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G.R.A.M. – TOUCHDOWN

Kunsthalle im Kunsthaus Nexus
 
Eröffnung: 16. Februar 2018
Dauer: 17.2.–31.3.2018
 
Herzlichen Dank an: Hans Georg Tropper (Bild + Grafik) und TECHNICOMP GmbH (Robert Klockhaus)
 
Rede zur Eröffnung am 6.2.2018, Petra Noll-H.:
 
Die Künstlergruppe G.R.A.M. wurde 1987 in Graz von Günther Holler Schuster, Ronald Walter, Armin Ranner und Martin Behr gegründet; die vier Buchstaben des Namens stehen für die Anfangsbuchstaben der Vornamen der vier Gründungsmitglieder. Seit über 15 Jahren stehen hinter dem Namen G.R.A.M. nur mehr Martin Behr und Günther Holler-Schuster. Sie realisieren Gemeinschaftsarbeiten in den unterschiedlichsten Medien, wobei sie diese mit „humorvoller Ernsthaftigkeit“ hinterfragen.
Für die Kunsthalle Nexus haben sie eine einzigartige Arbeit entwickelt, die zwar im Kontext ihrer künstlerischen Auseinandersetzung steht, aber speziell für die architektonische Besonderheit der Halle, den Blick von der Galerie in den Hauptraum, entwickelt wurde. Herzlichen Dank auch an die Firma Technicomp GmbH in Perchtoldsdorf (Robert Klockhaus), die die Bodenarbeit gesponsert hat.
Bei den Projekten von G.R.A.M. handelt es sich grundsätzlich um Aneignungen – eine Methode der künstlerischen Transformation von gefundenem Material – Kunstwerke anderer KünstlerInnen, Alltagsfotografien u.v.m. –, um zu neuen, eigenen Werken zu kommen. Diese Aneignungskunst („Appropriation Art“) war am Ende der 1970er-/1980er-Jahre eine eigenständige Kunstrichtung – Aneignung nicht als passives Übernehmen anderer Kunstwerke, sondern als bewusste, aktive Auswahl und Durchdringung sowie kreative Verarbeitung und Gestaltung bis hin zur Dekonstruktion – eine kritische Auseinandersetzung auch mit Original und Originalität, Autorschaft und Authentizität, Werkbegriff und Wahrnehmung. Eine Sonderform der Aneignung ist das Re-Inszenieren, das Re-enactment. Eine bildliche Vorlage wird in einem performativen Akt dargestellt, um dann in Fotografie übersetzt zu werden.

Von G.R.A.M. kennen wir frei interpretierte Reenactments bereits bestehender Fotografien. Im fotografischen Bereich verwenden sie meist massenmediale, dominante Bilder, die sie unter Eigenbeteiligung mit leichten, die Szenen noch verdichtenden und zuspitzenden Verschiebungen nachstellen und dann – von professionellen Pressefotografen – in Fotografien festhalten, wie z.B. Familie Obama beim TV, schlafende oder handgreiflich werdende Parlamentarier, Politiker in der Pause abseits protokollarischer Zwänge, verloren im Regen wartende Bodyguards. Mit diesen Arbeiten werden Printmedien wie auch Rituale bzw. Ge-sten und Körpersprache der Machthabenden, Paparazzi-Voyeurismus u.v.m. humorvoll und gleichzeitig kritisch kommentiert.

Der zweite Bereich von G.R.A.M. ist die Nachstellung von fotografisch überlieferten Aktionen anderer KünstlerInnen oder von Szenen aus Spielfilmen (Found Footage). Diese performativen Inszenierungen, an denen die Künstler ebenfalls selbst teilnehmen, münden erneut in Fotografien und Filmen. Hier haben sie u.a. Szenen aus Stummfilmen von Laurel & Hardy nachgestellt. Die Serie „Wiener Blut“ von 2001/02  ist eine kritisch-ironische Reflektion der Kunstbewegung des Wiener Aktionismus, der in den 1960er-Jahren mit grenzüberschreitenden, tabuverletzenden Happenings und Aktionen in Form von Materialschlachten und Körpermalträtierungen gegen repressive gesellschaftliche Zustände schockierte und mit dem sich G.R.A.M. über eine längere Zeit hinweg beschäftigt hat. Hier stellten sie nach in Katalogen und Zeitungen dokumentierten Bildern der Aktionen bekannte Szenen nach.

Die hier realisierte mehrteilige Installation basiert auf einer Aktion mit dem Titel „der fenstersturz einer küchenkredenz aus dem 4. Stock“ von 2015, die letzte Arbeit der Beschäftigung von G.R.A.M. mit dem „Wiener Aktionismus“. Das Sujet des herabstürzenden, zerschellenden Kastens bezieht sich auf eine nicht realisierte, dramaturgisch aus-schließlich schriftlich fixierte Materialaktion von Otto Mühl, die dieser im Rahmen des "Festes des psycho-physischen Naturalismus" 1963 in Wien in seinem Atelier in der Perinet-gasse durchführen wollte. Er hatte beabsichtigt, eine mit Farbe, Marmelade, Eiern, Mehl, Geschirr und Küchengeräten gefüllte Kredenz aus dem vierten Stock auf die Straße hinunterzuwerfen und sie unten mit der Hacke zu bearbeiten. Diese Aktion wurde von G.R.A.M. in der Afritschgasse in Graz, wo sich ihr Atelier befindet, durchgeführt und in einem Video festgehalten, das hier auch gezeigt wird. Hier wird in zum Teil abstrakten, schnell aufeinanderfolgenden, nicht chronologisch gereihten, aktionistisch geschnitttenen Bildern die Befüllung, der Wurf sowie die Bearbeitung der Kredenz durch die Künstler gezeigt. Der Sound des Videos kommt von dem in Graz lebenden Tiroler Soundkünstler, Musiker und Komponisten Josef Klammer. Er verarbeitet hier die Geräusche der Aktion. Das Video lief auch 2016 beim Festival des österreichischen Films in Graz, der „Diagonale“.

Das Auftreffen der Kredenz und ihrer Inhaltsstoffe auf der Straße hatte ein abstraktes „Materialbild“ geformt, das fotografiert wurde und nun in der Kunsthalle als riesiges Fotomotiv auf dem Fußboden des Hauptraums realisiert ist. Die mit dem Foto bedruckten 68, ca. 1,20 x 1,40 großen Papiere sind so angeordnet, dass sie ein gewisses Durcheinander darstellen, das auch durch die offengelassenen Flächen, an denen der Fußboden durchschaut, betont wird. So entsteht der Eindruck, als wäre die Kredenz tatsächlich hier von der Brüstung in die Kunsthalle geworfen worden. Man könnte sogar meinen, auch das Foto sei von hier oben herabgeworfen worden. Nur durch einen Blick von der Galerie kann dieser Eindruck gewonnen werden, deshalb wurde unterhalb der Stiege eine Wand errichtet, die den Durchgang und damit den Blick von unten verhindert. So heißt die Ausstellung auch „Touchdown“ („Aufsetzen“), ein Begriff aus dem Flugverkehr, der den ersten Moment des Aufsetzens eines fliegenden Objekts, den ersten Bodenkontakt, meint. Auch im American Football und im Rugby wird dieser Begriff verwendet.
    
Die Künstler, die ursprünglich autodidaktisch mit Malerei begonnen hatten, aber dann zu Video und Fotografie wechselten, kehren hier – so hat es zumindest den Anschein –, wieder zur Malerei zurück, ohne dass wirklich gemalt wurde. Wir sehen tatsächlich „nur“ ein fragmentarisch präsentiertes Foto einer wie Malerei aussehenden zerschellten Kredenz sowie deren Relikte (in der Galerie), die wie abstrakte kleinformatige Gemälde wirken. Es sind „Fakes“ in dem Sinn, dass sie nicht im traditionellen Verständnis mit den üblichen Malmitteln und -utensilien und innerhalb ästhetischer und stilistischer Konventionen gemalt wurden. Die Bilder sind tatsächlich als rechteckige Platten, bespritzt mit den im Kasten enthaltenen Materialien – Eier, Marmelade, Mehl, Farbe – nach dem Sturz übriggeblieben. Sie wurden mit Fixierspray fixiert, um der Zersetzung Einhalt zu gebieten. Mit der Arbeit wird das Medium „Malerei“ ironisch-kritisch zur Diskussion gestellt: Was ist Malerei? Was ist gute Malerei? Was sind die heutigen Kriterien für Malerei, nachdem schon in der Avantgarde alle akademischen Traditionen – Gegenstand, Perspektive, Ästhetik und zuletzt das technische Können – gekippt wurden und in der heutigen Malerei alles möglich zu sein scheint?
Zudem werden diese Bilder in Rahmen präsentiert; sie werden dadurch zu kostbaren  Ausstellungsstücken, mit denen die teilweise übertriebene museale Aufbewahrungskultur kritisch hinterfragt wird.

In der Installation wird der Geist des Wiener Aktionismus zwar aufgegriffen, aber gleichzeitig entmythologisiert bzw. die damals geltende Formel „Kunst ist Leben, Leben Kunst“ ironisierend verwirklicht. Im Vordergrund der neu konzipierten, mehrteiligen Rauminstallation steht aber vor allem das Selbstverständnis der Künstler, dass aus der Zerstörung eines banalen Alltagsgegenstandes etwas Neues, Kunst, entstanden kann – weil sie es so definieren und es mit einem Platz in einem musealen Raum sanktionieren.  

Zu der Installation gibt es noch eine akustische Ebene, ebenfalls konzipiert von Josef Klammer. Der Raumsound beruht, wie das Video, auf den Geräuschen der Aktion. Zudem gibt es von Josesf Klammer am heutigen Vernissagenabend eine Sound-Performance, die diesen Sound noch, analog zu dem Foto, fragmentiert. Dies vollzieht sich mit so ungewöhnlichen „Instrumenten“ wie Spielkonsolen... 

 

Biografie: Einzelausstellungen (Auswahl): 2017 „Der Regenschirm, die Schaufeln und der koreanische Tanz“, Fotohof Salzburg, Salzburg (AT). „Sharp dressed“, Kunsthalle Graz, Graz (AT). 2016 „Der Coup der tadellosen Männer“, Christine König Galerie, Wien (AT). 2014 „Reenactmedia“, Gallery Photon, Ljubljana (SI). 2013 „Hohes Haus“, Month of Photography 2013, Österreichisches Kulturforum, Bratislava (SK). „G.R.A.M Parlament / Hohes Haus“, Prag 1, Galerie Österreichisches Kulturforum, Prag (CZ). „Ja, Ja, Ja, Ja, Ne, Ne, Ne, Ne“, Camera Austria, Graz (AT). 2012 „Photobiennale“, Moscow House of Photography, Moskau (RU). 2011 „Passagen 03“, Stadtsalon im stadtmuseumgraz, Graz (AT). „Hohes Haus“, Christine König Galerie, Wien (AT). 2009 „café paparazzi“, Christine König Galerie, Wien (AT). 2007 „Penthouse“, Abel – Neue Kunst, Berlin (DE). „frame #20“, Servus Austria, Semper Depot, Wien (AT). „China Entdecken“, Künstlerhaus, Graz (AT). „Wiedergänger“, Atelièr Josefa Sudka, Prag (CZ). 2006 „Global Player“, Christine König Galerie, Wien (AT). „automatic“ (mit Josef Dabernig), Art Film, Art Basel (CH). „Performances“, Museum Sammlung Friedrichshof, Zurndorf (AT). „Allhamduleilah“, Galerie Elisabeth Kaufmann, Zürich (CH). 2005 „Allhamduleilah“, Medienturm Shows 05, MuseumsQuartier Wien (AT). 2004 „Wiener Mischung“, in Kooperation mit museum in progress + Wein & Co, Wien (AT). 2003 „Wiedergänger“ (mit Cameron Jamie), Christine König Galerie, Wien (AT). 2002 „Wiener Blut“, Christine König Galerie, Wien (AT). 2001 „Nach Motiven von ...“, TZR Galerie für Bildende Kunst, Bochum (DE). 2000 „Elvis slept here“, Edition Artelier, Graz (AT). „Innocent Anarchists“, Patricia Faure Gallery, Los Angeles (US). 1999 „Unschuldige Anarchisten“, rumford 26, München (DE). 1998 „Cote Noire“, Villa Arson, Nizza (FR). 1997 „Paparazzi“, Österreichische Galerie Belvedere, Wien (AT); Grazer Kunstverein, Graz (AT).
Zahlreiche Gruppenausstellungen im In- und Ausland.
Mehr Information: http://www.christinekoeniggalerie.com/kuenstler-details/items/gram.html

Bildunterschriften:

01 und 02: Installation „der fenstersturz eine küchenkredenz aus dem 4. stock“, Kunsthalle Nexus, Saalfelden, 2018, Fotografie auf Papier (68 Stück), ca. 120 qm

03: „der fenstersturz eine küchenkredenz aus dem 4. stock“, 2015, Video, 3 Min., Regie und Konzept: G.R.A.M., Musik: Josef Klammer, Kamera: Andreas Meschuh,

Paul Meschuh, Michael Heinz, Laurin Hofmann, Marco Haas, Fotos: Art-Media; eingezogene Wand

04: (Galerie): 7 Arbeiten, „o.T.“, Dispersion, Ei, Mehl und Marmelade auf Holz, 2015, unterschiedliche Maße

05: Soundperformance Josef Klammer (re) am Eröffnungsabend

06–08: Stills aus „der fenstersturz eine küchenkredenz aus dem 4. stock“, 2015, Video, 3 Min., Regie und Konzept: G.R.A.M., Musik: Josef Klammer, Kamera: Andreas Meschuh, Paul Meschuh, Michael Heinz, Laurin Hofmann, Marco Haas, Fotos: Art-Media

09: "o.T.", Dispersion, Ei, Mehl und Marmelade auf Holz, 2015, 73 x 52 cm, Foto: Arno Friebes

10: "o.T.", Dispersion, Ei, Mehl und Marmelade auf Holz, 2015, 34 x 21 cm