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SightSEEing I

Fotoforum Brauanu
Eröffnung: 8. April 2016
Dauer: 9. April bis 8. Mai 2016

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Stefan Lux, Tina Ribarits und Fabio Zolly
 
Rede zur Eröffnung am 8. April 2016, Petra Noll

Meist wird das Sehvermögen, die visuelle Wahrnehmung, als der für unsere Erkenntnis wichtigste menschliche Sinn verstanden („wir glauben nur, was wir sehen“). Bei Platon hat der Gesichtssinn, womit das Seh-en gemeint ist, „göttlichen Status“, auch bei Artistoteles steht er an erster Stelle. Dass dies angreifbar ist, wird dadurch evident, dass wichtige Phänomene der Realitätseinschätzung – beispielsweise die Zeit oder unser Inneres – nicht gesehen werden können. Unser Selbstporträt sehen wir nur im Spiegel und viele, vor allem sehr kleine Dinge unseres Lebens nur mit Sehhilfen. – Was wir als Bilder sehen, ist vor allem Interpretation unseres Gehirns, Resultat von (vergleichenden) Denkprozessen, Wissen sowie subjektiver Erfahrungen und Gefühle. Anfangs faszinierte die Menschen an der Fotografie ihr Vermögen, die sichtbare Realität so wirklichkeits- und detailgetreu wie möglich abbilden zu können. Doch schon früh gab es auch andere – abstraktere – Parameter für die Schaffung von Fotografien, die eine neue Wahrnehmung von Welt und Bild ermöglichten. Die Fotografie ist zudem in der Geschichte der Bilder als erstes Medium in der Lage, etwas für das Auge nicht Sichtbares sichtbar machen zu können. Denn das, was man mit den Augen sieht, ist nicht exakt das, was man mit der Kamera erfassen kann. Beim Einsatz von beispielsweise Wärmebild-, Röntgen-, Überwachungs- oder Geschwindigkeitskameras wird dieser Effekt noch potenziert, indem Sachverhalte abgebildet werden, die absolut unsichtbar für das menschliche Auge sind. In ihrem Anliegen, über das reine Anschauen und Nachvollziehen von Bildsituationen und Geschichten zu einem Nachdenken über den Pro-zess des Sehens zu kommen, haben die KünstlerInnen die Grenzen des Sichtbaren bis an die äußere Grenze ausgelotet und bieten damit dem Rezipienten neue Wahrnehmungs- und Sehmodelle an. Im Experimentieren mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit wenden die KünstlerInnen Mittel der Dekonstruktion an wie Fragmentierung, Fokussierung, Kontextverschiebung, Dunkelheit – eine Absage an übliche Erkennungsmuster. Wer werden mit dieser Ausstellung gefordert, uns von der üblichen Lesbarkeit des Bildes zu verabschieden.

Tina Ribarits (1. Stock) konzeptuell entwickelte Arbeiten stellen übliche Sehweisen und Wahrnehmungsgewohnheiten durch Kontextverschiebungen in Frage. Ihre Landschaftsfotografien basieren auf bekannten historischen Beschreibungen aus Literatur und Poesie und deren filmischen, also bildlichen Adaptionen. Es sind von Emotionen und Sehnsüchten getragene poetisch-nostalgische Landschaften, die zunächst unsere Vorstellungen von Naturschönheit und die in die Landschaft hineinprojizierten Sehnsüchte bestätigen. Dann aber schafft Ribarits durch ihre Installationen neue Bezüge. Im Fotoforum Braunau präsentiert sie Landschaftsfotografien, die auch schon mal um die Ecke gehen können, sowie – an Möbelstücke erinner-nde – Objekte mit integrierten Fotografien. Fragmentarisch, in ungewöhnliche Formate geschnitten, gewölbt, geklappt sowie in einen 3-D-Kontext gestellt, senden die Fotografien andere visuelle Informationen ab. So „lesen“ wir ein Bild am Stehpult, ein anderes müssen wir durch die Zweiteilung (auf dem Tisch) zusammensetzen. Auch durch die von Bild zu Objekt zu Bild gelenkten Blicke werden neue Sichtweisen eröffnet. Die Landschaftsdarstellungen wurden im Halbdunkel, in der Dämmerung und in Schattenbereichen aufgenommen. Das ganz spezielle Licht transferiert die Bilder ins Magische. Ribarits Bilder tragen eine Spannung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren in sich. Im Dunkeln – oder auch schon im Übergang von Tag zu Nacht – ist unser Sehvermögen eingeschränkt, Konturen verschwimmen, Einbildung und Wirklichkeit verschmelzen. In der Befreiung von den Gesetzen des Tages richtet sich der Fokus auf eine vielleicht existentiellere, emotionalere Wahrnehmung.

Stefan Lux (2. Stock) zeigt das Video Constanzes Fenster. Hier geht es um das Sehen als Resultat vergleichender Wahrnehmungen: So erscheint eine Farbe dunkler, ein Licht heller, eine Ebene schräger als jeweils eine andere. Der erste Vergleich geschieht schon mit der Frage, ob das Fenster im Video aus dem Ausstellungsraum stammt oder nicht. Tatsächlich wird die künstlerische Arbeit “Untitled intervention for Pinacoteca, spray paint on window frame“ 2015 von der Künstlerin Constanze Schweiger gezeigt. Im Video wird mit Hilfe der Erinnerung und technisch vergleichender Hilfsmittel eine bestimmte Lichtsituation konstruiert, eine Art visuelle Versuchsanordnung. Eine Farbkarte liefert standardisierte Farbwerte, die auf die des Videos übertragen wurden. Die Auswirkung des Farbabgleichs kann vom Betrachter verfolgt werden, da die Farbwerte über die Laufzeit des Videos in einer Kurve von 0% bis 100% angewendet wurden, so dass sich das Video verfärbt. Neben dem Video wird ein Objekt ausgestellt, das von der Decke hängt: der Zinnguss eines „Colorchecker Passports“, einer Farbkarte für den digitalen Gebrauch. Es handelt sich um eine Sehhilfe für den technischen Apparat, um die Farbwiedergabe unter den jeweiligen Lichtbedingungen zu definieren. Dieser steht auch auf der Fensterbank im Video. Als Zinnguss reflektiert er das Umgebungslicht, anstatt die Farbparameter abzuliefern, um das Umgebungslicht messen zu können. Er ist nun ein Reflektor und seiner Funktion beraubt. Die Stills im zur Ausstellung erschienenen Katalog zeigen jeweils 3 1/2 Frames und machen damit etwas sichtbar, was im Video gar nicht zu sehen ist.

Fabio Zolly (3. Stock) zeigt Fotoarbeiten aus verschiedenen Serien und Zusammenhängen, in denen nicht nur das „Sehen“ verhandelt wird, sondern auch subtil das sightSEEING im gängigen Verständnis angesprochen wird: die Besichtigung von Kulturgütern, das Reisen, das er selbst oft unternimmt. In der performativen Serie Selfies steht der Künstler vor Sehenswürdigkeiten verschiedener Städte. Er hält eine Tafel mit der Aufschrift „Kunst ist meine Anwesenheit ist Kunst © by Fabio Zolly“ vor sein Gesicht . Dies steht einerseits im Kontext seiner langjährigen Auseinandersetzung mit künstlerischer Autorenschaft, Mechanismen des Kunstbetriebs, Identität und Wahrnehmung, wobei er urheberrechtlichen Anspruch auf alles erhebt, was er mit seinem Schriftzug und dem Copyright-Zeichen markiert. Andererseits geht es um das Sehen. Mit dem Balken vor dem Gesicht sieht er nichts und wird auch von anderen weder als Individuum noch als Künstlerpersönlichkeit gesehen, obwohl er seine Anwesenheit als Kunst deklariert – eine paradoxe Situation, die hier selbstironisch eskaliert. Das Röntgenfoto eines am Flughafen durchleuchteten Koffers macht für das menschliche Auge nicht sichtbare Dinge sichtbar und verweist gleichzeitig auf Überwachung.Desweiteren zeigt Zolly eine Fotoinstallation. Diese Original-Arbeit aus den 1990er-Jahren hat ihre eigene Ästhetik mit Verfärbungen und den Spuren der Zeit. Sie zeigt fotografierende Touristen, die – wie noch heute – die Welt hauptsächlich durch die Kamera sehen, aber auch Röntgenfotos. Die Installation trägt den fragmentarischen Schriftzug „Der Ort hat aufgehört, Ort zu sein. Denn das, was du glaubst gesehen zu haben, nicht gesehen hast.“ Der gesamt Text, der aus einer früheren Eröffnungsrede für Zolly stammt, suggeriert, dass es gleichgültig ist, wohin man fährt – was man sieht, bleibt relativ. Das Sehen hat keine Lösung, nie ein Ende.

 

 
 
 
Stefan Lux, aus: "Constanzes Fenster", 2015, HD 16:9, 50 fps, ohne Ton, 00:09 Min., Loop
Tina Ribarits, Ohne Titel ("The land returns to how it's always been"), 2015, Mixed Media-Installation, 
Holz, C-Print, 79 x 45 c x 83 cm, Ausstellungsansicht: Pinacoteca, Wien
Fabio Zolly, Ohne Titel (x-ray-Koffer), C-Print, 50 x 70 cm