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WILHELM SCHERUEBL – ÜBER WASSER GEHEN

Kunsthalle Nexus, Saalfelden
 
Eröffnung: 3. Mai 2019
Dauer: 4.5.–15.6.2019 und 22.–25.8. 2019 anlässlich des Jazzfestivals in Saalfelden
 
Saaltext (Auszug der Rede zur Eröffnung), Petra Noll-H.:

Wilhelm Scheruebl beschäftigt sich seit langem mit der permanenten Transformation und den Strukturen der Natur sowie mit dem Verhältnis von künstlichen Eingriffen und natürlichen Entstehungsprozessen. Diesem Tun liegt neben dem künstlerischen Bilden der Wunsch zugrunde, Erkenntnisse zu erlangen über existentielle Fragen, Naturphänomene und über unseren Planeten Erde.Unser heutiges Zeitalter wurde im Jahr 2000 von dem niederländischen Chemiker und Atmosphärenforscher Paul Crutzen als Anthropozän bezeichnet; die Bezeichnung ist zu einem Schlüsselbegriff im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs geworden. Anthropozän (griech.: Mensch /neu) beschreibt eine geochronologische Epoche, in der die Natur sich nicht mehr allein durch evolutionäre Prozesse weiterentwickelt, sondern in der der Mensch zu einem der prägendsten Einflussfaktoren auf die Ökosysteme der Welt geworden ist. Natur ist zunehmend ein künstliches Konstrukt und der Mensch immer weniger echter Teil von ihr.

Der Zugang von Scheruebl ist ein bewusst unspektakulärer, unsentimentaler. Trotz der Tragik der Lage der Natur sind seine Arbeiten keine den Menschen anklagenden. Es geht ihm auch nicht um Natur als Gegenstand romantischer Verklärung oder naturgetreuer Abbildung. Sein Verständnis von „Naturtreue“ zeigt sich u.a. in den Bildern von der Natur durch die Natur, wie in den ausgestellten „Minusaquarellen“. Die Natur ist für ihn Lebensmittelpunkt, er lebt in unmittelbarem Kontakt mit ihr, mittendrin in einer alpinen Landschaft. Sie ist Gegenstand von Reflexion, persönlicher Erfahrungs- und Erlebnisraum, Gegenüber für Interaktion und Dialog, Ideengeberin sowie Materiallieferant für seine künstlerischen Werke. Pflanze, Licht und Wasser als Synonyme für das Lebendige dienen ihm als Arbeitsmaterial, als bildnerische Mittel. Kunst/Kultur und Natur führt Scheruebl in dem Wissen und Akzeptieren, dass beide heute untrennbar koexistieren, in multimedialen, mit Pflanzen und Naturmaterialien kombinierten Installationen zusammen. Indem er die Natur in den Museumsraum, einen künstlichen Raum, bringt, spricht er zudem die Thematik des die Natur klassifizierenden und systematisierenden Menschen an. Seine Präsentation nimmt aber im Gegensatz zum Verständnis von Naturgeschichtemuseen Abstand von repräsentativen, sogenannten wertvollen Sammelobjekten, verwendet im Gegenteil unspektaku-läre Arte-Povera- oder Naturmaterialien, die er oft auch weiterverwendet bzw. weiterentwickelt.

Als Bildhauer geht es Scheruebl primär um das Entwickeln von Form, das sich durch das Hinzufügen und Wegnehmen von Materie, das Verwenden von Abfällen aus vorausgegangener bildhauerischer Arbeit oder durch das Zusammenbauen von eigens konzipierten oder wiederverwendeten Bauelementen definiert. Entgegen des klassischen Verständnisses werden aber Zufälle und nicht steuerbare Vorgänge (wie etwa das Eigenleben von Pflanzen) integriert. Ein Objekt ist für ihn nicht Endprodukt, sondern weiter formbarer Teil eines Prozesses und auch weiter verwendbar. Seine künstlerische Arbeit basiert auf einem selbst auferlegten, prozessualen, physisch energetischen, ja rituellen Tun, mit dem er das Phänomen „Zeit“ erfahrbar und visualisierbar machen möchte. Der künstlerischer Prozess verstanden als Teil des Lebensweges.

In dem 3,80 Meter hohen Objekt Hexagon, einem erweiterbaren Modul aus verzinktem Stahl, sind lebende Zimmerpflanzen platziert. Diese wurden vom Nexus und Privatpersonen, die jeweils einen Bezug zu den Pflanzen haben, zur Verfügung gestellt. Wie in einer Art Modell kontrastieren die geometrisch-künstliche Form des Gestells und lebendige Natur, wobei es sich bei den Zimmerpflanzen um kultivierte Ersatznatur handelt. Zimmerpflanzen sind abhängig vom Menschen und dessen regelmäßiger Licht- und Wasserzufuhr, nicht nur hier während der Ausstellung, sondern als (fordender) Teil unseres Lebens. Hierbei bewahren sie aber dennoch einen Teil ihres natürlichen Eigenlebens, ent-ziehen sich auf der Basis naturbedingter Gegebenheiten teilweise dieser Kontrolle. Scheruebl setzt häufig, wenngleich auch versteckt Zahlensymbolik ein, die sich auf die menschliche – im Gegensatz zur natürlichen – Zeiteinteilung bezieht. Im Zentrum steht die Zahl 12 bzw. ihre Multiplikatoren und Teiler. Dem Hexagon liegen die Zahlen 6 (Form) und 12 (Pflanzenhalterungen) zugrunde.

Menschliche Eingriffe und deren Auswirkungen auf die Natur zeigen Scheruebls zahlreiche Versuchsreihen, in denen er Äste verschiedener Bäume mit Kabelbinder abgebunden hat, um deren Reaktionen zu untersuchen. Ihr natürliches Wachstum wurde durch diesen Fremdkörper gestört und sie fingen an zu wuchern, abzusterben, unregelmäßig weiterzuwachsen oder sie integrierten den Kabelbinder. Der Eingriff des Menschen kann die Natur aus dem Gleichgewicht bringen oder es gelingt ihr, sich zu widersetzen. Zu diesen Naturobjekten gehören jeweils Fotos, mit denen Scheruebl die Reaktion der Bäume über Jahre dokumentiert hat. Die ausgestellten Äste sind also der von Scheruebl bestimmte Endzustand der Versuchsreihe. Gleichzeitig ist diese Aktion eine Auseinandersetzung mit Zeit.

Zu den autonomen Skulpturen der Ausstellung gehört ein aus Sperrholz in Schichten gebautes Haus – eines der immer wiederkehrenden, elementaren Formen bei Scheruebl. Das Haus, gebaut aus dem Naturmaterial Holz, steht als Exempel für die menschliche Konstruktion im Gegensatz zur natürlich-lebendigen Form; ein Gehäuse, das uns schützt, ein Symbol für Kultur. Die zum Haus gehörigen und es durchdringenden Ringe aus verschraubtem Fichtenholz sind ein Synonym für den Lebenskreislauf und für die Zeit. Ein in 10 Bretter geschnittener Nussbaumstamm auf einer Metallkonstruktion und mit Metallstäben zusammengehalten, wurde durch die Fräsung eines Lochmusters perforiert – ein extremer menschlicher Eingriff, der die Bretter aus dem Bereich des Nützlichen in die Kunst transferiert hat. Dieses Objekt, die Box mit dem Titel „Geöffnet“ aus Erlenholz, die ebenfalls mit Löchern perforiert wurde, oder auch das von der Decke hängende zwölfseitige Gebilde „Small Cosmos“ sind Verweise auf die Fragilität des Daseins.

Lebenswichtigstes Element neben dem Licht ist das Wasser, dieses setzt Scheruebl in jedem Aggregatzustand ein. In den groß- und kleinformatigen Minusaquarellen ist es natürlicher Bildgestalter. Es wurden Aquarellfarben und/oder Tusche auf Papier aufgetragen und im Winter Minusgraden ausgesetzt. Die wasserhaltigen Farben froren zu Kristallen, zu Eisblumen – die Natur schaffte selbstständig Kunstwerke, poetische Landschaften, die an chinesische Tuschemalerei erinnern, Unikate.

Das Video Unschuld – über Wasser gehen in der Galerie beschäftigt sich mit Wasser in Form von Schnee. Der Künstler geht auf Skiern durch eine unberührte Schneelandschaft und wird dabei von einer Drohne gefilmt, wodurch spektakuläre Ansichten entstehen. Durch das Sonnenlicht werden Objekte wie sein Körper und Bäume auf zweidimensionale, schwarz-weiße Schattenrisse reduziert. Schattenzeichnungen entstehen: Die künstlerische Tätigkeit wird auch hier durch Naturvorgänge ersetzt.

Zudem sind weitere grafische Arbeiten ausgestellt, die z.T. die von Scheruebl favorisierten Strukturen der Löcher aufgreifen oder für die auch ungewöhnliche Malmittel wie Tee verwendet wurden. „Lichtlinien II“ ist ein Kupferdruck auf Bütten; die Arbeit zeigt eine Struktur von Geäst in Schwarz-Weiß-Optik und basiert auf einer Fotografie.

Mit den Arbeiten der Installation, die zwischen den Polen Kunst- und Naturform, Ordnung und Regel-losigkeit, Abstraktion und realem Bezug, Ratio und Emotion angesiedelt sind, bietet Scheruebl eine eigene Ordnung auf dem Weg zum Verständnis des Daseins an.


www.scheruebl.at

 
 

Bildunterschriften:

Spalte links:

01–05: Ausstellungsansichten

Spalte rechts:

06 Nussstamm, 2016, Nussbaum geschnitten, 8teilig, Metallunterkonstruktion, 220 x 160 x 80 cm

07 –08: Detailansichten aus 06

09: Ausstellungsansicht, Videoprojektion: Unschuld – Über Wasser gehen, 2019, Video, ca. 15 min., geloopt

10: Geöffnet, 2014–2019, Erlenholz, perforiert, Weißbetonplatte, 72 x 72 x 75 cm