Skip to main content

Liddy Scheffknecht – Dream Argument

Kunsthalle Nexus Saalfelden
 
Dauer: 1.10. bis 12.11.2016
 
Eröffnungsrede, Petra Noll, 30.9.2016:

Liddy Scheffknecht zeigt in der Kunsthalle einen Querschnitt vor allem von Arbeiten der letzten zwei Jahre. Die Fotoserie „Sending Spray“ (Galerie), aus der auch das Plakatmotiv stammt, ist ganz neu. Als Titel der Ausstellung wurde Dream Argument gewählt. Dem liegt der bekannte Schmetterlingstraum des altchinesischen Philosophen Zhuangzi (365–290 v. Chr.), der geträumt hatte, er wäre ein sorglos flatternder Schmetterling. Als er erwachte, wusste er nicht, ob er Zhuangzi war, der geträumt hatte, er wäre ein Schmetterling, oder ein Schmetterling, der geträumt hatte, er wäre Zhuangzi. Kann es also sein, dass alles, was wir als real empfinden nur ein Traum ist? Diese existentielle Frage steckt auch in dem von René Descartes (1596–1650) postulierten, auf dem Schmetterlingstraum basierenden Begriff „Dream Argument“. Am Beispiel des Traums verweist er darauf, dass unseren Sinnen bei dem Versuch der Differenzierung von Wirklichkeit und Schein nicht zu trauen sei und deshalb bei allen Dingen, die von der Wahrnehmung unserer Sinne abhängen, sorgfältig darüber nachzudenken sei, ob es sich tatsächlich um Realität handelt. Zu dieser „Prüfung“ bzw. Nachdenken über diese Wahrnehmungsfrage animiert uns auch Scheffknecht; ihre Arbeiten kennzeichnet ein ebenso rationaler wie auch spielerisch-experimenteller Umgang mit Realität und Illusion. Sie kreiert Sinnestäuschungen, wobei sie Sonnenlicht und Schatten als „Arbeitsmaterialien“ einsetzt. Die Art der Illusion, mit der sie spielt, hat ihre Quelle auch in Platons (428/27–348/47 v. Chr.) Höhlengleichnis, wo bekanntlich in einer Höhle gefangene Menschen menschliche Schatten als Realität wahrnehmen, aber tatsächlich das Eigentliche, die menschlichen Körper, nicht sehen. Moderne Beispiele sind hier der US-Film „The Truman Show“ (1998), eine Parabel über Schein und Wirklichkeit, wo der Protagonist in einer Kulissenstadt aufwächst, die er für die Realität hält, und erst nach 29 Jahren die Täuschung erkennt, oder auch der Science Fiction-Filmklassiker „The Matrix“ (1999), wo Menschen von intelligenten Maschinen gefangen und an eine komplexe Computersimulation, die Matrix, angeschlossen sind. Sie sind geistige Sklaven, die die Simulation für das echte Leben halten.

In der Kunst ist die Auseinandersetzung mit Sein und Schein, mit Realität und Illusion – gerade auch im Medium der Fotografie – immer eine Herausforderung für die Wahrnehmung. Scheffknecht hinterfragt mit ihren Arbeiten den Realitätsgehalt von Raum, Zeit und Bild und verändert durch ihre Irritationen unsere Denkmuster – geht es doch um viel: nicht weniger als um unser Bild von der Welt, um den Platz, wo wir stehen und uns sehen, um Kontrollverlust bzw. Identitätsfestigung. Dabei wendet sie innovative technische Verfahrensweisen an, um z.B. zu versuchen, Zeit als Prozess im fotografischen Bild darzustellen. Die Fotografie, die nur einen Moment im Zeitverlauf fixieren kann, wird von ihr um eine filmisch-bewegte Komponente bereichert und kann nun scheinbar das Unmögliche, Zeit als Prozess darstellen. Dabei arbeitet sie mit Schatten.

In der hier ausgestellten Installation point ziehen über ein historisches Foto eines Skifahrerpaares aus den 1930er-Jahren Schatten – auch über den Bildrand hinaus – , was das Vergehen von Zeit suggeriert. Auch wenn die Schatten die Körperformen nachzeichnen und scheinbar logisch verlaufen, entpuppen sie sich als Konstruktion. Die Schatten – und auch die Lichtquelle, die diese scheinbar produziert – werden aufwändig in einem 3-D-Programm am Computer hergestellt, animiert und auf das Foto projiziert, als ob der Schatten zum Foto gehören würde. Da Animation und Fotografie perfekt synchronisiert sind, erkennt man vielleicht nicht gleich die Surrealität des Bildes. Tatsächlich ist nichts, wie es scheint, denn die Schatten verändern sich ohne eine Bewegung der Skifahrer, sind also unabhängig vom Motiv, haben ein Eigenleben. Scheffknecht ist nicht nur interessiert an Philosophie, Medientheorie und Wahrnehmungsproblemen , sondern schöpft auch aus der Literatur und dem Märchen. Hier gehen Schatten oft ihre eigenen Wege. Im Volks- und auch in von Schriftstellern verfassten Kunstmärchen ist sehr häufig vom Schatten die Rede mit unterschiedlichen Zugangsweisen in verschiedenen Kulturen, zwischen Glauben und Aberglauben, oft auf Vergänglichkeit weisend. Der fehlende oder selbstständige Schatten wird oft als beunruhigend empfunden, da dies Identitäts- und Kontrollverlust bedeutet. In Hans Christian Andersens „Der Schatten“ (1847) löst sich der Schatten von seinem Protagonisten, beginnt ein Eigenleben und wird mächtiger, reicher und selbstbewusster als dieser. In Adelbert von Chamissos „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ (1813) verkauft die Hauptfigur seinen Schatten und damit seine Seele an den Teufel. Peter Pan möchte nicht erwachsen werden und bringt seinen Schatten ins Land der ewigen Kindheit.

Auf den Einfall von Sonnenlicht basieren Arbeiten wie die fünfteilige Fotoserie sending spray. Wie in der Arbeit point geht es auch hier um die Auseinandersetzung mit Zeitverlauf. Dieser lässt sich auch mit fotografischen Bildfolgen suggerieren. Scheffknecht platziert ein reales Objekt – sie verwendet immer Alltagsgegenstände wie Eimer, Pflanze, Schwamm usw. und hier eine Spraydose – im Raum und installiert an einem Fenster eine analog hergestellte Schablone, die vom Motiv her objektbezogen ist, wie hier der Sprühnebel. Das durch die Schablone geformte Sonnenlicht wandert, angetrieben durch die Erdrotation, als Lichtbild durch den Raum und verändert sich im Laufe des Tages in Form und Größe und verschwindet, wenn Wolken kommen. Kurz scheint die Situation zu passen, einen Moment lang ist die Illusion perfekt – nämlich dann, wenn das Spray genau an der Sprühöffnung der Dose ankommt. Scheffknecht hat mehrere Situationen fotografiert, Bild #3 zeigt diese optimale Situation. Auch die sechsteilige Fotoserie The end basiert auf diesem Prinzip. Hier wurde ein Fernseher aus den 1960er-Jahren in einen Raum gestellt und die Schrift „The end“ ausgeschnitten und an ein Fenster geklebt. Durch das eindringende Sonnenlicht wandert der Schriftzug als Lichtschrift durch den Raum, über die Wände und den Rand vom Bildschirm, bis er dessen Mitte trifft (ebenfalls Bild #3). Wie bei sending spray wird eine Einheit von Sein und Schein suggeriert, von Gegenstand und Projektion. So sieht auch der Fernseher aus, als wäre er in Funktion. Oder auch die Arbeit wipeout, die Scheffknecht als Leuchttisch realisiert hat. Ein Reinigungsschwamm wurde im Raum platziert und die Schablone einer Wischbewegung am Fenster. Scheffknecht hat den einmaligen Moment, in dem es aussieht, als würde Licht gewischt, festgehalten und diese Flüchtigkeit als Skulptur verfestigt. Dieses Vorgehen setzt sie auch für Videos ein, wie z.B. bei sun tube, wo scheinbar aus einer Tube fließendes Licht visualisiert wird.

Auf Schatten- und Lichteinsatz basiert die Arbeit Skiagraphie #4, griechisch Schattenmalerei. Hier wurde eine Folie mit dem verzerrten Motiv von Buntstiften auf ein Fenster geklebt; das auf die Zeichnung stoßende Sonnenlicht bildete für einen kurzen Moment einen farbigen, undeutlichen, sehr malerischen Schatten auf einer Platte ab, der dann fotografiert wurde und somit eine doppelte Illusion produziert. Oder die Arbeit Reading Woman, eine mysteriöse Situation mit einer lesenden Frau ohne Schatten bzw. nur mit Stuhlschatten. Auch hier wurde ein Stuhlbild an ein Fenster geklebt und durch das daraufstoßende Sonnenlicht Stuhlschatten produziert. Den Moment des scheinbar richtigen Schattenfalls – logisch wäre eine Lichtquelle von vorn, die einen echten Schatten produziert – hat Scheffknecht in einem Foto festgehalten.

Im Spannungsfeld von Licht und Schatten, Realität und Illusion, Erscheinen und Verschwinden stehen auch die Wachskreidearbeiten Untitled (Ceci n’est pas une plante #1-3 und Untitled (wipeout), für die mehrere Schichten weiße und abschließend schwarze Wachskreide aufgetragen wurden, ganz so wie bei der bekannten Kindertechnik. Es ist ein Negativverfahren, d.h. erst durch das Wegnehmen der schwarzen Kreide entsteht ein Bild. Es erscheint das Weiß, das Licht. Die Motive sind Skizzen zu Installationen bzw. künstlerischen Prozessenaber dennoch als eigenständige Arbeit zu sehen. Man sieht das Fenster mit der Schablone sowie den Licht- und Schattenwurf, der im Raum erzeugt wird. Bei den drei untereinander gehängten Werken handelt es sich um die Darstellung der Realisierung der Arbeit Ceci n’est pas une plante – ein Verweis auf René Magrittes „Ceci n’est pas une pipe“ – , in der nicht eine reale Pflanze (wie bei der Spraydose), sondern das Bild einer Pflanze einen Schatten bekommt. Das einzelne Bild zeigt das making off von wipe out, die im Leuchttisch realisierte Arbeit. Diese Negativtechnik hat Scheffknecht schon in früheren Arbeiten angewendet, z.B. in einem Skifahrervideo, in dem sie den Skifahrer wegretouchiert hat, so dass man nur noch die sich verbiegenden Tore, den Berg und die Fans, die niemandem zujubeln, sieht.  Auch von einem Fußballspiel ließ sie 2001 nur noch die Schatten der Spieler übrig. Obwohl konzeptuell entwickelt, den Naturgesetzen entgegenwirkend und zum Teil digital konstruiert, sind Liddy Scheffknechts Arbeiten immer auch sehr poetisch, malerisch – Animation für unsere Sinne, wenn wir diesen denn trauen können.

 

Biografie Liddy Scheffknecht: *1980 in Dornbirn/AT, lebt und arbeitet in Wien. Absolventin der Universität für angewandte Kunst Wien und der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts, Paris (Diplom). Einzelausstellungen (Auswahl:) 2016 sciography, Galerie Georg Kargl Fine Arts, Wien. 2015 shift, Galerie der Stadt Wels. 2013 spot, Sotheby’s Artist Quarterly, Wien. 2012 Kunsthaus Graz. Ex-garage / Maribor. 2011 Georg Kargl Box, Wien. The Outside Gallery Window, Mailand. Galerie Wilma Lock, St. Gallen. Galerie Jeune Création, Paris. The Outside Gallery Window, Mailand. Duo-Ausstellungen: 2015 mit Jan Mioduszewski, Austrian Cultural Forum Warschau. 2012 mit Armin B. Wagner, Zentralkunstgarage, Lustenau. Mit Claudia Larcher, Galerie Stephanie Hollenstein Lustenau. 2010 mit Bernd Oppl, bb 15, Linz. Seit 2006 regelmäßige Teilnahme an zahlreichen internationalen Gruppenausstellungen, u.a. an der Sinop Biennale 2012, der Moscow Biennale for Young Art 2010 oder der Biennale of Young Artists of Europe and the Mediterranean 2009. www.liddyscheffknecht.net

 
 
01: Sending Spray #3, 2016, aus einer Serie von 5, Pigmentdruck, 50 x 70 cm

02–05: Ausstellungsansichten, Fotos: Liddy Scheffknecht

06: Ohne Titel (Skiagraphie #4), 2016, Pigmentdruck, 80 x 60 cm

07: point, 2015, Videoprojektion auf Fotografie, 204,8 x 148,5 cm (Bild), Video, 8:3 min., Ausstellungsansicht, Foto: Liddy Scheffknecht

08: wipeout, 2015, Leuchttisch, 70 x 110 x 70 cm

09: sun tube, 2015, Video,
1:52 min.

10: Untitled (Ceci n’est pas une plante #1–3), 2015, Wachskreide auf Papier, je 54,5 x 74,5 cm