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ZUKUNFTSMUSIK

FOTOGALERIE WIEN
Währingerstr. 59, 1090 Wien
Eröffnung: Montag, 30.8.2021, 19 Uhr
Einführende Worte: Petra Noll-Hammerstiel
Dauer: 31.8. – 2.10.2021
Kuratiert von Petra Noll-Hammerstiel und Michael Michlmayr für die FOTOGALERIE WIEN
KünstlerInnen: Patrick Baumüller (CH/AT), Karø Goldt (DE), Kaja Clara Joo (AT/KR), Johann Lurf (AT), Walter Mirtl (AT), Laura Wagner (DE/AT)
 

Rede zur Vernissage am 30.8.2021, Petra Noll-Hammerstiel

Mit dieser Ausstellung möchten wir einmal mehr das Interdisziplinäre des Programms unserer Galerie betonen. Dieses Mal gehen wir in den Bereich der Musik bzw. Ton und haben Werke ausgewählt, die sich bei unterschiedlicher Inhaltlichkeit im visionären Bereich bewegen sowie Bild und Ton in ein audio-visuelles Zusammen- bzw. Wechselspiel bringen. Die (eigenen oder fremden) musikalischen Kompositionen und die Geräusche bzw. der Sound treten in den künstlerischen Werken als gleichberechtigte Partner der Bilder auf. Sie stimulieren, ergänzen, (über-)steigern oder kontrastieren die Bilder oder bedingen sie. Auch die fotografischen Arbeiten sind entweder mit Sound kombiniert oder sie können assoziativ Töne im Kopf erwecken. Grundsätzlich führt das Hören von Klängen zu einer veränderten Rezeption von Bildern, ebenso wie das Sehen von Bildern die Wahrnehmung des Tons beeinflusst. Die Arbeiten sind konzeptuell entwickelt; die Auseinandersetzung mit Zeit und Raum sowie Struktur, Ordnung, Rhythmus und Verlauf nimmt eine tragende Rolle ein, wobei Bild und Ton jeweils ihren eigenen Bereich in Bezug auf Räumlichkeit bzw. Zeitlichkeit befragen, reflektieren und überschreiten. Durch ihre ästhetische, atmosphärische Erscheinung und ihren immersiven Charakter wecken die Bild-/Tonmontagen einerseits Gefühle der Harmonie. Diese Stimmung kann aber jederzeit durch dystopische, bedrohliche, surreale, auch skurrile Situationen und Klänge gebrochen werden. Zukunftsmusik als Titel mit Augenzwinkern …

Beginnen wir mit der Stille – mit dem sogenannten Klang-Objekt „Pause“ (2016) von Patrick Baumüller, der in zahlreichen Medien und auch viel im Bereich Klangkunst arbeitet. Das Wand-objekt besteht aus zweifarbigen Schaumstoffkeilen, die zur Geräusch- und Hallreduktion in Tonstudios verwendet werden Als einzige Arbeit in der Ausstellung bringt diese nicht nur keinen Ton hervor, sondern verringert auch den Schall und die Geräusche im Raum. Die Bezeichnung „Klang-Objekt“ wird somit ad absurdum geführt. Betrachtet man das zweifarbige Bild aus der Dis-tanz, erkennt man das grafische Pause-Zeichen –­ zwei parallele Linien –, das bei Aufnahme- oder Wiedergabegeräten einem temporären „Stopp“ der Abspielung dient. Dies visualisiert sozusagen die Stille. Ein skurriles Objekt mit einer gewissen Aggressivität, betrachtet man es von der Seite. Und gerade das Fehlen der Klänge, so scheint es, lässt uns diese umso mehr hören.

 Im kleinen Raum wird der poetisch-malerische Fotofilm „hortus“ von Karø Goldt als Projektion ge-zeigt; hierfür hat sie digital bearbeitete Fotos zu Filmsequenzen animiert. Die Fotos wurden dekonstruiert – d.h. in Linien und Farben zerlegt, und somit abstrahiert. Inhaltlich geht es um unseren Umgang mit Natur und Landwirtschaft und den Folgen daraus. Goldt fotografierte über ein Jahr ihren Garten und beobachtete die farblichen Veränderungen. Danach reduzierte sie die Fotos auf ihre Farben und animierte diese Streifenfotos zu kleinen Videoclips, die sich in Spektrometer-Analyseraster eingepasst bewegen. – Der zweite Teil des Films – er beginnt mit dem St. Galler Klostergarten –, zeigt, wie es aussehen könnte, wenn nach der Zerstörung der Umwelt die letzten Zeug-nisse eines Gartens wissenschaftlich untersucht würden. Goldts Farbräume sind kombiniert mit Klangräumen. Sie arbeitet fast immer mit Musikern zusammen; hier ist es die Musik des US-Künstlers und Musikers Timothy Shearer, dessen Komposition die Ästhetik und Stimmung des Films verdüstert hat. – Die Fotoserie „unimagined possibilities“ changiert zwischen Utopie und Dystopie und lässt in ihrer teils sphärischen Atmosphäre eine klangliche Ebene spüren.

Die kinetisch-fotografische, von oben abhängende Installation „Schwarmorchester“ stammt von Kaja Clara Joo, die grundsätzlich im Grenzbereich von Plastik/Bild arbeitet, wobei Fotografie, wie auch hier, häufig ein begleitendes Element ist. Die Installation entstand nach dem Foto eines sich windenden Grillenschwarms. Es handelt sich um analoge Fotoprints auf Baumwolle. Sie zeigen die Ruhe- und Bewegungsphasen der Grillen. Anstelle eines Negativs wurde eine Petrischale in den Fotoprojektor der Dunkelkammer gespannt, in der sich ein lebender Grillenschwarm befand. Die Bewegungen der Tiere konnten durch Temperatur, Vibration und Licht beeinflusst und gesteuert werden. Ihre Verhaltensmuster belichtete einzelne, lichtempfindlich gemachte Baumwollstücke. Vier Servomotoren an einem Aluminiumgestänge bringen die Decke in einen choreografierten We-chsel zwischen Bewegung und Ruhezustand, wodurch sie zu einer Art Wesen wird. Zusätzlich sind die Motoren die Soundgeber, ihre Geräusche sind mit dem leisen Zirpen von Grillen vergleichbar.

Johann Lurf zeigt im Kino den experimentell-konzeptuellen Found-Footage-Langfilm „Stern“, eine langjährige Recherche-, Archiv- und Montagearbeit. Der Film wird ständig erweitert und hier in der aktuellen Version mit 122 Minuten gezeigt. Aus 100en Kinofilmen vom Anfang des 20. Jhs. bis heute wurden (reine) Sternenhimmel herausgelöst und chronologisch montiert. Sternenhimmel werden in Kinofilmen fast immer künstlich kreiiert aus Planetarien, Kulissenmalerei und Compu-tern. Lurf hat die Dauer sowie die originale Bild- und Tonspur – dies sind verschiedene Sprachen, Lieder, Musik und Sound des gewählten Ausschnitts – übernommen. Es beginnt sw und still, um dann immer gewaltiger und farbiger zu werden. Je nach Zeit und Trend verändert sich der Weltraum visuell und auch der Blick auf ihn. Die akustische Ebene erzählt viel über die Veränderung der Sprache, der Musik, der Tongestaltung und der Tonsysteme im Laufe der Zeit. Die spezielle fragmentierte Struktur des Films entsteht durch die konsequenten Schnitte nach jedem Himmelsbild. Handlungsabläufe, Erzählungen oder Erklärungen gibt es nicht, aber einen Rhythmus, etwas Immersives, das uns hineinzieht und Assoziationen und Erinnerungen weckt. Das Plakat (im großen Raum) kündigt eine „ultimative Reise durch Raum und Zeit“ an

Walter Mirtl zeigt auf drei Flatscreens jeweils drei aktuelle Kurzvideos mit vorwiegend selbst komponiertem Sound. Kurze Videos, in denen visuelles und klangliches Material eine gleichwertige Synthese bilden, sind seit langem sein bevorzugtes künstlerisches Medium. Sowohl Ton als auch Bild können Auslöser für die künstlerische Idee sein. Während die Bildinformationen extrem kurz (2–3 Min.) und geloopt sind, läuft die Tonspur jeweils über das ganze Video – nur selten ist dies umgekehrt („zwei Uhr nachts“.) Meist werden zwei Bilder aus verschiedenen Kontexten miteinander kombiniert, die jeweils durch abrupte Schnitte oder Überblendungen rasch abgelöst werden. Mirtl schildert Zustände und Ereignisse, stimuliert Sinneseindrücke. Immer bleiben Titel und Bilder mehrdeutig und damit assoziationsoffen. Zusammen mit dem repetitiven Sound – das sind eindringliche, oft maschinenhafte, metallische, aber auch tierische Geräusche, Wasser-plätschern oder menschliches Stimmenwirrwarr, Flüstern – entstehen surreal-rätselhafte Situationen. Wie bei einer Partitur verwendet Mirtl eine vertikale Gliederung aus Bild- und Tonebene.

Laura Wagner zeigt auf einem achteckigen, eigens für die Ausstellung entworfenen Objekt eine Dokumentation mit Fotografien und Sound ihrer mehrfach durchgeführten vierstündigen performativen Installation „Leverkühn“. Hier spielten Hunderte von Schnecken – eine logistisch immense Herausforderung – ein Konzert auf einem ausrangierten Flügel. Dieser stammt aus den Sofien-sälen in Wien. Die Schnecken kriechen über Tasten, rostige Saiten und den brüchigen Holzrahmen und geben Geräusche ab – u.a. auch durch ihre aneinanderschlagenden Häuser. Die in ihren Bewegungen unkontrollierbare Masse eignet sich den Flügel regelrecht an. Leverkühn, der der Installation den Titel gibt, ist die Hauptfigur in Thomas Manns Künstlerroman „Dr. Faustus – das Leben des Tonsetzers Adrian Leverkühn“ von 1943–47 ­– ein Roman zur Rolle der Musik mit kritischen Kommentaren zur damaligen Zeitgeschichte/Krieg. Der fiktive Leverkühn verkauft im Roman dem Teufel seine Seele und erhält dafür musikalische Genialität, die ihm zu Ruhm verhilft Zuletzt schreibt er, selbst schon fast wahnsinnig, ein apokalyptisch anmutendes Oratorium in Zwölf-tontechnik. – Der Flügel verweist auch auf die Verwendung der Sofiensäle als Operetten- und Ball-saal – schon kurz nachdem er als Sammelpunkt von Juden zur Deportation in Vernichtungslager diente.

 
 

Bildunterschriften:

li. Spalte:

01_Patrick Baumüller, Pause, 2016, (Klang-Objekt), Sperrholz, Metall, Holzleim, Schaumstoff, 180 x 230 x 36 cm, Foto: Michael Michlmayr
02_Karø Goldt, hortus, DE/US 2021, Fotofilm, Farbe, Projektion, Musik: Timothy Shearer, 06:00 min., Foto: Michael Michlmayr
03_Kaja Clara Joo, Schwarmorchester, 2019, kinetische Installation/Skulptur (Detail), Fotoemulsion auf Baumwolle (ca. 130 x 180 cm), Aluminium, Servomotoren, Foto: Michael Michlmayr
04_Johann Lurf,  ★ (Version 2021), 1955, 4K CinemaScope, 122 Minuten, 7.1 Channel Sound, Foto: Michael Michlmayr
05_Walter Mirtl, youP., 2018/21, HD-Video, Farbe, 16:9, 02:01 Min., Loop, Sound: Walter Mirtl, Foto: Michael Michlmayr

re. Spalte:
06_Laura Wagner, Objekt, 2021, mit C-Prints, Sound, aus: Leverkühn, Foto: Michael Michlmayr

07–10: Ausstellungansichten Fotogalerie Wien 2021, Fotos: Michael Michlmayr