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GESCHICHTE–ZEIT–RAUM

SchlossÖkonomie Eggenfelden-Gern, Innen- und Außenbereich (unrenoviert)
84307 Eggenfelden-Gern/DE
28.6.–27.7.1997
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
KünstlerInnen: Sepp Auer/AT, Verena von Gagern und Otto Steidle/DE, Tallo Herhaus/DE, Rudolf Huber-Wilkoff/DE, Stephan Kern/DE, Toni Kirchmair/DE, Franziska Lankes/DE, Susanne Nietmann/DE, Karl Schleinkofer/DE, Rosali Schweizer/DE, Sebi Seebauer/DE, Heiner Seipolt/DE, Michael Wegscheider/DE und Toni Wirthmüller/DE
Vernissagenrede am 27.6.1997, Petra Noll:

Zeitgenössische Kunstprojekte für eine bestimmte Zeit, an und für einen bestimmten Ort, die historisch geprägte Gerner SchlossÖkonomie sind entstanden. Ich habe 15 konzeptionell arbeitende Künstlerinnen aus Deutschland und Österreich eingeladen, sich mit diesem Ort auseinanderzusetzen und an eigens dafür ausgewählten Plätzen installative Arbeiten zu schaffen. Den Reiz der Ausstellung macht aus, dass sie sich nicht auf einen vorgefertigten Ausstellungsraum bezieht; vielmehr wird hier ein ganzes Gelände besetzt, die unrenovierten Innenräume und der Außenbereich der Gerner SchlossÖkonomie mit seinen Höfen, Fassaden und Nischen. Auf diesem Platz hatten die Künstler nicht nur fast unbeschränkte Arbeitsmöglichkeiten, sondern auch genügend Raum für großformatige Kunstwerke an teilweise ungewöhnlichen Orten. Die bauliche Vorgabe war kein leichtes Gegenüber, der Ort ist eine Idylle mit großer Dominanz. Für einige der Künstler war der Ausgangspunkt die Beschäftigung mit Geschichte – subjektive, lokalbezogene, überregionale oder die philosophische Hinterfragung des Begriffs. Manche Künstler haben durch vehemente oder dezente Eingriffe dem Raum als Ort eine andere Wirkung gegeben, erweiterten ihn durch zeitliche Dimensionen oder trugen der psychologischen sowie philosophischen Bedeutung von Zeit Rechnung. In den künstlerischen Arbeiten, die Zeit und Raum überspringen, drückt sich aus, wie schwankend diese beiden Elementarbegriffe geworden sind.
Die Künstler und ihr Ort: Sepp Auer aus St. Peter/AT hat in der Vorhalle der Kirche St. Georg zwei bearbeitete Grabplatten installiert, eine ironisch-geistvolle Auseinandersetzung mit Geschichte, Erinnerung, unserer Form von Gedenken, Zeit und Vergänglichkeit an einem Ort, in dem die kostbaren Grabplatten-und denkmäler des Geschlechts der Closen aufbewahrt sind. Verena von Gagern und Otto Steidle, Kirchdorf/DE, zeigen die Installation "Einen Ort in Ruhe lassen" am Gotischen Stadel außen mit Bildern aus dem Film "The House was old" von Verena von Gagern im Turm und einem Eingriff am Gebäude von Otto Steidle, so flüchtig wie Graffiti – eine Fotografin und ein Architekt antworten miteinander auf den Ort Gern und reagieren dabei aufeinander in Betrachtung ihrer dort auftauchenden persönlichen Geschichte und Arbeitsweise.
Tallo Herhaus aus München ist mit einer Wandinszenierung mit Kartonfiguren, narrativen Arbeiten zum Thema "Zeit oder das Maß der Zeit" in der Remise vertreten. Rudolf Huber-Wilkoff  (Simbach Inn) hat Arbeiten an drei Fassaden installiert (Brauereifassade gegenüber der Remise, Gebäude neben RossStall und Fassade am Müllplatz). Hierbei handelt es sich um Schriftfragmente im Übergang von grafischem Bild und sinnhaften Text; weiterhin zeigt er sich auflösende architektonische Elemente die auf die Vergänglichkeit von Architektur Bezug nehmen. Der Bildhauer Stephan Kern (Reut und München) hat mit großformatigen Eisengussskulpturen die funktional-nüchterne Remise und den davorliegenden Hof dominant besetzt. Er platziert Architekturzitate wie ein Säulenelement, Gebäudeteile, usw., aber nur als Andeutungen, so daß das Vertraute fremd wird und irritiert.
Toni Kirchmair, der in der Nähe von Landshut lebt, zeigt im 2. OG des Turmes zwei ästhetisch präsentierte Pappelholzobjekte, streng reduzierte Hohlkörper, empfindlich durch die nichtbehandelten Oberflächen und trotz ihrer Größe außerdordentlich leicht. Für diese Skulpturen wurden schützende Hüllen aus Segeltuch gefertigt. Franziska Lankes (Hebertsfelden) zeigt eine konzeptionelle Arbeit, eine 30 Meter lange durchsichtige Plane vom RossStall bis zur Weberei, eine Auseinandersetzung mit der sozialen Geschichte von Gern. Zitate aus dem Leben der ehemaligen Bewohner von Gern sollen durch Beiträge von Ausstellungsbesuchern ergänzt werden. Susanne Nietmann (Straubing) hat am Turm außen ein rotierende Scheibe mit einem dreibeinigen Sonnenrad (griech.) angebracht. Die Installation, zu der auch drei Zeichnungen von Hunden gehören, heißt "Triskelion – Sieg und Fortschritt". Das Rad der Zeit ist durch nichts aufzuhalten, Leben und Natur sind ihr unterworfen, Maschinen und Gebäudesind dem Verfall preisgegeben. Karl Schleinkofer aus Passau zeigt im Erdgeschoß des Turmes seine raum- und zeitlosen schwarzen Bilder. Sie bezeichnen einen persönlichen Ort, sind das Resultat intensiver philosophischer Auseinandersetzungen des Künstlers, konsequenter Beschäftigung mit den Möglichkeiten von Malerei sowie von Gedanken über die Definition von Raum und die damit verbundene Wahrnehmung. Sie werfen die Frage nach der Ortsbezogenheit von Kunst ganz allgemein auf. Rosali Schweizer aus München hat an die Außenfassade der Brauerei eine Fahne bzw. ein farbiges Fahnenensemble an Bambusstangen gehängt, es ist ein "Bild für den Himmel" in den Farben Grün, Rot, Gelb, Weiß und Blau, in Anlehnung an die chinesische Mythologie Ausdruck für Phantasie, Liebe, Klarheit, Mut und Gelassenheit. Das bewegte Bild soll die Lust, das Leben zu spüren, wecken. Sebi Seebauer (Wittibreut) zeigt im RossStall bzw. an der Fassade der Brauerei Fotoarbeiten und ein Fundstück zum Thema Vergänglichkeit der Existenz und Wandel der Zeit. Mit einem sogenannten "loco-regionalen" Motiv, der fotografischen Wiedergabe einer Grabplatte aus der Kirchenmauer mit der Darstellung eines Engleins mit Zeituhr und Totenschädel, nimmt er außerdem direkten Bezug zu Gern. Heiner Seipolt wollte sich mit der Fotosequenz "Die Weltgeschichte ist das Weltgericht" an der Ausstellung beteiligen, die vom inneren über den äußeren Hof bis in einen Brauereiraum führen sollte. Die unvollendete Arbeit ist in der Brauerei dokumentiert. Dargestellt sind menschliche Beine unterschiedlicher Altersgruppen, eine Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit von Zeit bzw. mit der (Welt- und subjektiven) Geschichte und dem unausweichlichen Schicksalsweg des Menschen von der Geburt bis zum Tod. Michael Wegscheider (München) arbeitet bevorzugt mit Stoffobjekten. Er zeigt in der Remise die Arbeit "Triumph des Willens", Stoffdrucke auf Zwangsjacken. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht das Zitat aus Filmen, Fotografie und Texten. Die Zitate werden mit fotografischen sowie kopier-und drucktechnischen Mitteln bearbeitet und dann mit verschiedenen Materialien zu Objekten montiert Toni Wirthmüller aus Berlin (Turm, EG) arbeitet grundsätzlich ortsbezogen. Er zeigt eine Rauminstallation mit kleinformatigen Siebdruckarbeiten auf der Basis von lokalen Fotomotiven aus der Ökonomie Gern. Wirthmüller hat dieser Bilderwelt Ausschitte bzw. Fragmente, Momentaufnahmen aus der vom Menschen geschaffenen Umwelt, entnommen und neu inszeniert.
Konzert: Albert Dambeck, Kontrabassist und Komponist Neuer Musik, Passau, im RossStall, 11.7.1997 

 
 
1) Sepp Auer
2) Verena von Gagern und Otto Steidle
3) Tallo Herhaus
4) Rudolf Huber-Wilkoff
5) Rudolf Huber-Wilkoff
6) Stephan Kern
7) Toni Kirchmair
8) Franziska Lankes
9) Susanne Nietmann
10) Karl Schleinkofer
11) Rosali Schweizer
12) Heiner Seipolt
13) Michael Wegscheider
14) Sebi Seebauer