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HELMUT & JOHANNA KANDL – GLÜCK AUF!

Kunsthalle Nexus, Saalfelden

Eröffnung: 4. Mai 2018

Dauer: 5.5.–30.6. und 23.–26.8.2018
 
Rede zur Ausstellung am 4. Mai 2018, Petra Noll-H.:
Das Künstler- und Ehepaar Helmut & Johanna Kandl arbeitet seit 1997 an gemeinsamen Projekten. Sie setzen sich seit Jahren mit gesellschaftspolitischen und sozialkritischen Themen auseinander, vor allem mit den ökonomischen Auswirkungen von Globalisierung und Kapitalismus auf den Menschen. Für ihre intensiven Recherchen unternimmt das Paar Reisen in der ganzen Welt wie auch in Österreich und sucht Begegnungen und Gespräche mit den Menschen. Hier geht es ihnen in erster Linie um die prekären Arbeits- und Lebenssituationen der kleinen Händler und Gewerbetreibenden, den Verlierern des Kapitalismus. Dabei grenzt sich das Künstlerpaar entschieden ab gegen die rigorosen Optimierungsmethoden der Produktionsindustrie. Ein Ausgangspunkt ihrer konsumkritischen Botschaften ist die eigene Betroffenheit als Kinder von Kleingewerbetreibenden, verbunden mit dem Konkurs der Farbenhandlung von Johannas Eltern in Wien-Floridsdorf in den späten 1960er-/1970er-Jahren – eine Folge der rasanten Entstehung von Baumärkten.

Das Paar arbeitet vielseitig in den Medien Malerei, Zeichnung, Film, Fotografie und Installation. Es entstehen – wie hier – multimediale Ausstellungen, in denen sich künstlerische mit wissenschaftlichen Zugängen vermischen. Immer liegen persönliche Begegnungen und Bezüge zu lokalen Gegebenheiten des Ausstellungsortes zugrunde. Johanna Kandl ist in erster Linie Malerin. Sie malt farbkräftige, mit ironisch-provokanten, konsumkritischen Botschaften beschriftete, meist mit Tempera und Gouache auf Holz oder Leinwand gemalte Bilder oder Aquarelle auf Karton. Helmut Kandl kommt von Fotografie und Film und hat viel mit Archivmaterial gearbeitet. 
Seit einiger Zeit beschäftigten sich Helmut & Johanna Kandl mit Malmaterialien – mit u.a. Dammar, Leinöl, Gummi Arabicum, Mastix, Perlleim, Pigmenten bis hin zu Tierhaaren (hier ist der Schweif des Kolinsky-Marders, der für Pinselhaare verwendet wird, ausgestellt) und Eiern. Auch hier findet eine umfassende Auseinandersetzung statt, die über das Interesse an den Grundfragen der Malerei weit hinausgeht: Es geht auch um Materialität, Herkunft, Geschichte, Verwendung und Produktionsbedingungen. Hiervon ausgehend werden auch Arbeitssituationen angesprochen – z.B. in den beiden großen Temperabildern „Tomorrow is Ours“ und „Work is over“, auf denen Fabrikarbeiterinnen aus einer Gummi-Arabicum-Fabrik im Sudan fast schon flüchten – in Richtung einer nur allzu vorhersehbaren Zukunft. Oder es geht um Arbeitsbedingungen bei der Produktion/Ernte der Malmaterialien. In dem Bild „Let a hundreds flowers blossom“ wird der Klimawandel angesprochen: Hintergrund ist eine Fraueninitiative in Tunesien, die in der immer weiter vorrückenden Wüste Akazien anpflanzt. Es geht den Kandls also um einen ganzheitlichen Zugang – mit den Mitteln der Kunst hin zu ökonomischen, politischen, sozialen, geografischen usw... Auseinandersetzungen zu kommen.

In der sehr material- und informationsreichen Ausstellung werden ebenso kritische wie auch informativ-didaktische Bilder von Arbeitsprozessen, geografischen Zusammenhängen, Materialien und biologischen Gegebenheiten gezeigt wie auch sinnliche Materialbilder – wo ganz einfach aus aufgetragenem Leim ein Bild entstehen kann. Dazu werden dokumentarische Arbeiten – eine Fotoserie von 5 Diptychen von Helmut Kandl – und Videos gezeigt, wie z.B. von der Dammarproduktion in Sumatra im Hauptraum mit dem Titel „Materialism Dammar“ (ca. 16 Min.). Hier erfährt man nicht nur etwas über die Ernte, sondern auch etwas über dörfliches Leben, Landschaft und Musik in Sumatra und auch über Konflikte zwischen Dorf und Regierung, wie man einen Dammar-Wald managt. In dem Video „Hormozbrot“ in der Galerie kann man eine Frau auf der Insel Hormus im Iran beim Brotbacken zuschauen, sie vermischt das Rot mit Ö und getrocknetem Fisch und bespritzt damit das Brot. Ein anderes Video in der Galerie (Leinfeld) zeigt eine ruhige, lange Kameraeinstellung eines blühenden Leinfeldes im Waldviertel mit Vogelgezwitscher.

Die Ausstellung ist bzgl. der Malmaterialien in gegliedert, die an anderen Orten der Ausstellung wieder aufgegriffen werden. Unter der Galerie hängen z.B. Arbeits- und Materialfotos zum Thema „Rot“, links „Cochenille“, ein Rot von der Cochenille-Schildlaus, sie leben auf Opuntien – hier auf Lanzerote. Aus den getrockneten weiblichen Tieren wird Karminsäure (E 120) gewonnen, welche die Grundlage für die Herstellung des Farbstoffs Karmin darstellt. Verwendung findet dieser z.B. in Lippenstift (Bild) und Campari. Rechts neben den Conchille-Bildern finden sich drei Bilder von Johanna Kandl zum Thema „Hormozrot“, eine rote, eisenhaltige Erde, die auf der iranischen Insel Hormos vorkommt und als Künstlerfarbe Verwendung findet. Wir sehen ein Bild von den Arbeitern in einer Fabrik, die über und über rot sind, sowie zwei Arbeiten auf Karton, die ebenfalls Arbeiter zeigen, verbunden mit Signalworten (Liebe, Leidenschaft, Kraft,...) für die Farbe Rot. Leinöl ist ein weiteres Material – repräsentiert durch ein riesiges Bild der Blüten, durch das Video des Leinfeldes und durch die Leinsamen, aus denen das Pflanzenöl, das in vielen Bereichen und unter anderem als Binde- und Verdünnungsmittel in der Ölmalerei Verwendung findet.

Auf einem Tisch sind Materialien wie Erden, Pigmente, Samen, Harze usw...präsentiert, die wiederum Bezüge zu Bildgruppen bzw. Videos haben, wie z.B. Dammar, ein Harz, das, wie das bereits erwähnte Video im Hauptraum zeigt, durch runde Einschnitte in die entsprechenden Bäume gewonnen wird und in der Malerei als Firnis und zur Isolierung des Malgrundes verwendet wird; dazu gehören auch drei großformatige Aquarelle, die Arbeiterinnen und geografische Zusammenhänge zeigen. Oder Gummi Arabicum, das aus dem Wundsaft von Akazien gewonnene Gummi, das in der Malerei als Bindemittel verwendet wird. Auch hier gibt es drei großformatige Aquarelle mit Arbeiterinnen und geografischen Zusammenhängen und die schon erwähnten Gemälde der Fabrikarbeiterinnen.

Einige dieser Malmaterialien sind auch Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln. Und da öffnet sich ein neues Feld. Während Johanna Kandl ihre Temperafarben mit Eiern anrührt, verarbeitet
Helmut Kandl diese als Mayonäse. Heute gibt es von Helmut Kandl – aufgewachsen in einer ländlichen Greißlerei – zubereitete, zum Thema passende Speisen und Getränke mit Ingredienzien, die sowohl als Malmaterialien verwendet werden wie auch in Nahrungsmitteln vorkommen. Gummi Arabicum ist neben seiner Funktion als Bindemittel für Farben u.a. in Coca Cola enthalten, um zu verhindern, dass sich der schwarze Farbstoff an der Flasche absetzt. Hormozrot dient auch als Dekoration von Brotfladen. Das knallige Rot „Cochenille“ ist in der Malerei genauso gefragt wie beim Essen (E 120) oder im Lippenstift. Der Campari wird damit auf sein knalliges Rot gebracht. Die Harze Mastix und Dammar kommen neben der Verwendung in der Malerei auch z.B, in Backwaren, Limonaden, Süßigkeiten, Sprituosen und Gewürzen vor.

Im Zuge dieser Auseinandersetzung haben die Kandls auch nach Zusammenhängen in der Region um Saalfelden gesucht. Es war ihnen von vorne herein wichtig, für diese Ausstellung eine Arbeit zu schaffen, die lokalen Bezug hat. Hier in der Region war der Kupfer- und Kobalt- Bergbau von großer Bedeutung; es wurden u.a. die Mineralien Azurit (Kupferblau) und Malachit (Grün) gewonnen, die zu Pigmenten zermahlen und in der Malerei verwendet werden. Der Raum hinter der Stellwand ist dem Thema „Azurit“ gewidmet. In einer Vitrine werden Azurit, Malachit und Zinnober als Leihgaben der regionalen Museen – des Schlosses Ritzen, Saalfelden, und des Gotik- und Bergbaumuseums Leogang – präsentiert. Daneben hängt ein mit Eitempera und Azurit gemaltes Farbbild.Als spezielles Projekt entstand in diesem Jahr der von Helmut & Johanna Kandl konzipierte, vom Land Salzburg geförderte Film „Azurit“. Gefilmt wurde im Barbarastollen im Schwarzleotal bei Leogang mit zwei Darstellern, zum einen Petra Staduan – am Max Reinhardt Seminar in Wien ausgebildete Schauspielerin und Sängerin, gebürtig in Kärnten – und Rahmatullah Noori; er lebt in Wien und hat ebenfalls eine gesangliche Ausbildung. Er gehört zu der ethnischen Gruppe der Hazara in Zentralafghanistan und kam 2015 als Geflüchteter nach Österreich. Wie viele Geflüchtete hatte er bereits als Kind Afghanistan verlassen und jahrelang im Iran Schwerstarbeit geleistet. Kamera und Schnitt stammen von Arne Hector,  einem Berliner (Dokumentar-) Filmer.Der Film lässt die Bergbauvergangenheit auferstehen, indem eine Erzählung um die Mineralien erzählt wird, die auch das Mystische und Geheimnisvolle des Bergbaus lebendig werden lässt. Im Stollen geht eine wie eine Göttin wirkende Frau – Petra Staduan – im goldenen Gewand durch die Gänge, sie hinterlässt drei farbige Tücher als Symbole für die Farben Blau, Rot und Grün sowie einen blauen Azurit-Stein. Ein junger Mann – Rahmatullah Noori – hebt die Tücher und den blauen Stein auf und singt auf Deutsch das bekannte Bergmanns- und Volkslied „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt...“!“, eine Art Hymne vieler Bergbauregionen Deutschlands, die die Hoffnung der Bergleute, nach der harten und gefährlichen Arbeit im Bergwerk wieder zurückzukehren, thematisiert.Aber es geht auch wie in anderen Arbeiten Kandls um prekäre Arbeitsverhältnisse. Die Arbeit im 1833 geschlossenen Stollen war hart. Diese schweren Arbeitsbedingungen gibt es in Europa kaum mehr – in Österreich gibt es auch fast keinen Bergbau mehr. Der Bergbau ist aber nicht aus der Welt verschwunden, er hat sich nur verlagert – in Länder mit geringerem Einkommen, schlechteren sozialen Bedingungen, weniger strikten Umweltauflagen – z. B. Afghanistan. Oder in die Republik Kongo, wo ein Großteil des Kobalts für unsere Mobiltelefone und die Elektomobilität herkommt. In dem Musikvideo sieht man Rahmatullah Noori vor der Kulisse der Berge ein Lied in Dari (persische Sprache in Afghanistan) aus seiner Heimat singen, in dem das Fremdsein und die Einsamkeit im fremden Land, die schlimmen Erfahrungen der Vergangenheit, aber auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft thematisiert werden. So verbindet das Video auch unterschiediche Welten miteinander: Musikstile, kulturelle Kontexte aber auch das Leben über und unter Tage.

Bildunterschriften
01–0, 07, 10 Ausstellungsansichten Hauptraum Kunsthalle Nexus 2018
06 Johanna Kandl, Let a hundred flowers blossom, 2015, Eitempera und Gummi arabicum auf Leinwand, 115 x 150 cm
08 Ausstellungsansicht, Galerie Kunsthalle Nexus 2018
09 Helmut Kandl, Hormozbrot, 2017, Still aus Video, ca. 5 min., Ton
11 und 12: Helmut & Johanna Kandl, Azurit, 2018, Stills aus Video, ca. 7 min., Ton