles in bester Ordnung IV (2007/08) zeigt eine in ihrem Garten – ihrem Glück und Sicherheit verheißenden Rückzugsort – agierende Familie. Die paradiesische Freizeitatmosphäre trügt, denn zum einen wurde dieser Film in einer inszenierten Idylle mit Kunstrasen und massenproduziertem, real großen Gartenhaus in den Museumsräumen der Landesgalerie Linz gedreht. Zum anderen werden durch die unaufhörlichen, sisyphoshaften Handlungs- und damit auch Sprachwiederholungen – die alle real gedreht und mehrfach hintereinander geschnitten wurden – die über Jahre geprägten stereotypen Handlungsmuster und standardistierten Kommunikationsabläufe in der Familie sichtbar gemacht. Auch das herzzerreißende Weinen des Kindes im Video All for Your Delight II, Part einer 5-teiligen Serie von 2009, täuscht: Es sind keine realen Emotionen, die wir hier sehen. Alles ist Fake: Realer Schmerz ist nicht der Anlass für die Tränen. Vielmehr können Kinder bei einer Modellagentur für alle möglichen schauspielerischen Leistungen „gebucht“ werden, u.a. für spontanes Weinen. Auch die beim Betrachter geweckten Gefühle laufen ins Nichts, trostspendende Worte wären nur Farce. In der Fotoserie Private Stories (2005–2006) wurden Einzelpersonen oder Paar-Konstell-ationen in dem „öffentlichen Zuhause“ einer Musterhaussiedlung in intimen Posen und Gesten inszeniert, wobei der Ort des Geschehens offen bleibt. Es herrscht eine Art Schwebezustand, getragen von der Gewissheit der Verlorenheit und des Ausgeliefertseins. Der Abgrund offenbart sich vor allem durch die Abwesenheit von Kommunikation und Handlung, die wiederum bedingt ist durch fehlende menschliche Nähe und die eigene Unsicherheit im Leben.

Eva Maria Raab ist in Hollabrunn/AT geboren und lebt und arbeitet in Wien. Sie zeigt Siebdrucke, Fotografien, Objekte und Videos, die sich mit Stille, Schweigen, Sprache und Zeit auseinandersetzen. Thematisiert wird der Verlust von Kommunikation durch die fehlende Präsenz des Menschen im Hier und Jetzt, die aus dessen Versinken in die Welt der digitalen Kommunikations- und Unterhaltungsmedien resultiert und seine Unansprechbarkeit bedingt. Raab sieht den Rückzug des Individuums aber auch als Schutz-mechanismus in einer lauten und fordernden Gesellschaft. So hat sie in Paris Ohrstöpsel verteilt, um Menschen eine innere Stille im Großstadtlärm zu schenken. Paradox und ironisch zugleich sind die von ihr als Objekt präsentierten Ohrstöpsel pluggg, die Kopfhörer und „Ohropax“ kombinieren. Diese trägt sie auf der Farbfotografie mit dem Titel i-pluggg. Die aus Akustikschaum – dem normaler-weise an den Wänden von Musikräumen angebrachten Isoliermaterial – geformten Würfel (Silent Matter) schließen die Stille im wahrsten Sinne des Wortes ein. Die Arbeit Ein Versuch, die Webcam auszutricksen oder virtuelles Sehen – präsentiert auf zwei Laptops gegenüberuntersucht die kommunikativen Probleme bei Skype- und Video-Telefonaten im Internet. Diese versprechen größtmögliche Nähe trotz körperlicher Distanz und dennoch haben die beiden Kommunizierenden nie das Gefühl, richtig angeschaut zu werden. Die Videos zeigen zwei Menschen, die versuchen, sich währ-end eines Video-Telefonats in die Augen zu schauen. Ein Versuch, der misslingt. Die vier Augen suchen sich dauernd. Die Siebdruck-Serie Now sind Sonogramme (2013). Hier wird versucht, mit Sprache Zeit zu definieren. In verschiedenen Sprachen dauert das Aussprechen von „jetzt“ (also: adesso, maintenaint, simdi, usw.) unterschiedlich lang. Die am Computer erstellten Sonogramme können den zeitlichen Verlauf von Schallsignalen visualisieren. Raab bedient sich dieser Technik, um „jetzt“ festzuhalten. Dieser kurze Augenblick bekommt durch den Siebdruck auf schwerem Papier Materialität und wird greifbar. Zu der Arbeit gehört ein digitaler Bilderrahmen; hier sind die gesprochenen Worte akustisch wahrzunehmen.

 
 
1) Hubert Blanz, public tracks, 2010, Videostill 08 aus der fotoanimierten Audio-/Videoinstallation
2) Robert F. Hammerstiel, Alles in bester Ordnung IV, 2007–2008, SD-Video, 19:30 Min., Ton
3) Eva-Maria Raab, Now, 2013, 7-tlg. Siebdruckserie mit Sonogrammen auf Papier, je 42 x 59,5 cm
 
 

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