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FRITZ PANZER –
DAS DOPPELLEBEN DER GEGENSTÄNDE

Kunsthalle Nexus, Saalfelden
 
Eröffnung: 8. November 2019
Dauer: 9. November 2019–19. Jänner 2020
 
 
Text (Auszug der Rede zur Eröffnung), Petra Noll-H.

Mit dieser Ausstellung gibt Fritz Panzer einen Einblick in sein vielschichtiges, in zahlreichen Ausstell-ungen in wichtigen Museen präsentiertes Werk vom Ende der 1960er-Jahre bis heute. Sein skulptu-rales Werk beginnt mit Karton- und Papierplastiken. Motive waren die Dinge des alltäglichen Lebens, wie z.B. Einrichtungsgegenstände bzw. Möbel, die er im Maßstab 1:1 nachbaute. 1971 hat er eine ganze Zimmereinrichtung in der Galerie im Forum Stadtpark Graz in realer Größe aus Karton – ein für diese Zwecke „unpraktisches“, labiles Material – gebaut. Von dieser Ausstellung zeugt ein Plakat. Panzer hat die Möbel ihres Zwecks enthoben und dadurch zu Kunstwerken gemacht. Ein Bett ist ein Bett und gleichzeitig nicht. Der hier ausgestellte Papiersessel und -tisch ist eine 2006 nachgebildete Arbeit von 1968. Das Karton-Schlafzimmer von 1971 wurde 2004 von ihm nachgebaut.

Mit einem anderen Arte Povera-Material führte er diesen Ansatz später weiter, es entstanden seit 2002 und bis heute Skulpturen aus dem Werkstoff Draht. Panzer zeichnet sozusagen im Raum. Auch hier dienen Dinge aus dem profanen Alltag als Vorlagen – wie Einrichtungsgegenstände und Geräte, Architekturelemente, Dinge des urbanen Lebens (wie u.a. Lastwägen, Motorroller, Treppen), aber auch Werke anderer Künstler. Dabei ist Panzer immer das handwerkliche Tun, das Arbeiten mit den Eigenarten des Materials wichtig. Es entstehen großdimensionierte, 1:1 nachgebaute Drahtskulpturen, wie die hier ausgestellte Küche, sowie kleine Drahtplastiken, wie die Neonröhren, der Lautsprecher oder der Scheinwerfer oder auch Gebilde, deren Identität bewusst nicht ganz deutlich ist – ein bildhauerisches Wechselspiel mit Form und Inhalt. 

Die hier ausgestellte Prenninger Küche“ von 2002 ist seine erste, in einjähriger Arbeit entstandene Drahtskulptur und einer seiner Klassiker mit allen nur erdenklichen Details wie Teller und Pfanne in der Abwasch und beim Abtropfen, Urlaubspostkarten hinter einem Überputz-Elektrokabel – es wirkt, als sei die Küche in Benutzung. Panzer lebte mit seiner Familie nach vielen anderen Aufenthalten im Ausland von 1979 bis 1998 auf dem Land in Prenning bei Graz, wo er ein Atelier in der Trockenhalle einer ehemaligen Kartonfabrik als Wohn- und Arbeitsstätte zur Verfügung gestellt bekam. Die Küche seiner Wohnung diente nicht nur der Zubereitung von Speisen, sondern war auch Studierobjekt. Er zeichnete über lange Zeit täglich diesen Raum aus verschiedenen Blickwinkeln und zu unterschiedlichen Tageszeiten. „Aus diesem Ritual“ und dem ‚Einverleiben’ des Objektes“, so Panzer, kam ihm die Idee – mittlerweile lebte er nach einer Zeit in Berlin (1998-2000) wieder in Wien – , die Zeichnung von der Zwei- in die Dreidimensionalität zu führen, „begehbare“ Zeichnungen zu schaffen.

Was wäre zur Umsetzung der Raumzeichnungen idealer gewesen als Draht, ein Material, das dem Bleistiftstrich optisch ähnelt und eine freie Bewegung der Linie im Raum ermöglicht? Um die Linien und damit das Grafische zu verstärken, umwickelt Panzer die dickeren Hauptdrähte oft noch einmal mit dünnem Draht. Dies ist zu seiner stilistischen Eigenart geworden. So gibt es dünnere und stärkere Linien, wie bei der Zeichnung auf Papier. Im Jahr 2015 war Panzer mit einer großen Rolltreppe aus Draht an der wichtigen Ausstellung „Drawing Now“ in der Albertina in Wien beteiligt, zusammen mit internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die das Medium Zeichnung vom Blatt weg in alle nur erdenklichen Richtungen erweitert haben – in der Absicht zu erkunden, was Zeichnung heute denn ist.

„Das Doppelleben der Gegenstände“ heißt die Ausstellung hier. Durch den künstlerischen Eingriff erhalten Dinge des Alltags fernab ihrer ursprünglichen Funktionalität und Materialität und von unserer üblichen Wahrnehmung ein zweites, anderes Leben in der Welt der Kunst, eine autonome skulpturale Qualität. Das ist ein realistischer Ansatz ohne Verzicht auf die Gegenstände, aber auch ohne die naturgetreue Nachbildung oder Aufladung mit großer Bedeutung. Das zeigt sich auch darin, dass die meisten Arbeiten ohne Titel sind. Ihn interessiert nicht die Wiederholung des Ursprünglichen, sondern die eigenständige Form, ohne dass er völlig abstrakte Skulpturen schafft.

Es handelt sich bei Panzer also nicht um Täuschungen: Bei der Prenninger Küche erkennt man zwar eine Küche, aber offensichtlich keine echte, funktionierende, benutzbare. Diese Fiktion können wir spielerisch durch unsere Fantasie erreichen. Wir sind Teil seiner poetisch-sinnlichen Welt, die uns vertraut und rätselhaft zugleich ist – es genügen ein paar Drähte und schon ist die Illusion perfekt. Panzer arbeitet ganz anders als z.B. Franz West, der designhafte Skulpturen bzw. Sitzmöbel – obwohl ver-fremdet und ironisiert – auch zum Benutzen schuf und damit die Grenze zwischen Kunst und Ge-brauchsgegenstand austaktierte. Panzers Verfremdung funktioniert anders, er geht in die Abstraktion. Dies geschieht nicht nur durch die Verwendung artfremder Materialien, sondern auch dadurch, dass er manche Objekte – ebenso die Karton- und Papierobjekte – bewusst unfertig lässt, indem er die Drähte sich im Raum verlieren lässt. Andere Stellen werden dagegen besonders akribisch aus-gearbeitet, wie z.B. ein Schraubenloch. Seine aus Draht gezeichneten Gegenstände erzeugen kein Volumen wie die Skulptur und keine Fläche wie die Malerei, sondern sind reale Zeichnungen im realen Raum, 3D-Zeichnungen. Im Gegensatz zum Bleistiftstrich aber werfen sie Schatten und sind damit räumlich.

Seine trotz ihrer Größe überaus fragilen und intimen, durchlässigen, leichten, fast immateriellen und wie Skizzen wirkenden Drahtobjekte stehen zwischen An- und Abwesenheit, Abstraktion und Figura-tion; sie kennzeichnen eine labile Situation: Die wie ein Spinnennetz wirkende Küche musste an zwei Wänden befestigt werden. In der Zeitung „Die Presse“ ist im Oktober ein Artikel von Johanna Hofleit-ner erschienen, in dem auf Arbeiten verschiedener zeitgenössischer Objektkünstler bzw. Bildhauer verwiesen wird – hier ist Panzer dabei –, die im Kontrast zu spektakulären, monumental-massiven Werken bevorzugt auf Fragilität, Zartheit und sensible Materialien setzen.

Zeichnungen in Bleistift oder Tusche auf Papier, manchmal mit Tempera, sind ein weiteres zentrales Medium von Panzer. Wie bei seinen Skulpturen geht er auch hier immer von der direkten Wahrnehm- ung, nicht vom Foto aus. Bis heute sind Zeichnungen wichtige Begleiter seines künstlerischen Tuns geblieben, nicht nur als Werk- und Ideenskizzen zu den Skulpturen, von denen einige aus den Jahren 1999 bis 2019 in der Galerie hängen, sondern auch als eigenständige Auseinandersetzungen mit Raum, Fläche und Linie. Mit Draht zeichnet er im Raum. Mit Zeichnungen schafft er Bilder des Raumes. Hier untersucht er mit wenigen, locker, aber kräftig aufs Papier gesetzten Strichen die Ge-genstände anhand ihrer Konturen (in Skulpturen: Volumen). An den hier ausgestellten Zeichnungen (drei in Galerie, eine unten) sieht man seinen typischen Zeichenstil: Er verdoppelt, vervielfacht Dinge, zeichnet sie nach, radiert sie aus, tilgt sie, übermalt sie, lässt aber die Linien durchscheinen. Er zeigt somit einerseits den Prozess des Zeichnens und andererseits die Dinge in ihrer anwesend-abwe-senden Art. Mal ist er konstruktivistischer, exakter, mal freier, intuitiver, illusionistischer – man erkennt die Dinge oft nicht. In Galerie und Hauptraum sind mehrere kleinformatige, vorwiegend neue Temperagemälde in reduzierter Farbigkeit und ganz eigener Ästhetik ausgestellt. Panzer interessiert auch hier nicht das wörtliche Abbild, sondern die Abstraktion ins Flächige, das Monochrome. –

In allen Techniken und Dimensionen schärft Panzer mit seinen Arbeiten die Wahrnehmung für die uns umgebenden alltäglichen Gegenstände und macht aufmerksam auf die Qualitäten des Unspektakulären. 

 
Bildunterschriften

linke Spalte
01: Ausstellungsansicht; vorne: Tisch/Sessel, 1968/2004, Papierskulpturen,

Tisch: 70 x 100 x 80 cm, Sessel: 45 x 45 x 100 cm
02/03: Prenninger Küche, 2002, Drahtskulptur, 240 x 200 x 300 cm  
04: links: o.T. (Scheinwerfer), 2008, Drahtskulptur, 190 x 100 x 100 cm;
rechts: Judenburg, Prenning, Guttmann, 2019, Fotografien von Drahtplastiken, je 142 x 95 cm
05: o.T. (Lautsprecher), 2008, Drahtskulptur, 42 x 27 x 27 cm
rechte Spalte
06: o.T. (Scheinwerfer), 2008, Drahtskulptur, 190 x 100 x 100 cm
07: Ausstellungsansicht; links: Schlafzimmer, 1971/2004, Kartonplastik, Bodenfläche 200 x 400 cm; rechts: Tisch/Sessel, 1968/2004, Papierskulpturen, Tisch: 70 x 100 x 80 cm, Sessel: 45 x 45 x 100 cm
08: Schlafzimmer, 1971/2004, Kartonplastik, Bodenfläche 200 x 400 cm
09: Ausstellungsansicht (Galerie); vorne links: o.T., 2006, Bleistift auf Papier, je 80 x 70 cm; hinten: Skizzen, 1999–2019, Tusche, Tempera auf Papier, je 80 x 70 cm
10: (Galerie) o.T., 2019, Tempera auf Holz, 28 x 22 bzw. 21 x 15 cm
Alle Arbeiten: Courtesy Galerie Krobath, Wien.