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Trespassing on Nature

KünstlerInnen: Joan Lobis Brown, Regula Dettwiler, Robert F. Hammerstiel, PRINZpod
Hotel Altstadt Vienna, Fassade (Bild: PRINZpod) und Galerieräume
Kirchengasse 41, 1070 Wien;

Eröffnung: Samstag, 5. März 2022, 19.00 Uhr

Einführende Worte: Petra Noll-Hammerstiel, Kuratorin

Vortrag: Donnerstag, 24.3., 17.30 Uhr: Maria Auböck, Landschaftsarchitektin, Wien: Natural Invasions. Fragestellungen zwischen Landnahme, ökologischen Verwerfungen und künstlerischen Positionen. Eintritt frei.

Im Rahmen des Fotofestivals FOTO WIEN 2022

 

 
Künstler:innen: Joan Lobis Brown, Regula Dettwiler, Robert F. Hammerstiel, PRINZpod
 
Saaltext (Rede): Petra Noll-Hammerstiel

Die Ausstellung Trespassing on Nature (Hausfriedens- bzw. Landsfriedensbruch) findet im Rahmen des Fotofestivals FOTO WIEN statt. Die Arbeiten der ausstellenden Künstlerinnen und Künstler thematisieren die Bedrohung der Natur durch die Manipulation der Menschen: die Umweltsünden, die „Verkünstelung“ der Natur, die Aneignung von Landschaften für naturfremde Zwecke. Sie zeigen aber auch die Sehnsüchte der Menschen nach einer heilen Welt und idyll-ischen Natur. Die Künstler:innen suchen und finden Orte, intervenieren, inszenieren, konstruieren, verfremden sie. Die künstlerischen Arbeiten passen zum Thema von FOTO WIEN – Rethinking Nature / Rethinking Landscape –, mit dem auf das nötige Umdenken in Bezug auf unseren Umgang mit der Natur bzw. mit der Landschaft verwiesen wird.

Das Künstlerpaar PRINZpod mit Brigitte Prinzgau und Wolfgang Podgorschek untersucht in unter-schiedlichsten Medien ironisch-spielerisch das Verhältnis von Natur und Kultur, Architektur und Raum, Mensch und Welt. Ihrem künstlerischen Tun liegt das Sondieren, die topologische Untersuchung natürlicher und kultureller Räume zugrunde, auf die sie reagieren, verfremdend eingreifen und auf zivilisatorische Sünden verweisen. In ihren Arbeiten dieser Ausstellung geht es in erster Linie um die Vermüllung und Verschmutzung von Städten und Landschaften. Das an der Fassade des Hotels montierte, 8 x 6 Meter große Bild Komplexe Verhältnisse zeigt im unteren Teil eine Müllhalde in Chongqing/ China, die von grünen Netzen überspannt ist; diese sollen Menschen davon abzuhalten, nach Habseligkeiten zu suchen. Eine Müllhalde – verstanden als zivilisatorische Landschaft, ein Ort, an dem Natur, Mensch und Technik und deren Hinterlassenschaften eine Verbindung eingehen. Die Müllhalde als Resultat eines unmäßigen Konsumwahns, aber auch ein Ort, der vielen Menschen das Überleben sichert. Aus dieser Serie gibt es noch einige kleinere Arbeiten in der Ausstellung, die Details von dieser Müllhalde zeigen. In ihrer formalen Ästhetik stehen sie in starkem Kontrast zum Inhalt. Wie ein schönes Kleid wickelt sich in der Arbeit V-Schnitt ein Netz um einen Baum; es dient auch dazu, die Sünden der Menschheit zu verbergen. Mensch oder Erde? fragt das Künstlerpaar provokant in einer Arbeit, wobei doch nur ein Miteinander die Lösung ist. – Der obere Teil des erwähnten Fassadenbilds weist durch das integrierte Objektiv auf das Medium Fotografie, auf das Sehen an sich, aber es ist auch der eindringliche Blick auf die Menschen und ihre ökologischen Sünden. In zwei mit eigenen Eingriffen collagierten Zeitungsartikeln von 2007 geht es zum einen um eine Fluchtsituation, zum anderen um eine besonders dramatische Vermüllung: Der Titel heißt übersetzt: Die vom Plastik Verstoßenen: Eine chinesische Kleinstadt, in der fast nur noch Alte leben, ist extrem zugemüllt, da sich hier niemand für diese Menschen, die wiederum von diesem Abfall leben, interessiert. – In einem architektonischen Objekt wird das mit Zikadenlauten unterlegte Video Soustopie (2016) gezeigt. Der von PRINZpod kreierte Begriff „Soustopie“ meint eine Utopie in Richtung unten, eine Erforschung mit unbekanntem Ausgang in die Tiefe. In der Baustelle in Chongqing wird Tag und Nacht gebaggert, ein Hinweis auf die Sünden der Immobilienbranche dieser Millionenstadt; ein Hinweis auch auf die Grobheit menschlicher Eingriffe in natürliche Lebensräume.

Regula Dettwiler beschäftigt sich schon sehr lange mit Konstruktion, Manipulation und Simulation von Natur. Menschen gestalten Natur nach ihren Vorstellungen, ahmen Pflanzen in Plastik nach, weil diese pflegeleicht sind und nie verblühen, verkünsteln, verzieren und dekorieren. Regula Dettwiler entwickelt Installationen und Objekte mit echten und unechten Pflanzen, macht Fotos, Fotogramme und Zeichnungen. Als ironischer Kommentar zum menschlichen Hang, alles zu verzieren, hat sie Gummibäume, den massenproduzierten Klassiker der Wohnzimmerkultur der 1960er-Jahre, mit Spitzenbordüren umgeben. Die beiden Pflanzen, Porträts genannt, stehen in den Fensternischen auf Sesseln – sozusagen auf Augenhöhe mit sitzenden Menschen. Die verwendete traditionelle Handarbeitstechnik der Spitzenbordüre potentiert einmal mehr die menschliche Dekorationslust. Auf den Wandflächen zwischen den Fenstern sind weitere umhäkelte Pflanzen als Fotos präsentiert. Auch das Foto mit dem Titel Immer mit Plastik- und Seidenblumen aus dem Grabschmuck-Abfall des Zentralfriedhofs weist in diese Richtung. Hierfür hat Dettwiler 30 Einzelbilder von Blumen fotografiert und zusammengebaut – eine Vielzahl Blumen, wie sie in der Natur aufgrund unterschiedlicher Blütezeiten nie zusammenkommen könnten. Nur bei näherem Hinsehen sehen wir, dass sie künstlich sind und wir wissen: sie haben nie geduftet, sie sind nur Massenware. Aber, so sagt es auch der Titel des Bildes, Immer, sie sind unvergänglich. Regula Dettwiler verwendet oft Arbeitsweisen der Botanik, wobei sie ironischerweise auch Plastikblumen „anlytisch-wissenschaftlich“ in ihre Bestandteile zerlegt und museal aufbereitet. In diesem Zusammenhang zeigt sie hier eine neue Serie von Cyanotypien, die auf die Fragilität der Natur verweisen. Hierfür wurde echtes Pflanzenmaterial dekonstruiert und zu neuen Blattformen zusammengesetzt, die an Umrisse von Spiegeln erinnern. Wissenschaftsgeschichtlich nimmt sie Bezug auf die britische Botanikerin und Illustratorin Anna Atkins. Diese hatte Anfang des 19. Jahrhunderts ein visuell-enzyklopädisches Album über Algen herausgebracht, das ausschließlich mit Hilfe eines fotografischen Verfahrens – mit dem Blaudruck, der Cyanotypie – hergestellt wurde. Es war das erste Buch der Wissenschaft in der Art.

Robert F. Hammerstiel arbeitet in den Medien Foto, Video und Installation. In seiner aktuellen Foto-serie Dark Picnic eignet er sich Landschaften künstlerisch an. Er verwendet sie als Hintergrund für nächtliche, künstlich beleuchtete Inszenierungen und Beziehungsräume von Menschen. Dabei kreiert er Stimmungen des Ungewissen. Die Szenarien sind rätselhaft; was geschehen ist, bleibt uneindeutig. Die Fotos stammen aus der Werkgruppe Akatalepsia – in der Philosophie die Unmöglichkeit, das Wesen der Dinge und Situationen zu begreifen. Dieser Zustand der Menschen, das Sisyphushafte der Existenz, ihre Ausgesetztheit in einer schwer begreifbaren Welt sowie ihr Rückzug in Ersatzwelten prägen zahlreiche Arbeiten des Künstlers. In Dark Picnic fungiert die Landschaft als düster-undurchsichtiges Ambiente. Dagegen ist auf einem Foto der vierteiligen Serie Make yourself at Home (fühl dich ganz wie zu Hause) ein in Schönwettersituation fotografiertes privates Garten- bzw. Freizeitareal mit Spielgerät zu sehen. Es wirkt so künstlich, dass man denken könnte, es sei digital konstruiert worden. An allen vier Seiten ist es von drei Meter hohen, blickdichten Thujenhecken umgeben, die das liebevoll gestaltete Areal besonders extrem von der realen Umgebung abschotten, gleichermaßen Sicherheit wie auch Isolation. – Ein zu der Serie gehörendes Video potentiert das Gefühl der Bedrohung und Eintönigkeit: Es zeigt eine schier unendliche, langsame Kamerafahrt entlang der Hecken. Die paradiesische Ersatzwelt ist einerseits Rückzugs- und Schutzort, aber andererseits nur konstruierte Idylle mit massenproduzierter, standardisierter Natur und ebensolchen Gegenständen, aber dennoch ein Haltegriff. Die Fahrt ist begleitet von der Arie „Erbarme dich!“ aus der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach; sie unterstreicht die Sehnsucht der Menschen nach Erlösung. – Das Video Warum bin ich nicht überrascht? visualisiert das Sisyphushafte des menschlichen Tuns. Immer wieder steigt eine Frau an der gleichen Stelle ins Wasser ihres privaten kleinen Swimmingpools, immer wieder schwimmt sie aufs Neue gegen die Gegenstromanlage, um die existenztragende Illusion von Glück und Weiterkommen aufrecht zu erhalten. Vergeblich bleibt die Sehnsucht, ans "Ziel" zu gelangen.

Die Amerikanerin Joan Lobis Brown zeigt großformatige Fotografien der Serie Phantasmagorical; diese versteht sie als Traumlandschaften, die die Sehnsucht des Menschen nach einer heilen Umwelt ausdrücken. Die Bilder sind nicht bearbeitet, sondern es handelt sich um Fotografien der jeweiligen Situation; die Überlappungen geschehen durch die Spiegelungen. Brown hat eine Welt geschaffen, in der die Realität von der Vorstellungskraft eingeholt wird, alles nimmt neue Formen und Dimensionen an. Die Grenze zwischen den Objekten im Haus und der Flora und Fauna im Garten ist aufgrund der Spiegelungen verschwommen; somit fliegen beispielsweise auch Vögel im Innenraum herum. Es sind aber nicht nur idyllische Bilder von Wunschräumen und -Landschaften, sondern sie sind durch die Verschiebungen der räumlichen Ordnung auch ein Verweis darauf, wie heftig Menschen in ihre Umwelt eingreifen und eben diese Wünsche selbst zerstören. Zudem können die Arbeiten metaphorisch betrachtet werden; sie spielen an auf die Spaltung zwischen dem, was die Menschen im Inneren fühlen, und der Maske, die sie im täglichen Leben aufsetzen.                                                               

Weitere Informationen über die Künstler:innen: www.prinzpod.at / www.hammerstiel.net / www.reguladettwiler.info / www.joanlobisbrown.com

 

 

Bildunterschriften (alle Fotos: Copyright: Künstler:innen und (außer Brown) Bildrecht, Wien

li. Spalte, von ob. nach unt.:

* PRINZpod, Komplexe Verhältnisse, 2022, Print auf Mesh/Netzvinyl-Plane (Fassade Hotel Altstadt Vienna), 8 x 6 m

* Außentür mit Plakat Ausstellung und FOTO WIEN

* Ausstellungsansicht, li.: Joan Lobis Brown, aus: Phantasmagorical, Fine Art-Print, 180 x 270 cm (zwei von drei) / Mitte: PRINZpod, li.: Vater Natur, 2022, C-Print, Collage, 125 x 105 x 4,5 cm; 2. v. li.: V-Schnitt, 2022, C-Print auf Reispapier, 78 x 60 cm; 3. v. li.: Ganz Ohne TiTel, 2021/2022, C-Print, Collage, 125 x 105 x 10 cm; re.: Objekt mit Digitalstation: Zwischentransversala & Soustopie, aus: Komplementär- und Infiltrationsarchitekturen, 2017/2022, 105 x 40 x 30 cm, integriertes Video: Soustopie, 2016, 6:33 Min., Ton / re.: Regula Dettwiler, Porträt Nr. 1, 2004, Inkjet-Print,  61 x 49 cm

* Ausstellungsansicht (ohne Brown)

* PRINZpod, Mensch oder Erde? 2021, C-Print, 62 x 62 x 3 cm

* Regula Dettwiler, Immer, 2022, Inkjet-Print, 120 x 110 cm / Prospekttisch

re. Spalte, von ob. nach unt.:

* Regula Dettwiler, Porträt Nr. 1, 2004, Inkjet-Print,  61 x 49 cm

* Regula Dettwiler, Porträt Nr. 1, 2022, Topfpflanze, Bordüre, 160 x 60 x 60 cm

* vorne): Regula Dettwiler, aus: Before a Mirror, 2019, Cyanotypien auf Papier

* Robert F. Hammerstiel, aus: Dark Picnic, 2019–2022, C-Prints auf Aluminium, je 120 x 150 cm 

* Robert F. Hammerstiel, li.: Warum bin ich nicht überrascht?, 2012, HD-Videoloop, 9 Min. , Ton / Mitte: Make Yourself at Home VII, 2014–2016, C-Print auf Aluminium, 155 x 264 cm / re.: Make Yourself at Home V, 2012, HD-Videoloop, 9 Min., Ton

* Robert F. Hammerstiel, aus: Dark Picnic, 2019–2022, C-Print auf Aluminium, 120 x 150 cm