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RAINER WÖLZL – INTERVALL

 
Kunsthalle Nexus, Saalfelden,
Dauer: 14.11.2020–19.6.2021
 
Rede zur Finissage am 18. Juni 2021, Petra Noll-H.

Nach dreimaliger Verlängerung aufgrund von Corona können wir nun  die Ausstellung „Intervall“ des Wiener Künstlers Rainer Wölzl gleichzeitig eröffnen – und beenden. Sie ist am morgigen Samstag zum letzten Mal von 16–20 Uhr zu sehen. Rainer Wölzl, der auch seit vielen Jahren an der Universität für angewandte Kunst – an der er 1978 diplomiert hat – lehrt, arbeitet in einer Vielzahl künstlerischer Medien: Zeichnung, Malerei, Skulptur bzw. Objekt, Instal-lation und Film.

Es ist ihm in besonderem Maße gelungen, den Raum der Kunsthalle mit Arbeiten aus verschiedenen Werkgruppen in ein ästhetisches und gleichermaßen inhaltliches komplexes Gesamtkunstwerk zu verwandeln. Sein zentrales Thema ist die menschliche Existenz und deren Bedrohung sowie die Verlorenheit, das Scheitern des Menschen, und dessen verzweifelte Suche nach Balance, Orientierung und Halt. Seit seinen künstlerischen Anfängen war Wölzls Arbeiten eng verknüpft mit einem Aufbegehren gegen Terror, Gewalt und Unrecht in der Geschichte – vor allem der nationalsozialistischen – und Gegenwart. Nie ist dies in illustrative Schilderungen abgeglitten, sondern war und ist immer eine Auseinandersetzung damit, das Unfassbare, nicht Darstellbare in eigenen „Worten“ umzusetzen. Eine dunkle Ausstellung – ein Aufbegehren gegen eine bunte, oberflächliche Welt.

Und es geht Wölzl in der Verwendung zahlreicher Medien und Gestaltungsvarianten auch immer um die Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und Sehen, mit den Möglichkeiten der Malerei und Zeichnung, mit Abstraktion und Figuration, mit dem Verhältnis von Bild und Raum, von Zwei- und Dreidimensionalität, von Kunstwerk und BetrachterIn.  

Von seinen Arbeiten sind die großen, mehrteiligen Tableaus aus der Serie „Museum der Schatten“ so etwas wie sein Markenzeichen. Diese bestehen aus einzeln gerahmten, in überaus großer Präzision realisierten SW-Kohlezeichnungen auf Papier. Sie sind komplex in ihrer Inhaltlichkeit, ihren Bezügen und Querverweisen auf (kunst-)historische sowie zeitgenössische politische, soziale und kulturelle Phänomene.

Durch die künstliche, die Bilder in ein geometrisches, auch Distanz schaffendes System zwingende Rasterung der Tableaus wird deutlich, worum es ihm geht: Wölzl konstruiert, montiert – immer der Realität verhaftet – seine eigenen Welten, indem er Motive aus verschiedenen Kontexten miteinander konfrontiert und damit neue Zusammenhänge schafft. Meist sind es extreme Ausschnitte aus Kunstgeschichte, Geschichte, Politik, Literatur, Film, Architektur. Oder es sind Körper und Körperteile in einem nicht näher definierten Raum. Die Titel der Tableaus bleiben offen – „Situationen“, „Melancholie“, „Der Schlaf“ heißen sie, ohne dies tatsächlich zu repräsentieren. In den Bildunterschriften finden sich einige Namen von histo-rischen und zeitgenössischen Künstlerpersönlichkeiten bzw. Architekturen, die zitiert wurden. Es geht Wölzl also nicht um eine detaillierte inhaltliche Interpretation und Zuordnung der Bilder, sondern um Mehrdeutigkeit und um Impulssetzung.

Einige Motive erkennt man sofort, kann aber auch dann nur schwer die Verbindung zu den anderen herstellen. Manches verweist auf soziale Brennpunktthemen: Charlie Chaplin in dem Film 'Moderne Zeiten' auf den Maschinenterror, die Architektur des profitablen Investment-unternehmens 'Black Rock' auf die kapitalistische Marktwirtschaft, die 'Stock Tickers' auf die Macht der Börse, das Zitat der Klagemauer auf religiöse Brisanz. Es ist die große, tragische Weltgeschichte, die hier aufgerollt wird, Fetzen, Schnitte daraus – Wölzl ist Realist, aber durch das Bruchstückhafte vermittelt er ein abstraktes, offenes Bild der Wirklichkeit.  

Der Titel des Zyklus‘ der Zeichnungstableaus, „Museum der Schatten“, verweist, so der Künstler, auf den Schatten als „Projektionsbild, als ständigem Begleiter und als Teil der Erinnerung“. Es sind Schattenseiten des Lebens, die zu allen positiven Erlebnissen und Erfahr-ungen dazugehören.

Häufig bleibt die Realität auch ganz verborgen in Wölzls Arbeiten, wie in dem sechsteiligen Tableau aus Kohle-/ Ölzeichnungen auf Papier in der Galerie. Es heißt „Der Trichter“. Dieses Mal sind es nicht viele Bilder, sondern ein in mehrere Teile zergliedertes Bild. Wir sehen einen kleinen See in einem idyllischen Waldstück, bei dem es sich aber – was nur durch Hintergrundinformation klar wird – um einen Bombentrichter handelt. Die ebenfalls sechsteilige Kohlezeichnung „European Security Fencing“ unten rechts an der Stiege im Hauptraum, auf den ersten Blick ein „schönes“, abstrakt wirkendes Motiv, ist Teil eines messerscharfen (NATO-)Klingendrahts.

Oft bezieht sich Wölzl auf Texte bedeutender Literaten, wie Kafka, Beckett, Brecht, Adorno und vor allem Celan – Autoren, die sich mit sozialen Missständen, der Absurdität der menschlichen Existenz und der Unfassbarkeit dessen, wozu Menschen fähig sind, auseinandersetzten. Auch hier hat Wölzl niemals die Texte illustriert, sondern die Impulse in eigene Bilder umgesetzt. Im Jahr 2019 entstand eine – in der Galerie präsentierte – Serie von 13 Monotypien. Sie verbildlichen Paul Celans Gedicht „Engführung“ von 1958, in dem dieser den literarischen Versuch unternimmt, zwischen der Erfahrung des Holocaust als Überlebender und dem Weiterexistieren in einer immer noch gewalttätigen Gegenwart zu vermitteln. Weitere Monotypien von Wölzl („Gras“) beziehen sich auf die Grasmetapher bei Celan; bei diesem beschreiben Gräser die Landschaft der Gewalt und des Todes, den Weg der Deportation. Erst das Gehen durch das Gelände, so versteht es Celan, ermögliche das Verstehen und Verarbeitung.

1983 hat Wölzl ein Traktat verfasst; es ist in seinem Katalog „Ein Auge (offen)“ von 2011 abgedruckt. Hier hat der Künstler seine Malerei als eine des Verschwindens beschrieben: „Alles was ich sehe, mir auffällt, mir zustößt, ist bereits vergangen (...) Vergangenheit – Vergehen – Verschwinden. Was bleibt sind Spuren, ist die Erinnerung, das Auftauchen, die Erscheinung, das Auslöschen der Zeit – zeitlos (...).“ Die Zeit bzw. Zeitlosigkeit liegt auch im Titel der Ausstellung und in der fünfteiligen Arbeit „Intervall". Ebenso zeitlos ist das Schwarz, Wölzls bevorzugte Farbe – Schwarz, das alles verdeckt, verweigert, immateriell, raumlos und unbestimmt ist, aber tiefgründig. Radikale Kunst heute, so auch Adorno in seiner Ästhetischen Theorie, heißt soviel wie finstere, von der Grundfarbe Schwarz.

Nur ein zweiteiliges rotes, sinnlich-intensives Ölbild durchbricht die Dominanz des Grau und Schwarz in der Ausstellung. Auf den ersten Blick ist wenig zu sehen, beim genauen Hinsehen erkennen wir die Flügel der griechischen Siegesgöttin Nike. Das Motiv ist sichtbar, nicht verschwunden – ein Signal der Hoffnung?!  Das Bild provoziert einmal mehr die Auseinandersetzung mit Abstraktion und Figuration, Erkennen und Ungewissheit. Wölzl versteht Kunst als die Bewahrung des Sichtbaren, der Wirklichkeit vor dem Verschwinden.

Das Motiv des Auges als Spiegel der Seele, das auch häufig bei Celan auftaucht, erscheint oft bei Wölzl, etwa in dem SW-Film „Ich bin, wo mein Aug ist“. Der Satz steht am Ende seines Mitte der 1990er-Jahre entstandenen Prosastücks „Der Idiot und der Buchhalter“, ebenfalls im erwähnten Katalog abgedruckt. Das geöffnete, anblickende Auge bleibt als Halt, es charakterisiert die Zuversicht, noch nicht verschwunden zu sein. Die Augenlosigkeit, das geschlossene Auge steht als Metapher für die Unbegreifbarkeit der Endlichkeit des Seins.

In drei Objekten (Holz/Grafit), installiert auf hauchdünnen Bleiplatten, konzentriert Wölzl mit Augenzwinkern das Wesen der Welt: ein Polyeder für die Ratio, ein Maulwürfshügel für das Chaos, ein kippender Sessel für das schwankende menschliche Sein.

 

 
 

Linke Spalte

00 Ausstellungsansicht

 

01 „Der Trichter“ aus der Serie „Museum der Schatten“, 2014, Kohle, Öl/Papier, 6-teilig, je 100 x 70 cm, gesamt: 200 x 210 cm

 

02 [12. Juli 2007 Baghdad, Stock tickers, Charlie Chaplin, Camille Flammarion, Ebensee], aus der Serie Museum der Schatten, 2018, Kohle/Papier, 12-teilig, je 100 x 70 cm, gesamt 200 x 420 cm

 

03 „Melancholie [A. Dürer, Klagemauer, J.H. Füssli, J. Pollock, A. Menzel]“, aus der Serie „Museum der Schatten“, 2015, Kohle/ Papier, 12-teilig, je 100 x 70 cm, gesamt: 200 x 420 cm

 

04 Polyeder, 2019, 70 x 70 x 70 cm; Sessel, 2019, 78 x 43 x 41 cm; Maulwurf, 19 x 17 x12 cm, je: Grafit/Holz, Ton 

 

Rechte Spalte

 

05 „Ich bin wo mein Aug ist: Zu Paul Celan“, 2000, S/W-Video, 9:20 min., Loop; Kamera, Schnitt: Eva Brunner-Szabo, Medienwerkstatt Wien.

 

06 „Gras Nr. 17“, 2019, aus der Serie „Gras“, Monotypie, Öl/Papier, 68 x 50 cm

 

07 „Nike“ , 2019, 2-teilig, Öl/Holz, je 40 x 30 cm

 

08–10 Ausstellungsansichten