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WUNDERWELTEN I

Fotoforum Braunau
Eröffnung: 17. März 2017
Dauer: 18.3.–15.4.2017
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Werner Schrödl, Rudolf Strobl und Sofya Tatarinova 

Rede zur Eröffnung am 17. März 2017, Petra Noll-Hammerstiel:

Der Titel der beiden Ausstellungen im Fotoforum Braunau 2017 ist „Wunderwelten“. Gezeigt werden Arbei-ten, die dazu animieren sollen, die uns umgebende Wirklichkeit mit neuen Augen zu sehen. In „Wunderwelten I“ sind Fotoarbeiten von Rudolf Strobl (Wien) und von der in Moskau geborenen, nun in Innsbruck lebenden Künstlerin Sofya Tatarinova sowie ein Film von Werner Schrödl (Wien) ausgestellt. Immer sind es ungewöhnliche Situationen, die uns vor Augen geführt werden und die wir erst einmal einordnen müssen in unser vorgeprägtes Bild von Welt. Was ist Realität und was Inszenierung – und ist die Inszenierung nicht auch Realität? Im Fall von Werner Schrödl und Rudolf Strobl wurden Situationen und/oder Handlungen in Landschaften inszeniert bzw. Versatzstücke der Realität zu neuen, irritierenden Bildwelten montiert. Sofya Tatarinova dagegen zeigt Bilder real vorgefundener, von Menschen gestalteter, wunderlich wirkender Szenarien. In allen drei Fällen werden wir ins Reich des Fantastischen, Skurrilen bis hin zum Surrealen geführt. Assoziationen zu im Inneren verborgenen Wünschen und Sehnsüchten werden geweckt. Neue Blickwinkel und Verschiebungen führen uns aus der alltäglichen Begrenztheit von Beur-teilung und Wahrnehmung und schaffen andere Zugänge, die nutzbar sind für eine erweiterte Realitätseinschätzung.

Im ersten Obergeschoss zeigt Rudolf Strobl großformatige fotografische Tableaus aus der Serie „Wilderness“. Die Fotos wurden in Naturparks – Orten zwischen Wildheit und Zivilisation – fotografiert, meist in der Abenddämmerung oder beim Anbruch der Nacht. Immer sind es wohlkomponierte Szenen, für die er Personen in der Landschaft inszeniert und dabei eine spezielle Lichtregie verwendet hat. Das Individuum oder kleine Gruppen sitzen oder stehen isoliert in der Landschaft und werden durch jeweils eine punktuelle Lichtquelle akzentuiert. Die dargestellten Situationen sind ebenso intim wie auch distanziert, da die Personen immer aus der Ferne gesehen werden. Sie wirken mystisch und unerklärlich, auch manchmal unheimlich. Die einzelnen Bilder sind sehr erzählerisch, ohne eine bestimmte Geschichte vorzugeben. Man fragt sich, woher das Licht kommt und was mit diesen Personen vorher geschehen ist, dass sie nachts allein im Wald sitzen oder im Fluß stehen, und wie es wohl weitergeht in ihrem Leben. Durch die jeweilige Stimmung wird man zurückgeworfen auf die eigenen Ängste, die eigene Einsamkeit. Eine Verwandtschaft zu dem US-Fotokünstler Gregory Crewdson, der wiederum von dem Filmemacher David Lynch beeinflusst ist, ist gegeben, nur inszeniert Strobl mit erheblich weniger großem Aufwand – er nimmt Freunde als SchauspielerInnen und setzt keine aufwändige Technik ein. Damit erreicht er kontemplativere, melancholischere, mehr auf Assoziationen setzende Ergebnisse.

Auch Werner Schrödls Film „40,000 candela (places)“ im 2. Obergeschoss ist beeinflusst vom mystisch-surrealen Universum des US- Filmemachers und Künstlers David Lynch. Schrödl hat in der Vergangenheit zahlreiche Foto- und Videorbeiten realisiert, die – von der Technik und vor allem vom Körperaufwand her – auf äußerst aufwändigen temporären Inszenierungen und Interventionen im öffentlichen Raum beruhten. Auch der hier gezeigte Film ist inszeniert. Er besteht aus zahlreichen kurzen Sequenzen und zeigt in erster Linie nächtliche Landschaften und architektonische Situationen, die kurzfristig erhellt werden. Flackerndes Licht und geheimnisvoll wandernde Licht-Schatten-Konstellationen, deren Zustandekommen und Ursprung zunächst unerklärlich bleiben, da die Lichtquelle nicht erkennbar ist, erzielen eine Aura des Besonderen mit einer unmittelbaren Wirkung auf die BetrachterInnen. Für diese verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Es sindsehr poetische und atmosphärische Bilder und dennoch können sie – auch auf Grund der Stille – Urgefühle des Unheimlichen und Bedrohlichen wecken. Es sind scheinbar irrationale Wunderwelten und dennoch basiert ihre Entstehung auf einem realen, erklärbaren Grund – einer von Schrödl entwickelten Lichtregie Er hat Leuchtraketen (der Titel „candela“ = „Kerze“ verweist auf die Maßeinheit für Lichtstärke), wie sie bei Polizei und Militär zum Einsatz kommen, nachts ca. 250 Metern hochgeschossen. Beim Absinken tauchen die Landschaften und Gebäude wenige Sekunden aus dem Dunkel auf, um nach dem Erlöschen des Lichts wieder in diesem verschwinden – flüchtige Erscheinungen, die auf die Vergänglichkeit des Seins verweisen.

Sofya Tatarinovas „Wunderwelten“ basieren auf realen Gegebenheiten. Ihre aktuelle Fotoserie „Traumwald“ hat sie in verschiedenen Bogenschützen-Parcours fotografiert. Dabei handelt es sich um markierte Wege durch Wälder und Wiesen, auf denen 3D-Plastiken von Wildtieren aufgestellt sind, die als Zielfiguren für übende Bogenschützen dienen. Die Tiere sind naturgetreu nachgebildet und in ihrem typischen Umfeld bzw. vor einer Camouflage-Wand platziert; auf ihren Körpern befindet sich jeweils eine Zielscheibe. Trotz der auf Echtheit und Authentizität hin angelegten Situationen wirken diese Szenen besonders befremdlich. Die Parcours sind – wie viele ähnlich geartete Freizeit- oder Sportparks – künstliche Kulisse für unsere westliche Gesellschaft auf der Suche nach Entertainment, Event, (sportlicher) Herausforderung und letztlich Glück. Hier kann man seinen Jagdtrieb an bewegungsunfähigen, ausgelieferten Tieren abreagieren. Die Jagd im offenen, unvorbereiteten Gelände mit davonlaufenden bzw. sich versteckenden Tieren wäre dagegen umso vieles mühsamer. Die Parcours bieten mehr als Sportangebote. Verdichtung und Übersteigerung des Zusatzprogramms erhöhen das Glücksgefühl: Es gibt zusätzlich Besonderheiten wie beispiels-weise Labstellen, Kochrezepte bei den Tieren, Aschenbecher an Bäumen, Abenteuer-, Familien-, Robin-Hood- oder Schnupperrunden, „Bogenparcours-Urlaub“ sowie Wettkämpfe und verschiedene Themenbereiche wie den europäischen Wald oder die Savanne. Nichts ist verwunderlicher als die Realität (der Inszenierung).

Bildunterschriften:
01 und 02: Sofya Tatarinova, aus: "Traumland", 2016, C-Prints, je 60 x 60 cm
03: Ausstellungsansicht (Detail) Raum Sofya Tatarinova
04 und 05: Rudolf Strobl, aus: "Wilderness", 2014/2015, C-Prints, 143 x 113 cm, Ausstellungsansichten,

Fotos: Rudolf Strobl

06: Ausstellungsansicht (Detail) Raum Rudolf Strobl, Foto: Rudolf Strobl
07–09: Werner Schrödl, Stills aus: "40,000 candela (places)", 2014, Video
10: Ausstellungsansicht Projektion Werner Schroedl

Fotos Copyright: KünstlerInnen