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YOU WANT TRUTH OR BEAUTY?

KUNSTHALLE im Kunsthaus Nexus

Ausgewählte Fotoarbeiten aus der Sammlung SpallArt, Salzburg

Eröffnung: 19. Mai 2017
Dauer: 20.5.–1.7.2017 und 24.–27.8.2017
 
 
Rede zur Eröffnung am 19. Mai 2017, Petra Noll-H.:

Die Gruppenausstellung „You Want Truth or Beauty?“ zeigt ausgewählte Fotoarbeiten von 24 europäischen KünstlerInnen aus der Sammlung SpallArt in Salzburg sowie zwei Videos von den beiden KünstlerInnen Liddy Scheffknecht sowie Michael Michlmayr. Die Ausstellung beschäftigt sich mit dem Spannungsverhältnis von Wahrheit und Schönheit. Schon aufgrund der Tatsache, dass beide Begriffe relativ sind, ist die Frage absurd: Es scheint, als könne oder müsse man wählen zwischen Wahrheit oder Schönheit, als würde das eine das andere zwingend ausschließen. Die zum größten Teil in aufwändigen Verfahren hergestellten Fotografien und Filme irritieren unsere Wahrnehmung. Was wir als Wahrheit empfinden, kann schnell einmal ein Fake sein, der aber wiederum eine Wahrheit in sich tragen kann. Und auch wo wir Schönes entdecken, steckt vielfach ein Bruch. Darstellungen romantischer, malerischer Landschaften, schöner Blumendarstellungen, einer schönen Frau, ästhetischer Architekturen und sinnlich-poetischer Situationen sind tatsächlich durch Montagen oder Bearbeitungen entstanden, beruhen auf eigens gebauten Modellen oder Inszenierungen, auf verfremdenden Blickwinkeln oder sie erreichen durch künstliche Beleuchtung einen hyperrealen Zustand.

Robert F. Hammerstiel aus Wien hat – Bezug nehmend auf die manipulierenden Darstellungsmechanismen und das Glücksversprechen der Werbe- und Konsumindustrie – in stundenlangen Prozessen Früchte und Fleisch als verlockend schöne, appetitliche Stillleben inszeniert. Dürfen wir ihnen trauen? Tatsächlich stellt sich alles – wie auch die Thuje mit dem Titel „Trust me“ – bei genauem Hinsehen als realitätsgetreu nachgebildete Plastik-Massenware bzw. Ersatznatur heraus, als Fakes. Sind sie dennoch schön, auch wenn sie unwahr sind? –Ein häufiges Motiv in dieser Ausstellung ist die – inszenierte – Blume, grundsätzlich ein klassisches Sinnbild des Schönen. Hier aber wird das Bild der Blume vielfach gebrochen – durch Zerstörung, Fragmentarisierung oder Verfremdung. Die zerspringende Blumenvase von Martin Klimas (Düsseldorf) wurde mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen. Er hat in einem präzise konstruierten Set eine Porzellan-Blumenvase an der Basis mit Stahlkugeln beschossen und diese im Moment vor ihrem gänzlichen Verfall mit der Spezialkamera, die beim Geräusch des Aufpralls ausgelöst wurde, festgehalten. Dargestellt ist ein Prozess zwischen Ganzheit und Zerfall, Ruhe und Bewegung in einem einzigen Foto. Kann Zerstörung schön sein? – Ein andermal werden Pflanzen und Tiere, eine wissenschaftliche Präsentation ironisch brechend, von der Finnin Sanna Kannisto (Helsinki) in Szene gesetzt. Sie sind auf Studienreisen entstanden; Tiere und Pflanzen wurden in tragbaren „Field Studios“ untersucht, zum Teil auf Gestängen inszeniert und vor weißem Hintergrund fotografiert. Sind diese Blumen dennoch schön? – Robert Zahornicky (Pressbaum bei Wien) zeigt Arbeiten aus der Serie „Wilderness“ mit im klassischen Verständnis nicht besonders schönen Pflanzen und Erdballen. Sie wirken sehr echt, sind aber tatsächlich konstruiert und manipuliert. Dabei spielt er mit der Uneindeutigkeit. Er kombiniert unterschiedlichste Pflanzen, Pflanzenteile und Wurzelwerk zu neuen Pflanzen und stellt sie wiederum kompletten Pflanzen gegenüber. Der Künstler möchte, dass man sich die Situation im Denken erarbeitet. Und wir fragen uns wieder – sind die Pflanzen schön, obwohl sie – zum Teil – Fakes sind?

Irene Andessner (geb. in Salzburg, lebt Wien) ist bekannt für ihre radikalen Selbstinszenierungen. Sie schlüpft in die Rolle anderer Personen und das nicht nur in Bezug auf Outfit und Maske, sondern oft auch in der Übernahme fremder Identitäten. In der Serie „Donne Illustre“, aus der dieser Leuchtkasten stammt, wiederbelebt sie historische starke, kluge und kämpferische Frauen, hier die erste Frauenrechtlerin der Welt, Moderata Fonte, und schafft ein Porträt zwischen Fiktion und Wirklichkeit, das durch seine leuchtende Schönheit besticht und dennoch feministische Aussagen tätigt. – Auch der bulgarische, in Wien lebende Künstler Michail Michailov hat sich in der Serie „Chamäleon“ selbst inszeniert. In dem hier ausge-stellten Bild zeigt er sich in einer sozial prekären Situation, in einer Hütte, die innen mit Schnee bedeckt ist. Er greift damit soziokulturelle Probleme auf – eine wahre, da der Realität nachempfundene und gleichsam unwahre, da nur inszenierte Situation. Kann es hier Schönheit geben? – Werner Schrödl (Wien) zeigt Fotos von zwei aufwändigen Aktionen: zum einen die temporäre, poetische Installation eines Riesenballons im Südbahnhof Wien, zum anderen eine auf dem skurrilen Konzept „Neun Wege, um ins Wasser zu gelangen“ basierende Arbeit; hier hängt ein Mensch weit oben an einer Bootsstange und wird bald aufgrund des Übergewichts kentern. Schrödl öffnet den Blick für eine weniger rational gesteuerte, vielmehr poetische Sichtweise von Welt.

Einige der KünstlerInnen bauen in aufwändigen, oft monatelang dauernden Verfahren Modelle, wie beispielsweise Sonja Braas (geb. in Deutschland, lebt in New York), die hier eine Meereslandschaft aus einer umfangreichen Serie präsentiert. Was wir als echte romantisch-schöne Stimmung sehen, ist tatsächlich ein allerdings verblüffend realitätsnaher Fake – ein Beweis, wie brüchig unsere Wahrnehmung ist und wie unser Erleben von Natur von Stereotypen geprägt ist. – Daniel Leidenfrost (geb. in Oberndorf bei Salzburg, lebt in Wien) zeigt den Leuchtkasten „Hotel“. Wie bei Braas basieren seine ästhetisch-schönen Fotos von nächtlichen Fantasie-Architekturen auf gebauten, beleuchteten Modellen und stellen die Frage, wie wir ein Gefühl von Romantik und schöner Stimmung entwickeln können, wenn doch nur „alles aus Karton gebaut ist“. – Dies gilt auch für Bernd Oppl (geb. in Innsbruck, lebt in Wien). Er hat für seine Serie „Delay Room“ minutiös Modelle ästhetisch edler architektonischer Situationen gebaut und fotografiert – ein Spiel mit Realität und Fiktion. Lois Renner (geb. in Salzburg, lebt in Wien) ist überregional bekannt geworden durch seine auf – mit Requisiten ausgestatteten – Modellen beruhenden großformatigen Fotografien; gerne nimmt er dabei seine Ateliersituation, wie hier „Von Oben (Die Angst)“, 1998. Die großformatigen Arbeiten, die, obwohl sie eine chaotische räumliche Situation zeigen, doch wohlkomponiert sind, sind ein Spiel mit Irritation und Täuschung, eine Inszenierung für das Auge des Be-trachters. Die Schönheit im Chaos?

Julie Monaco (Wien) zeigt eine dramatisch-fantastische, cinemascopehafte Meereslandschaft. Sie wühlt auf ob der überwältigenden Kraft der Natur. Aber es stimmt etwas nicht, obwohl alles täuschend echt wirkt. Diese Landschaften basieren auf der Transformierung von computerspezifischer Sprache, die mit Hilfe fraktaler Algorithmen und Rendering in visuell fassbare Landschaftsoberflächen umgewandelt wurde. Das erkennende Sehen scheitert ein weiteres Mal. Was wird aus der schönen Landschaft? – Dan Holdsworth (Großbritannien) hat durch digitale Bearbeitung alle topografisch prägenden Elemente aus Landschaftsfotos, wie hier von Yosemite (Grand Canyon), entfernt. Was man nicht sieht ist, dass es sich um ideologisch und politisch belastete Landschaften des Amerikanischen Westens handelt. Malerische Ästhetik oder erhabene Romantik sind ebenso getilgt wie künstliche Zutaten des Menschen. Sind sie nun durch die Abstraktion transzendental schön oder eben nicht, da sie einen unwahren Zustand zeigen? – Hubert Blanz (geb. in Deutschland, lebt in Wien) zeigt die Arbeit „Feldforschung 06“, eine frei auf Assoziationen setzende Arbeit. Von weitem zeigt sich ein ästhetisch-schönes abstraktes Muster – wir glauben, Berge, Täler, Seen und Flüsse zu erkennen; in Nahsicht sind es Moose, Blätter und Flechten, die Blanz als Vorlage für die großformatigen, am Computer konstruierten Collagen dienten. – Michael Michlmayr (Wien) zeigt das Video „Blue Sky“. Es ist ebenso schön wie nicht wahr. Es basiert auf einer realen, von einem Standpunkt aus gefilmten Situation von Flugzeugen, die auf dem tiefblauen Himmel Kondensstreifen bilden. Obwohl dies umweltschädigend ist, sieht es wirklich schön aus. Michlmayr potenziert die ursprüngliche Situation durch digitales Vervielfachen und Aneinanderreihen, so dass eine noch schöneres Bild entsteht. – Stéphane Couturier (Paris) zeigt fotografische Tableaus von Fassaden aus Algier. Durch die Verwendung dokumentarischen Materials wird trotz der digitalen Montage – Wiederholungen und Überlagerungen – ein realistischer Bezug zur Situation an diesem speziellen Ort geschaffen. Der ästhetische Reiz der Arbeiten resultiert aus einem sicheren Gefühl für Komposition, Bildrhythmus, Farb- und Formeinsatz, das die Werke ins Ornamentale führt. – Von Liddy Scheffknecht (Wien), die im Nexus bereits eine Einzelausstellung präsentiert hat, wird das Video „wipeout“ gezeigt, eine poetische Sinnestäuschung, die die Wirklichkeitsauffassung erweitert. Zu sehen ist, wie aus einer mit einem profanen Putzschwamm wischenden Hand ein leuchtender, unwirklich-schöner Streifen entsteht.

Caroline Heider (geb. München, lebt Wien) zeigt zwei Pigmentdrucke mit dem Titel „Oh, ein Phänomen“, die auf manuellen Konstruktionen basieren. Sie faltet fotografisches Material und entfaltet es wieder. Stimmungsvolle Licht- und Wolkenformationen werden durch die Knicke in ihrer Harmonie zunächst gestört. Durch den Eingriff erreichen sie aber auch einen neuen Blick auf das Motiv und eine neue Spannung. Schöne Bilder trotz Fragmentarisierung? Das fragt man sich auch bei Klaus Pamminger (Wien). Er zeigt das Triptychon „Mackey versus gone with the wind“, ebenfalls manuell hergestellte, vielfach verschachtelte, verschränkte und über den Rand hinausgehende Collagen aus zerschnittenen Fotos. Die Unikate zeigen fragmentarische Raumsituationen und Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen und Zeiten. Trotz der Verwirrung der räumlichen Ebenen entstanden ästhetisch schöne Resultate.

Rudolf Strobl (geb. in Salzburg, in Saalfelden aufgewachsen), zeigt einen Leuchtkasten aus der Serie „grünschimmernd“. Er experimentiert hier mit künstlichem Licht und inwieweit dieses Natur zu etwas Unnatürlichem verändert. Entstanden ist ein wunderschönes, leuchtendes Bild, das den Wahrheitsgehalt fotografischer Bilder in Frage stellt. Giovanni Castell (geb. in München, lebt in Hamburg) zeigt aus dem Dunkel durch dramatische Beleuchtung hervorgehobene Blumen. Sie scheinen fast zu glühen und bekommen eine besondere Präsenz und Schönheit. Das ist aber auch gleichzeitig eine Verfremdung, die die Motive ins Unwirkliche führt.

Drei KünstlerInnen haben Bilder aus der Realität genommen. Dieter Huber (Salzburg, Wien) zeigt ein Bild aus der sozial konnetierten Serie „Waste“ – ein Haufen Gemüseabfall, der – ohne dass dies eindeutig ersichtlich ist – auf die Verschwendung unserer Konsumgesellschaft hinweist. Ist dieses „Stillleben“ schön, weil es bildlich wahr ist? Oder eben nicht, weil es etwas „Hässliches“ zeigt? Schönheit und Hässlichkeit liegen nah beieinander. Jutta Strohmaier (Wien) zeigt in ihrem Stillleben „Panorama“ nicht die Pracht der Rosenblüte, sondern nur die unteren Teile von Rosenstängeln im Wasser mit Durchblick auf eine Landschaft dahinter. Trotz des Fokus’ auf einen eher unrepräsentativen Teil der Blumen, ist dies ein Bild von großer Poesie, Schönheit und Wahrheit. – Der deutsche Fotograf Thomas Struth (Düsseldorf) präsentiert Arbeiten aus der Mappe „Paradies“, kleinformatige Prints einer extrem großformatigen Serie von Urwaldmotiven. Sie führen eine vom Menschen unberührte Natur vor Augen, die sich scheinbar jeglichen Gestaltungsprinzipien entzieht. Eine dichte Vegetationsfülle, die nur geringe Durchblicke in den Himmel oder auf den Erdboden erlaubt, türmt sich vor dem Betrachter auf. Und dennoch liegt in diesem Chaos eine große Schönheit.

 
 
Bildunterschriften

1_Robert F. Hammerstiel, aus: Made by Nature – Made in China, 2004–06, C-Print auf Aluminium, 100 x 120 cm, © Hammerstiel, Bildrecht Wien
2_Giovanni Castell, Tulpomania 1, 2008, Vintage, C-Print auf Dibond, Diasec, 80 x 100 cm, © Castell
3_Sanna Kannisto, Oporornis formosus, 2010, pigmentbasierter Tintenstrahldruck auf Aluminium, 74 x 94 cm, © Kannisto
4_Daniel Leidenfrost, Hotel, 2012, Leuchtkasten, C-Print (Lambda), Holz, Aluminium, Led-Lampen, 31 x 41 cm, © Leidenfrost
5_Stéphane Couturier, Alger, Babel-Qued #1“, aus: Melting Point, 2015, C-Print auf Aluminium, 100 x 121 cm, © Couturier, Courtesy: Galerie Kornfeld, Berlin
6–11 Ausstellungsansichten: Christoph Fuchs, 2017