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TIER UND WIR

Galerie im Stadtmuseum Neuötting
Ludwigstr. 12, 84524 Neuötting/DE
www. museum[at]neuoetting.de
31.10–7.12.2008
KünstlerInnen: Antours/AT, Alfred Bachlehner/AT, Sinje Dillenkofer/DE, Oliver Dorfer/AT, Lisa Endriss/DE, Samuel Fleury/FR, Robert F. Hammerstiel/AT, Ottmar Hörl/DE, Judith Pichlmüller/AT, Martin Praska/AT, Jacqueline Salmon/FR, Ingeborg Strobl/AT, Sebastian Weissenbacher/AT, Toni Wirthmüller/DE, Ursula Zeidler/DE
Vernissagenrede am 30.10.2008, Petra Noll:

Das Tier hat in der Kunst seit jeher eine große Rolle gespielt. Von der prähistorischen Höhlenmalerei bis heute geben Tierdarstellungen tiefe Einblicke in die Lebensverhält-nisse der Menschen. Die Beziehung der Menschen zu Tieren und ihr Umgang mit ihnen sagt viel aus über ihre Lebensweisen, Sehnsüchte, Ängste und Werte sowie ihr Sozialverhalten.
Die 15 Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland, Frankreich und Österreich, die hier mit ihren Arbeiten vertreten sind, fokussieren die Beziehung zwischen Mensch und Tier, wobei in erster Linie Aussagen über den Menschen getroffen werden. Die Beziehung Mensch-Tier ist besonders in der heutigen Zeit eine äußerst ambivalente. Das Tier wird gleichzeitig hochgezüchtet als Fleischlieferant, gequält in wissen-schaftlichen Versuchsanstalten, gejagt, im Zoo eingesperrt und zur Schau gestellt, für Zirkus und Sport dressiert, vereinnahmt für Werbezwecke, aber auch gefürchtet, bewundert, geschützt, heiß geliebt als treuer Begleiter, Haustier oder Partner bei der Jagd. Der Mensch hat das Tier im Griff, er nutzt es – in jeder Beziehung – für seine Zwecke und degradiert es damit zum bloßen „Ding“. Haustierhaltung ist ein Zeichen für die Zivilisierung bzw. Verniedlichung der Tiere durch den Menschen. Dies verdeutlicht einerseits dessen Sehnsucht nach einer Beziehung zum Tier als Ersatz für mangelndes Glück, zeigt aber auch seine Angst vor dem Wilden, Autonomen des Tieres, das durch Zähmung bzw. Vermenschlichung niedergehalten werden muss. Mit Kuscheltieren und Porzellanfigürchen geht der Mensch noch einen Schritt weiter: er drängt die Natur und damit auch das Unberechenbare zurück und erfüllt sich den Wunsch nach Geborgenheit noch risikofreier und pflegeleichter. So viele Sehnsüchte, Bedürfnisse, Wünsche und Ängste es beim Menschen gibt, so vielfältig sind auch die Möglichkeiten, sich dementsprechend Tiere auszuwählen bzw. „herzurichten“.
Die  Künstlergruppe antours.at aus Wien bietet via Internet Individualreisen für Ameisen an – diese unermüdlich fleißigen und somit besonders erholungsbedürftigen  Durch die große Anzahl der Tiere liegt ein großer Markt offen. Gesucht werden menschliche Kunden, die überall auf der Welt Hotels platzieren wie jetzt in der Ausstellung. Antours.at stellt sich in Form einer power point-Präsentation bzw. der Inszenierung eines Hotels vor. Ihre Arbeit, die sie auch in die Bereiche Aktion im öffentlichen Raum ausdehnen, ist eine Auseinandersetzung mit Schein und Realität und den Mechanismen von Wirtschaft und Werbung. Alfred Bachlehner,Wien, thematisiert in seinen großformatigen Bildern die ambivalente Beziehung zwischen Mensch und Tier auf abstrahierte Weise. Obwohl er meist von  „harmlosen“ Alltagsgegebenheiten ausgeht, entwirft er surreale Situationen zwischen Mensch und Tier, die ein unerklärliches Befremden, eine unwirkliche Stim-mung, manchmal Bedrohung ausstrahlen. In Einmachgläser „eingeweckt“ sind kleine Leinwandarbeiten in Schwarz-Weiß mit Motiven aus klassischen TV-Serien. Diese Serien, in denen wir wohl alle einmal mit den tierischen Protagonisten mitgelitten, mitgebangt und uns an ihnen erfreut haben, sind Spiegel unserer Wünsche nach Mut, Treue, Freundschaft und Hilfsbereitschaft.
Eine Fotoserie von Sinje Dillenkofer, Stuttgart, zeigt die Schnauzen und Nasen von Kaninchen. Die Körperöffnungen des Tieres, die mit Sinneserfahrungen und Nahrungsaufnahme zu tun haben, deuten auf das verborgene, verletzliche Innere, wobei es um Fragestellungen in Bezug auf den Menschen, um seine Vorstellung von Individualität und sein Verhältnis zur Natur geht. Bei dem Fotoobjekt „Korrektur“ steht im Mittelbild ein röhrender Hirsch, der als Metapher für bürgerliche Idylle der Romantik und männliche gesellschaftliche Dominanz steht; er ist umrahmt von weib-lichen Schamhaaren. Es ist das Anliegen von Dillenkofer, Ängste, Aggression, Sicherheits-, Liebes- und Machtbedürfnisse sowie das Verhältnis von Mann-Frau zu unter-suchen. Oliver Dorfer, Linz, verwendet für seine Bilder am Computer generierte Motive aus allen Bereichen und Bildquellen der Wirklichkeit und abstrahiert sie auf eine schablo-nenhafte Gegenständlichkeit. Alle diese „pics“ auf seinen Bildern sind äquivalent: so sind auch die Tierdarstellungen „nur“ Bilder unter Bildern. Teddys, Hunde, Pandas... führen einerseits zu spezifischen Assoziationen wie u.a. Bedrohlichkeit oder Vernied-lichung, sind manchmal als witzige Comicfigur, ein andermal sehr menschlich darge-stellt. Sie verweigern sich aber einer eindeutigen Geschichte, eröffnen vielmehr eine Welt der Poesie und Phantasie.Ungewohnte Situationen zwischen Mensch und Tier bestimmen die Bilder der Künst-lerin Lisa Endriß, Griesstätt: ein Tiger, der mit seinem Herrchen im Bett kuschelt, ein Krokodil, das von einem Menschen umarmt wird... Die Szenen wirken erfunden, sind aber meist Übersetzungen ganz realer Fotodokumentationen aus der Zeitung. Lisa Endriß interessiert das Absurde der Realität. Die Realität ist, dass immer mehr und immer exotischere Tiere im Haushalt gehalten werden. Dahinter steht die Sehnsucht des Menschen nach der Ferne, nach dem Paradies, nach der wilden Natur. Die Situa-tionen auf den Bildern können jeden Moment kippen, aus dem scheinbar gezähmten Tiger kann eine wilde Raubkatze werden. Die „Idylle“, die sich der Mensch einge-richtet hat, ist eine Welt im Grenzbereich von Illusion und Wirklichkeit.
Samuel Fleury, Paris, zeigt einen Film, einen künstlerisch-dokumentarischen Beitrag zum Thema „Tier nach dem Tod“. Handelt es sich bei den vom Menschen konser-vierten und ausgestellten toten Tierleibern noch um Tiere? Das Tier führt nach seinem oft vom Menschen herbeigeführten Tod ein fragwürdiges Dasein als ausgestopfte Jagdtrophäe, als naturwissenschaftliches Objekt, als lebensecht inszeniertes Wesen (Wolpertinger). Es wird entzaubert, lächerlich gemacht, verdinglicht zu einem vom Men-schen geprägten Bild. Der Film zeichnet vor allem ein Porträt des Menschen, der hinter diesen Inszenierungen steht.
In den Foto- und Video-Arbeiten von Robert F. Hammerstiel zum Thema „Tier“ dreht sich alles um den Menschen. In meist großen Formaten setzt er u. a. leuchtend bunte Hamsterkäfige und skurriles Hundespielzeug in Szene. Dies sind nach rein menschlichen Vorstellungen hergestellte Dinge. Das Foto „A Dog’s Life“ zeigt verpacktes, massenproduziertes Hundespielzeug aus Kunststoff für Kinder, die hiermit die gesellschaftlich vorgeprägten Ideale von Fürsorge, Verantwortung und Pflichter-füllung am Ersatztier erproben sollen. Robert F. Hammerstiel richtet den Fokus auf eine „heile“ Welt, unangetastet, glatt und sauber in ihrer Verpackung, aber gleichzeitig auch trostlos: eine künstliche Welt, in der das Plastik-Tier den Platz des echten Hun-des, der bereits auch ein Surrogat für vermissste Gefühle wie Liebe, Treue und Hingabe ist, einnimmt.
Ottmar Hörl ,Wertheim verwendet in seinen Großinszenierungen aus massenpro-duzierten Kunststoff-Plastiken im öffentlichen Raum oft Tierfiguren, die immer etwas mit dem Ort zu tun haben, an dem sie installliert sind. Im Jahr 2003 platzierte Hörl 7000 grüne Dürer-Hasen als „Großes Hasenstück“ auf dem Hauptmarkt in Nürnberg. Das wohl berühmteste Tierbild der europäischen Kunstgeschichte ist das kulturelle Identifikationsmodell schlechthin. Der Dürer-Hase ist Symbol für eine Sehnsucht nach Idylle, heiler Natur und bürgerlich-traditionelle Werte. Dies wird von Hörl mit der seriellen Anfertigung im Material Kunststoff ironisch kommentiert. Jeder kann sich einen Dürer-Hasen leisten und mit nach Hause nehmen. Die Anfertigung der Dürer-Hasen in den deutschen Farben schwarz-rot-gold pointiert die Thematik in Bezug auf eine Auseinandersetzung mit (deutscher) Identität.
Judith Pichlmüller, Wien, zeigt aus Inszenierungen hervorgegangene Fotoarbeiten und einen Film („under attack“). Gezeigt werden Grillen, die einen Sprengsatz tragen. Die Künstlerin beschäftigt sich mit Gewalt und gewollter Zerstörung.  Sie stellt die Frage nach der Symbolkraft von Bildern, speziell der Kriegsberichterstattung: drücken Bilder und Töne – und wenn ja, welche – Aggression, Tod, Angst aus? Ziel ist es, Assoziationen beim Betrachter auszulösen bzw. ihn  nach seinen eigenen Definitionen zu fragen, wobei  keine Lösungen angeboten werden. Martin Praska, Wien, mixt in seinen Bildern Zitate aus den verschiedensten Bereichen. Das Tier ist ein häufig eingesetztes Motiv in seinen Bildern, es taucht auf als Jagdtrophäe, als Porzellanhündchen für die Wohnzimmer-Deko, als Comic-oder als Dürer-Häschen, ganz allein oder in Kombination mit Menschen-/meist Frauenbildern. Surreale, manchmal dadaistische Szenerien entstehen, die, auch in den reinen Tierbildern, vor allem etwas über den Menschen aussagen, über seinen Geschmack, seine Sehnsüchte, Wünsche sowie über sein Verhältnis zum Tier, das ein zunehmend künstliches ist. Jacqueline Salmon, Paris, hat im Naturhistorischen Museum in Lyon in ausgestopfte Tiere und Mumien von Tieren in klassischem Schwarz-Weiß auf Baryt fotografiert. Das Konservieren geschieht nicht nur aus naturwissenschaftlichen und ethnologischen Aspekten, sondern ist auch Ausdruck einer Ehrfurcht und Bewunderung des Menschen für das Tier, dem er bestimmte Eigenschaften wie Mut, Schnelligkeit, Energie zuschreibt, die wiederum menschliches Begehren widerspiegeln. Im pharaonischen Ägypten wurden Götter auch in Tiergestalt verehrt; deshalb galten verschiedene Tiere als heilig. Sie wurden nach ihrem Tod ebenso aufwändig wie Menschen mumifiziert und beigesetzt.
Ingeborg Strobls (Wien) Textarbeit DAS TIER SIND WIR, die als Postkarte zur Mitnahme angeboten wird, versteht sich von selbst. Sie hat den Ausstellungstitel zu einer gesellschaftskritischen Aussage verändert. Ihre Kritik zielt auf die aggressiven, egoistischen Haltungen, Handlungen und Ideologien von Menschen, nicht nur in Bezug auf das Tier.
Sebastian Weissenbachers (Wien) Bildmodelle sind massenproduzierte plastische Miniaturfiguren, meist Tiere aus der Trivialkultur – aus Comic, Werbung, Konsum-welt oder TV-Serien. Diese künstlich kreierten Wesen werden in fotorealistischer Plastizität und knallbunter Farbigkeit ins Überdimensionale aufgeblasen und in einer bewusst pathetischen oder auch lieblich-naiven Kulisse inszeniert. Eine scheinbar harmlose Welt, die aber auf Grund ihrer Künstlichkeit und ihrer monströsen Überzogenheit argwöhnen lässt. Der Mensch, der durch die verschiedenen Tiere repräsentiert wird, steht im Mittelpunkt dieser phantastischen Inszenierungen; er wird – darauf verweisen auch die oftmals zynischen, ironischen Bildtitel – als „Krone der Schöpfung“ entthronisiert. Toni Wirthmüller (Berlin) zeigt Mal- und Collagearbeiten zum Thema „Affe“. .Auf Grund seiner Menschenähnlichkeit spielt der Affe seit jeher als Symbolfigur in Kunst und Gesellschaft eine große Rolle. Er verkörpert Neugier, Triebhaftigkeit, Eitelkeit, Torheit, symbolisiert das Ungezügelte des Menschen, auch das Böse und Dämonische. Er gilt als Possentreiber sowie als Nachahmer und Verspötter des Menschen bzw. der Gesellschaft. Auch im Künstler steckt ein Affe, ein wildes Tier, das ihn mit Kreativi-tät, aber auch mit Unberechenbarkeit überrascht. Toni Wirthmüllers zentrales Thema in der Kunst sind die menschlichen Empfindungen und Befindlichkeiten: der Schmerz, die Zerrissenheit, die Einsamkeit, aber auch die Sinnlichkeit oder die Erotik, Themen, die die er mit der Symbolfigur des Affen noch einmal pointieren kann. Ursula Zeidler (bei Simbach) kommt aus der Reportagefotografie und fotografiert in erster Linie Menschen in ihrem sozialen Umfeld. Wenn sie hier Tiere ins Bild nimmt, dann geht es ihr vor allem darum, menschliche Eigenarten zu untersuchen, die im Umgang des Menschen mit dem Tier – dem er eine Brille aufsetzt, das er im Kinderwagen fährt oder zum Friseur schickt und mit dem er sonst noch einige skurrile, manchmal absurde, in jedem Fall aber nicht tiergerechte Dinge tut – , zu Tage treten. Das Tier als Spiegel des Menschen, der Ersatz braucht für unerfüllte Sehnsüchte.

 
 
1) Antours
2) Alfred Bachlehner
3) Sinje Dillenkofer
4) Oliver Dorfer
5) Lisa Endriss
6) Robert F. Hammerstiel
7) Ottmar Hörl
8) Judith Pichlmüller
9) Martin Praska
10) Jacqueline Salmon
11) Ingeborg Strobl
12) Sebastian Weissenbacher
13) Toni Wirthmüller
14) Ursula Zeidler