Skip to main content

MANUEL GORKIEWICZ

 
Kunsthalle Nexus
Eröffnung: 4. März 2016
Dauer: 5.3.–30.4.2016

Rede zur Eröffnung am 4. März 2016, , Petra Noll:

Manuel Gorkiewicz hat ein multimediales Raumkonzept mit Foto- und Papierarbeiten, Videos, Objekten, einer Boden- und einer Wandmalerei sowie einer Installation aus Papiergirlanden entwickelt. Inhaltlich geht es um die kritische, aber gleichzeitig auch spielerische Beschäftigung mit unserer Alltags- und Warenwelt sowie um die Schnittstellen und Wechselbeziehungen zwischen dieser und der Kunstwelt. Der Künstler arbeitet dazu bewusst im Grenzbereich von Kunst und Design. In großem Stil verwendet er nicht-künstlerische, industriell angefertigte Massenprodukte wie Kosmetikartikel und Party-Girlanden, die angeboten werden, um Körper zu verschönern und die Umwelt zu schmücken. Diese setzt er nicht in deren üblichem, von der Konsumindustrie vorbestimmtem Verwendungszweck ein. Nicht nur dadurch, dass sie in einem Kunst-Ausstellungsraum verwendet werden, sondern auch durch die verändernden Eingriffe des Künstlers wird ein Nachdenken über Ästhetik, über die Bedingungen von Kunst, über Wert, Qualität und Authentizität eines Kunstwerks sowie über das Museum als Präsentationsort von Kunst angeregt.

Für die hier präsentierten großflächigen Wandmalereien hat er handelsübliches Make-Up, speziell Rouge und Lidschattenfarben, verwendet, die er mit Hautcreme angerührt hat. Die Lidschatten werden von der Kosmetikbranche in bereits vorkomponierten Paletten mit verschiedenen, nach Modetrends zusammengestellten Farben angeboten u. unter klingenden Namen wie „Purple Drama“ oder „BlueSpring“ vermarktet. Gorkiewicz verwendet nicht nur die Farben, sondern übersetzt auch die Paletten-Anordnung maßstabsgerecht ins Überdimensionale. Für die Paletten hat sich die Kosmetikindustrie von den Malerpaletten der Kunst inspirieren lassen, eine typische Praxis von Produktdesign und Werbung – und nun führt Gorkiewicz die Kosmetik wieder in die Kunst zurück. Ein Wechselspiel zwischen „hoher“ und „niedriger“ Kunst wird angezettelt. Die kosmetischen Pigmente mit ihrem direkten Bezug zum Körper sorgen für sinnlich-schöne Oberflächen, sind aber letztlich nur Illusion und Maske – eine kritische Auseinandersetzung mit den von der Werbeindustrie vorgegebenen Schönheitsidealen. Make-Up und Hautcreme hat Gorkiewicz auch für seine Papierarbeiten (z.B. Nude) und zur Übermalung von Fotos sowie des Bilderglases des Inkjetprints „Velours Noir“ – integriert in die Wandmalerei und diese formal aufgreifend – verwendet. Für die Bodenmalerei und die Bemalung des Monitors wurden reine Pigmente verwendet.

Die Fotoarbeiten in der Galerie zeigen spontan mit dem Handy fotografierte gefundene Alltagsdinge oder Situationen von der Straße, in Hausdurchgängen oder vor Geschäften. Es sind Gegenstände wie z.B. der wie ein Geschenk aussehende rosa Plastiksack, der Styroporteile enthält und eventuell zur schnellen Markierung eines Parkplatzes diente – ein skurriles Ding, das – ebenso wie z.B. die zerknüllte Decke auf dem Foto „Disco Smoking“ – etwas Skulpturales hat und damit wieder vom Alltag auf die Kunst verweist. Das Interesse des Künstlers am Skulpturalen kommt in vielen Arbeiten durch, ohne dass es sich um „echte“ Skulpturen handelt. Die Fotos sind mit Kosmetikfarben übermalt worden. Die Untertitel wie „Marine Girl“ oder „Disco Smoking“ beziehen sich wiederum auf die entsprechenden Produktbezeichnungen der Kosmetikindustrie. Die Bilder wirken ästhetisch und wohl komponiert, der Bruch liegt aber in der Tatsache, dass es sich um abgestellte, unbrauchbare Dinge oder um heruntergekommene Situationen handelt. Zudem sind die Motive durch die Übermalungen verunklärt.

Auch die ausgestellten Videos wurden mit dem Handy gefilmt und halten das Flüchtige fest. Spiegel-ungen, unklare Durchsichten, Lichtreize führen zu verschiedenen Wirklichkeitsebenen. Ausschnitte, Überlappungen und Fragmentierungen verunklären die Situationen und Personen. Durch diese künst-lerischen Eingriffe entstehen Bilder, die zwar an sich „schön“ sind, aber weder klassische Schönheits-ideale noch ein von Werbung und Populärkultur suggeriertes Glücksversprechen bedienen, sondern neben ästhetischen auch ethische Fragen zulassen. Immer wieder bezieht Gorkiewicz Alltagsdinge und -situationen auf die Kunstgeschichte bzw. auf andere Künstler. Das Video auf dem Boden – zusammen mit der Bodenmalerei eine eigene Installation – zeigt einen Blick durch einen semitransparenten Fußboden hier im Nexus während des Jazzfestivals im August letzten Jahres, wo man von unten die laufenden Füße der Besucher im oberen Stockwerk sehen kann; der Sound ist reduziert auf Gesprächsfetzen, die bis unten durchdringen. Der Monitor wurde, wie das Foto „Méteorites“ mit dem gleichnamigen Make-Up-Produkt übermalt. Die Füße bzw. Schuhe haben Gorkiewicz an ein Bild von Warhol, das Tanzschritte mit Pfeilen für die Schrittfolge zeigt, erinnert. Das Video auf der Wandmalerei zeigt eine Werbefigur in drei verschiedenen Haltungen. Es handelt sich um die von Gorkiewicz fotogra-ierte Darstellung einer Frau auf einer Spiegelfolie auf einem Friseur-Schaufenster. Die Situation ist durch den Spiegeleffekt verunklärt. Diese Arbeit lässt an die Spiegelarbeiten des italienischen Künstlers Michelangelo Pistoletto denken. Das dritte Video zeigt ebenso einen Friseursalon, der mit mehrfarbiger, flackernder Neonbeleuchtung auf sich aufmerksam macht. Angebracht am Ende der Stiege im Nexus, kreiert Gorkiewicz eine klaustrophobische Situation, die – ebenso wie die bunten Lichter – an die Arbeiten des amerikanischen Künstlers Bruce Nauman denken lässt.

Kunsthistorische Vorbilder finden sich auch in der Glasserie auf der Brüstung. Gläser und Karaffe sind nach industriellen Mineralwasser-Plastikflaschen, die Gorkiewicz für die Form der Gläser abgeschnitten hat, von dem bekannten Glasbläsermeister Davide Fuin aus Murano mundgeblasen worden und nehmen zusätzlich Bezug auf ein von Adolf Loos entworf-enes Glasservice. Hier liegen Alltag und Kunst, Industrie und Handwerk, Wertvolles und Banales dicht beieinander.

Auch mit seinen Leuchtobjekten bewegt sich Gorkiewicz im Bereich zwischen Handwerk und Kunst. Die Herstellung der Objekte basiert auf Techniken aus dem Bastelbereich. Gorkiewicz verwendet Luftballons, aber auch Gummihandschuhe, Kondome oder lange Tierarzthandschuhe, um die Grundformen herzustellen. Die Skulpturen sind eine Kooperationsarbeit mit zwei befreundeten Künstlerinnen und einem Künstler: Kerstin Cmelka, Marten Fredrichs und Antonia Low haben die Oberflächen bearbeitet. Die Objekte wurden verschickt und verstehen sich somit als „mail art“, als analoge Form der Kommunikation zu Zeiten der Medientechnik; wie Sprechblasen präsentieren sie sich dem Betrachter. Es sind Arbeiten zwischen Poesie und Konzept: Die Bearbeitungen bestehen aus Texten bzw. einer Textcollage (Frerichs). Antonia Low verweist mit ihrem Text auf eine frühere missglückte Kooperation ihrerseits mit der Künstlerin J.F., der sie eine künstlerische Arbeit, bestehend aus mit Tippex geweißten Linien, geschickt und nie eine Antwort erhalten hatte. Die Arbeit erinnert sie selbst an die abstrakt-minimalistische Malerin Agnes Martin. „Wochenende, blind, Gewalt“ sind die assoziationsreichen Worte von Marten Frerichs, während sich Kerstin Cmelka eher poetisch-literarisch-offen artikuliert. Durch die wechselnde farbige Beleuchtung mit L.E.D werden die aus Billigmaterialien entstandenen Objekte ästhetisiert, auratisiert und in die Kunst aufgenommen – gleichzeitig sehen sie mit den Sockeln eher wie Stehlampen aus. –

 Ein wechselseitiges Spiel zwischen „hoher Kunst“ und „populärer Kultur“ geschieht auch in der rauminstallativen Arbeit mit Papiergirlanden aus dem Partybedarf. In der Freizeit- und Partykultur steht die – meist bunte – Girlande für das populär-Dekorative bzw. das Festliche, für Feier-laune und ausgelassene Stimmung. Aber sie basiert auch auf Gestaltungsideen aus der Kunst, denn die Girlande ist ein in vielen Richtungen in der Kunstgeschichte vorkommendes repräsentatives Ornament (Feston). Indem Gorkiewicz diese „Billigware“ im Kunstkontext verwendet, also scheinbar deren Qualität erhöht, wird der Kunstbetrieb kritisch hinterfragt. Im Kunstraum bekommen die Papiergirlanden eine neue Funktion. Gorkiewicz hat die schwarzen Girlanden mit Stahlseilen und Rohren in Bögen überführt, geknickt oder als gerade Linien gestrafft. Zum einen setzt er sie als wandgestalterische Elemente ein, zum anderen als Raumzeichnung, als Verspannung zwischen Decke und Boden bzw. zwischen Galerie und Hauptraum – eine ins Dreidimensionale erweiterte Zeichnung. Auf Grund der Durchkreuzung des Raums durch die dominanten Linien ist eine andere Struktur, Flächenaufteilung und Ordnung entstanden, die uns den Raum neu sehen lässt, aber auch die Kunstwerke in einen ungewöhnlichen Kontext stellt.

Alle Medien dieser Ausstellung sind auf irgendeine Weise verbunden, beziehen sich aufeinander, entwickeln Formen weiter oder setzen sie anders um, spielen mit Materialitäten und Dimensionen. Die Bögen der Girlanden werden in den Wandmalereien aufgegriffen, die Form des Wandbildes auf dem Glas eines Bildes weitergeführt, die gl. Materialwahl u. Formgebung in kl. Papier- und gr. Wandarbeiten umgesetzt. Poesie, Konzept, Zufall u. Plan, eine unerschöpfliches Vermischen von Alltag u. Kunst – alles das formt sich zu einem Gesamtkunstwerk.

 
 
01–04 Installationsansichten, Kunsthalle Nexus, Hauptraum, Wandmalerei: Ohne Titel, 2016, Make-Up und Hautcreme auf Wand, 3,6 x 17,6 m; Girlanden: Ohne Titel, Papier, Stahlseil, PVC; Videos: Ohne Titel, 2013, Monitor, Video, Loop, Ton, 2:25 Min.∞ Ohne Titel, 2014, Monitor, Video, Loop, Ton, 3:14 Min.; Papierarbeiten: Ohne Titel (Grey Pink Drama), 2014, Make-Up und Hautcreme auf Papier, 100 x 100 cm; Ohne Titel (Velours Noir), 2015, Make-Up und Hautcreme auf Inkjetprint u. Glas, 100 x 100 cmFotos: Manuel Gorkiewicz,
 
05 Ohne Titel, 2015, Muranoglas, mundgeblasen von Davide Fuin, variable Dimensionen, produziert von Golden Ruler, Rom, Foto: Elena Valdrè
 
06–07 Installationsansicht, Kunsthalle Nexus, Galerie, von li nach re: Ohne Titel (Marine Girl), 2016, Make-Up und Hautcreme auf Fotografie, 80 x 80 cm; Ohne Titel (Météorites), 2016, Make-Up und Hautcreme auf Fotografie, 80 x 80 cm;
Ohne Titel (Luminous Turquoise), 2016, Make-Up und Hautcreme auf Fotografie, 80 x 80 cm; Ohne Titel (Disco Smoking), 2016, Make-Up und Hautcreme auf Fotografie, 80 x 80 cm; Ohne Titel (BeigeTrench), 2016, Make-Up und Hautcreme auf Fotografie, 80 x 80 cm; ganz rechts:
Ohne Titel (Nude), 2014, Make-Up und Hautcreme auf Papier, 100 x 100 cm Fotos: Manuel Gorkiewicz
 
08 Installationsansicht, Kunsthalle Nexus, Hauptraum: Ohne Titel (Météorites), 2016, Make-Up auf Boden und Monitor, Video, Loop, Ton, 3:55 Min., 200 x 200 cm, Foto: Manuel Gorkiewicz
 
09 Installationsansicht Hauptraum, Kunsthalle Nexus: von li. nach re.: Kerstin Cmelka und Manuel Gorkiewicz: Du hast noch niemand gehabt zum Schlafen mit ihm, 2015/16, Gouache auf Papier, LED, ca. 60 x 30 x 40 cm; Marten Frerichs und Manuel Gorkiewicz: o.T.(geiler EUTER), 2015/16, Zeitungsausschnitte auf Papier, LED, ca. 30 x 30 x 40 cm; Antonia Low und Manuel Gorkiewicz: A.M. wie Agnes Martin, 2015/16, Acryl auf Papier,LED, ca. 20 x 30 x 50 cm, Foto: Manuel Gorkiewicz