Skip to main content

WUNDERWELTEN II

Fotoforum Braunau

Eröffnung: 13. Oktober 2017
Dauer: 14.10.–12.11.2017
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Dominik Buda, Brigitte Konyen und KunstSportgruppe hochobir (Heiko Bressnik, Uwe Bressnik, Richard Klammer, Patrick Pilsl)

Rede zur Eröffnung am 13.10.2017, Petra Noll

Die KünstlerInnen der Ausstellung Wunderwelten II zeigen Fotoarbeiten rätselhafter Gegebenheiten, die sich mit der Realität auf verschiedenen Ebenen auseinandersetzen. Zum einen sind dies Bilder skurriler Inszenierungen von Personen und Handlungen oder es handelt sich um Konstruktionen neuer Bildwelten auf der Basis von Fotos aus der Realität. Desweiteren finden sich dokumentarische Bilder realer, von Menschen gestalteter, „merkwürdiger“ Architekturlandschaften. Die inszenierten und konstruierten wie auch die gefundenen Welten können Befremdung und Irritation auslösen, denn sie führen uns ins Reich des Fantastischen, Geheimnisvollen, Unerklärlichen. Das Medium Fotografie verunsichert zusätzlich – gibt es doch keinen Beweis dafür, dass das, was abgebildet ist, wahr ist. Das Interpretationspotential ist groß, auch wenn die von den KünstlerInnen visualisierten Situationen letztlich erklärbar sind. Es werden im Inneren verborgene Gefühle, Ängste und Sehnsüchte geweckt. Neue Blickwinkel, surreale Situationen und Verschiebungen können uns zu einer erweiterten Wahrnehmung von Realität führen.

Dominik Buda, in Wien geboren und dort lebend, hat in diesem Jahr die Schule „Friedl Kubelka für künstlerische Photographie“ in Wien abgeschlossen. Im dritten Stock zeigt er eine real existierende „Wunderwelt“. Seine Serie Europe – The Secret of Good Living bezieht sich auf ein städteplanerisches  Phänomen in Vororten bzw. in der Nähe von Mega-Metropolen in China – wie etwa Shanghai (24 Mill. EW) oder Hangzhou (9 Mill. EW). Hier müssen aufgrund einer schnell wachsenden, Wohnraum benötigenden Bevölkerung die Stadtzentren entlastet werden, wobei man landwirtschaftliche Gebiete an den Stadträndern zu „New Towns“ umfunktioniert. Diese Satellitenstädte entstehen schnell, sind aufwändig und kostenintensiv. Um sie für Investoren und Bewohner – in erster Linie Neureiche – attraktiv zu machen, müssen sie „besonders“ sein. Darunter wurde z.B. die originalgetreue Nachahmung – nicht nur Zitate und Referenzen – westeuropäischer Baustile und Städte wie Paris, London, usw. verstanden. Es gibt beispielsweise bei Hangzhou eine ganze Wasserstadt nach dem Vorbild von Venedig. Oder es wurde im Süden Chinas in Boluo bei Huizhou (3,2 Mill. EW) das österreichische Städtchen und UNESCO-Weltkulturerbe „Hallstatt“ nach monatelanger Recherche originalgetreu nachgebildet. In dieser Fake-City leben 800 Chinesen. Und die Imitate sind sogar oft größer, weniger beengt, höher, weiter.  Die Menschen, die in die „New Towns“ ziehen, müssen sich einen neuen, von der Regierung als „besser“ eingestuften Lifestyle, bei dem man von chinesischen Bräuchen Abschied zu nehmen hat, aneignen; es gibt strikte Regeln und sogar Angebote für Lifestyle-Kurse. Die meisten Chinesen sind aber gerne bereit für dieses Leben, sie empfinden sich als Elite und die europäischen Paläste und Villen als Macht- und Statussymbole.   Budas Fotos geben fast keine Verweise darauf, wo wir uns befinden. Die abgebildeten chinesische Menschen könnten sich tatsächlich in Europa aufhalten. Chinesische im Wechsel mit anderssprachigen Schriftzeichen auf Schildern irritieren. Ein Blick in ein wunderliches Disneyland, in dem „die Welt noch in Ordnung ist“; ganz anderes als vielfach an den Originalschauplätzen.

Brigitte Konyen wurde in Gmunden in Oberösterreich geboren und lebt ebenfalls in Wien. Ihre Schwerpunkte sind Fotografie, Installation und Objektkunst; schon sehr lange arbeitet sie in dem Medium „Foto-Flechtbild“, bei dem Fotos nicht Endresultat, sondern Ausgangsmaterial für neue Bildkonstruktionen sind. Zahlreiche Ausstellungen und auch kuratorische Projekte kennzeichnen ihre Biografie. In handwerklich aufwändigen Arbeitsprozessen verwebt Konyen in schmale Streifen geschnittene, identische oder verschiedene Fotografien – oft persönliche Erinnerungsbilder – oder sie montiert seit neuestem auch aus in Stücke gerissene Fotografien mit Stecknadeln zu neuen Bildern zwischen Realität und Illusion.  Durch das Zerschneiden bzw. Zerstückeln wird eine Zerstörung des Ausgangsmaterials betrieben – ein destruktiver Akt, der ein Misstrauen gegenüber dem sogenannten realitätsgetreuen fotografischen Abbild beinhaltet. Bei der Montage der Streifen bzw. Fotostücke findet eine Verschiebung und pixelhaft bzw. pointillistisch wirkende Fragmentierung des Motivs statt. Landschafts- bzw. Natur-, Personen- und Alltagsfotos werden zu mehr oder weniger abstrakten Rasterbildern, in denen Komposition, Perspektive und Raum-Zeit-Gefüge der Ausgangsfotos gesprengt werden. So haben die Bilder auch Titel wie u.a. abstracts oder Decomposition. Die Verweigerung eindeutiger Lesbarkeit dieser künstlichen Konstrukte eröffnet gleichzeitig neue Bezüge und Erzählungen und führt die Mehrschichtigkeit von Realität vor Augen. Die BetrachterInnen werden zu einem Suchen nach Anhaltspunkten in diesen zum Teil mysteriösen, konstruierten Wunderwelten animiert, wobei sie sich in einem schwankenden Zustand zwischen Irritation und Erhellung, Illusion und Realität, Konfusion und Ordnung aufhalten. Wenn die Künstlerin dann noch aus dem Abfallmaterial, den übriggebliebenen Fotostreifen, durch Übereinanderschichten sukzessive einen dreidimensionalen Globus baut, der sich im Laufe der Jahre zu vielleicht irrealer Größe erweitern könnte, wird deutlich, dass es ihr sehr um einen poetisch-sinnlichen Zugang geht, um ein Eintauchen in fantastische, regelfreie, offene Welten, in denen sie selbst sowie die BetrachterInnen zu neuen Bildern und Wirklichkeitseinschätzungen kommen können.  

Die KunstSportGruppe hochobir (KSGh) ist eine österreichisch-deutsche Künstlergruppe, die 2004 von den vier Künstlern bzw. Musikern Heiko Bressnik, Uwe Bressnik (beide in Villach geboren und aufgewachsen in Braunau) sowie Richard Klammer (einem international profilierten Blechmusiker in Klagenfurt) und Patrick Pilsl alias Martin Dean (Name seiner Band in Berlin) gegründet wurde und länderübergreifend agiert. In ihrem Namen steckt der Berg Hochobir an der Grenze zu Slowenien – er verweist auf die Wurzeln der Gruppe in Kärnten. Zudem enthält ihr Name neben „Kunst“ (alle haben Kunst studiert) auch den Begriff „Sport“. Das akzentuiert ihr Anliegen, Kunst als Aktion umzusetzen – und diese soll Spaß machen! Die Multitalente erlauben es sich, Kunst, Musik, Performance und Inszenierung so zu mischen, dass spannende, einzigartige Situationen, meist außerhalb von Kunsträumen und häufig im Freien, entstehen. Häufig haben sie ihre spontan vor Ort entwickelten Interventionen – fotografiert oder gefilmt von Ferdinand Neumüller – in der Nähe des Hochobirs oder in Tirol durchgeführt. Man findet sie z.B. als Alphornbläser mit gefundenen Bauröhren in St. Anton/Tirol. Hier treten sie – wie häufig – mit ihren Blechblasinstrumenten als Kopfbedeckung auf. Diese tragen sie auch bei einer Intervention an der Staumauer Köllbreinsperre/Kärnten (Arbeit im Gang) oder am gleichen Ort während der Aktion Sun Men, die Bezug nimmt auf den experimentellen Jazzmusiker Sun Ra, der sich mit ägyptischen Kopfbedeckungen schmückte und als direkten Nachkommen des Sonnengottes empfand. Hier war die KSGh mit dem Mercedes unterwegs, hat in der Landshaft musiziert und ihr eigenes mobiles Museum aufgestellt. Für die beiden Fotoserien Worldtour I und II, die im ersten Moment lange Reisen suggerieren, haben sich die vier Männer auf wunderlich-witzige Weise mit bekannten Bauwerken und an besonderen Orten inszeniert, wie u.a. beim Minigolf-Spiel an der Akropolis, bei der Morgentoilette in Cape Canaveral oder angelnd vor der Oper in Sydney. Diese Inszenierungen gewinnen zusätzlich dadurch an Sprengkraft, dass sie in „Minimundus“ stattfanden, einem Miniaturpark in Klagenfurt am Wörthersee. Die Fotos zeigen uns „wahre“ Wunderwelten, die durch die Größenverschiebung zusätzlich an Artifizialität gewinnen. 

 
 
Bildunterschriften:

01_Ausstellungsansicht: Brigitte Konyen, aus der Serie Abstracts und Abstracts (Souvenir), Fotoflechtbilder

02_Ausstellungsansicht: Brigitte Konyen, re: Decomposition, 2010, Fotoflechtbild, 140 x 100 cm,

li: aus der Serie Torn, O.T.#1, 2017, C-Prints, zerrisssen, Stecknadeln, 120 x 100 cm

03_Brigitte Konyen, aus der Serie Torn, O.T.#1, 2017, C-Prints, zerrisssen, Stecknadeln, 120 x 100 cm

04_Brigitte Konyen, Decomposition, 2010, Fotoflechtbild, 140 x 100 cm,

li: aus der Serie Torn, O.T.#1, 2017, C-Prints, zerrisssen, Stecknadeln, 120 x 100 cm

05_KunstSportgruppe hochobir, Fishing in Sydney, aus World Tour II, 2010, C-Print, 86 x 130 cm

06+07_Ausstellungsansichten: KunstSportgruppe hochobir, aus World Tour I und II, C-Prints, verschiedene Maße

08_Ausstellungsansicht: KunstSportgruppe hochobir

09_Dominik Buda, 30°23’24.9“N – 120°14’31.3“E, Hangzhou, Tianducheng Sky City,

aus: Europe – The Secret of Good Living, 2015, C-Print

10_Dominik Buda, 31°16’18.1“N –121°10’03.3“E, Shanghai Jiading Anting New Town,

aus: Europe – The Secret of Good Living, 2015, C-Print

11_Dominik Buda, 4 /30°09’46.2“N 120°14’05.7“E, Hangzhou, Venice Water Town,

aus: Europe – The Secret of Good Living, 2015, C-Print